Weinland

Dauergäste im Kirchturm

Ornithologe Kaspar Hitz berichtete über das Leben der Dohlen im Kirchturm. Das zahl­reiche Publikum zeigte grosses Interesse.

von Barbara Flacher
27. November 2018

Sie pfeilen regelmässig um den oberen Teil des Kirchturms herum, stossen typische «kjakja»-Laute aus oder fliegen in einem Schwarm zu ihren Futterplätzen im Niederfeld. Die Rede ist von den geschützten Dohlen, deren Hauptquartier sich seit den 1960er-Jahren im Andelfinger Kirchturm befindet. Diese sympathischen Vögel sind eine Art Markenzeichen für das Gotteshaus im Bezirkshauptort. Wie Ornithologe Kaspar Hitz am Donnerstagabend im Andelfinger Kirchgemeindehaus in seinem Vortrag sagte, handelt es sich mit rund 30 Brutpaaren um die grösste Kolonie im Kanton Zürich. Dohlenkolonien gibt es auch in den Schlössern Hallwyl und Uster. Die Dohle gehört zur Familie der Rabenvögel, geniesst aber bei den Menschen mehr Sympathie als die Rabenkrähen.

Es war eine gute Idee des Naturschutzvereins Andelfingen, das Leben der Dauergäste im Turm dem interessierten Publikum näherzubringen. Der Aufmarsch war so gross, dass laufend neue Sitzgelegenheiten bereitgestellt werden mussten. Vereinspräsident Matthias Griesser erzählte den Anwesenden, dass er in der Nähe dieser Vögel aufgewachsen sei, sie aber damals kaum beachtet habe. Das sei heute anders; Dohlen seien für ihn etwas Besonderes.

Meisterin der LĂĽfte
Kaspar Hitz (Männedorf) betreut die Dohlenkolonie seit acht Jahren als Beringer. Wie er selber sagt, sei er Ornithologe aus Berufung – spezialisiert auf Greif- und Rabenvögel. Die Alpendohle mit gelbem Schnabel und roten Füssen sei eine Meisterin der Lüfte. Ihre Flugkünste sind oft an den Bergstationen von Skiliften und Luftseilbahnen zu beobachten, wo sie auf Futtersuche ist.

Die Dohlen als taubengrosse und intelligente Vögel haben ein ausgeprägtes soziales Verhalten. Sie leben monogam; Männchen und Weibchen sind lebenslang beieinander. Ein Jungvogel muss sich seinen Platz im Schwarm erarbeiten. «Heiratet ein Paar, steigt die Angebetete in den höheren Rang ihres Gatten auf», schmunzelt Kaspar Hitz. Die geselligen Vögel halten sich gerne in altem Gemäuer auf – immer in der Nähe von Landwirtschaftsflächen. In Andelfingen stimmen diese Voraussetzungen.

Die Vögel brüten im Frühling zwei bis sechs Eier aus, und die Jungen bleiben bis 30 Tage im Nest. Bevor die Jungvögel  flügge sind, werden sie in ihren gut zugänglichen Nestern – in hölzernen Kästen im Turm – von Kaspar Hitz beringt. Faszinierend sei, so der Ornithologe, wenn die jungen Dohlen ausfliegen. Dann bildeten die Altvögel in der Luft eine Art Netz, damit der Nachwuchs nicht abstürzt.

Neun Krähenarten
In der Schweiz gibt es neun Krähenarten, wobei die Dohle mit 1000 bis 1500 Exemplaren gegenüber der weitverbreiteten, schlauen Rabenkrähe nur einen kleinen Platz einnimmt. Der Krähenbestand ist nicht regulierbar, obwohl jährlich Tausende Vögel abgeschossen werden. Entgegen der verbreiteten Volksmeinung stellen Rabenvögel inklusive Elstern keine Bedrohung für Kleinvögel dar. Der in abgelegenen Felswänden brütende Kolkrabe gehört neben den Wildschweinen zu den intelligentesten Tieren überhaupt.

Dohlen stibitzen Schafwolle
Landwirt Werner Jucker aus Andelfingen berichtete von seinen Erlebnissen mit Dohlen, die vergangenes Frühjahr in seiner Scheune nisteten. Die Vögel hatten offenbar mit Vorliebe etwa 20 Äpfel der Sorte Jonagold angepickt. Ausserdem habe er beobachten können, wie sich die Vögel auf den Rücken seiner Schafe niederlies­sen, um dort Wolle herauszuzupfen, so der Landwirt. Werner Jucker sagte lachend, dass die Dohlen diese Wolle wohl zum Nestbau im Turm verwendet hätten. (bf)

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