Weinland

Eine Vertrauensperson, die in schweren Krisen beisteht

Judith Meister ist Vertrauensperson der Pro Mente Sana. In dieser Funktion unterstützt sie Menschen, die unfreiwillig in eine Psychiatrie eingewiesen wurden. Das Engagement verlangt ihr vor allem eine Eigenschaft ab: Unvoreingenommenheit.

von Cindy Ziegler
17. Dezember 2019

Wenn ein Mensch durch eine fürsorgerische Unterbringung (FU, siehe Kasten) in eine Psychiatrie eingewiesen wird, befindet er sich in einer akuten Krise. Seine eigenen Rechte in dieser Situation im Blick zu haben und auch durchzusetzen, ist sehr schwierig. Zusätzlich sind die Personen in ihrer Freiheit eingeschränkt. Familie und Freunde, die Unterstützung bieten könnten, sind oft emotional überfordert.

Das Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz schreibt jedoch vor, dass jeder das Anrecht auf eine Vertrauensperson hat, also auf jemanden, der sie oder ihn unterstützt, informiert und gegebenenfalls zwischen den Parteien vermittelt. Wenn Angehörige das nicht wahrnehmen können oder wollen, werden ausgebildete Vertrauenspersonen wie Judith Meister beigezogen. Sie ist eine Freiwillige, die sich im Pilotversuch von Pro Mente Sana engagiert.

Dieser ist auf vier Jahre angelegt, der Lotteriefonds hat dafür 500'000 Franken gesprochen. Vier psychiatrische Kliniken im Kanton (PUK, IPW, Clinea Schlössli und Sanatorium Kilchberg) beteiligen sich am Projekt, das vor Kurzem gestartet hat.


Sich selbst zurücknehmen
Die Andelfingerin hilft, sobald sich ein Patient über die Organisation bei ihr meldet. Wenn eine «Zusammenarbeit» zustande kommt, klärt sie ihren Klienten über seine Rechte und Pflichten auf, bietet Unterstützung im Klinikalltag und hilft ihm, berechtigte Wünsche gegenüber der Klinik durchzusetzen. «Meine Aufgabe ist es aber nicht, jemanden aus der Klinik rauszuboxen», erklärt Judith Meister.

Vielmehr müsse man Verständnis für die Situation haben, in der sich der Patient befindet und im Moment für ihn da sein. «Füre luege, sage ich immer.» Sie müsse sich zurücknehmen und im Interesse des Menschen handeln, den sie als Vertrauensperson unterstützt. Dabei komme es auch vor, dass sie in die Rolle der Vermittlerin schlüpft oder Fragen stellt, wenn der Patient das selber nicht kann. «Die Person mit FU befindet sich in einem Schwächezustand, die Einweisung ist oft traumatisierend.»

Keine Berührungsängste
Man dürfe keine Berührungsängste haben – weder gegenüber dem Menschen mit der psychischen Erkrankung noch gegenüber der Einrichtung, in der er sich befindet. «Unvoreingenommenheit ist eine wichtige Eigenschaft, die eine Vertrauensperson mitbringen muss», erklärt Judith Meister.

Sie selber hat sich für das Engagement entschieden, weil auch sie im näheren Umfeld persönliche Erfahrungen mit der fürsorglichen Unterbringung gemacht hat. «Ich habe schnell gemerkt, dass psychische Leiden noch immer ein Tabuthema und Angehörige schnell überfordert sind.» Menschen mit solchen Problemen hätten es wegen der starken Stigmatisierung besonders schwer und deshalb Unterstützung verdient.

 «Wenn es einem selber gut geht, darf man anderen etwas geben», davon ist Judith Meister überzeugt. Für die freiwillige Arbeit als Vertrauensperson müsse man kein Experte sein oder einen fachlichen Hintergrund mitbringen. «Es geht auch nicht darum, Paragrafen zu büffeln», erklärt sie, die in der Verwaltung von Schulen gearbeitet hat.

Erste Erfahrungen als Vertrauensperson hat Judith Meister bereits gemacht. Über konkrete Fälle sprechen, die sie betreut oder betreut hat, möchte sie aber nicht. «Die Anonymität muss gewahrt werden.» Ausserdem sei jeder Fall individuell und müsse auch so angegangen werden.

Zwangseinweisung
Die fürsorgerische Unterbringung löste 2013 den Begriff fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) ab. Die Voraussetzungen sind jedoch im Gros gleichgeblieben. Bei Selbst- oder Fremdgefährdung durch eine psychische Störung, eine geistige Behinderung oder eine schwere Verwahrlosung kann die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) eine Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung anordnen, sofern keine anderen Massnahmen Erfolg zeigen. Die Zwangseinweisung kann auch durch einen Arzt angeordnet werden, der in der Schweiz praktiziert – dies aber maximal für sechs Wochen; über eine Verlängerung entscheidet die Kesb. Die betroffene Person hat das Recht, eine Vertrauensperson beizuziehen. Und der oder die Eingewiesene muss entlassen werden, sobald die Voraussetzungen für die Unterbringung wegfallen. Im Kanton Zürich werden im Durchschnitt zehn FU pro Tag ausgestellt. (ciz)

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