Weinland

«Mutproben scheinen passé»

Letzten Samstag begleitete Regierungsrat Mario Fehr zwei Kantonspolizisten zu Weinländer Läden und Geschäften. Zweck der Tour: Die Menschen zum Einhalten der Corona-Bestimmungen zu motivieren.

von Silvia Müller
27. November 2020

Der Vorsteher der Zürcher Sicherheitsdirektion, Mario Fehr, patrouillierte die erste Hälfte des Nachmittags mit Kantonspolizisten im Tösstal, ab halb vier dann im Weinland. Mit dabei waren Ueli Zoelly, der in Dorf lebende Chef der Flughafenpolizei und stellvertretende Kapo-Kommandant, Florian Frei vom Mediendienst der Kapo sowie eine Redaktorin der «AZ».

Journalisten-Briefing am Treffpunkt beim Bahnhof Andelfingen: «Die Kapo überprüft regelmässig Orte, wo sich viele Menschen begegnen. Wenn möglich fahre ich mindestens einmal pro Woche mit einer Patrouille mit», erklärt Mario Fehr. Er tue das aus persönlichem Interesse und aus Wertschätzung für die Leistung der Polizistinnen und Polizisten. Und im Wissen, dass die regierungsrätliche Präsenz Publizität bringe und dazu beitrage, das öffentliche Bewusstsein für das wichtige Thema wachzuhalten – besonders grundlegend im Hinblick auf die Festtage.

«Bei den Kontrollen geht es nicht ums Büssen. Wir suchen den Dialog mit der Bevölkerung, um ihre Unterstützung für die Massnahmen zu gewinnen», betont er. «Schon jetzt halten sich die weitaus meisten sehr gut an die Regeln. Bei den anderen möchten wir mit unseren Gesprächen das Verständnis dafür fördern.» Wenn die Polizisten weitergehen und «es in den Köpfen der Leute noch eine Weile arbeitet, haben alle etwas gewonnen.»

Der Zug aus Winterthur fährt ein, die ausgestiegenen Passagiere ziehen vorbei. Die meisten haben ihre Maske sowieso noch an – nicht nur im Zug, auch auf dem Bahnhofgelände ist das Vorschrift. Die wenigen anderen ziehen ihre Masken beim Erblicken der Polizei diskret zurück über die Nase.

Die Patrouille nähert sich den Männern, die sich am Stehtisch vor dem Kiosk eingerichtet haben. «Wir müssen keine Masken tragen, solange wir am Rauchen und Trinken sind», sagt einer, schon bevor sie darauf angesprochen werden. «Das ist okay, aber die 1,5 Meter Abstand müssen Sie trotzdem einhalten», sagt die Polizistin. Das Gespräch mit der Patrouille scheint den Männern nicht besonders unangenehm. Einer fragt sogar, ob es eigentlich stimme, was sein Kollege behaupte: dass auch Schweizer jederzeit einen Ausweis auf sich tragen müssten. Die Polizistin antwortet weder mit Nein noch mit Ja, fände es aber «sicher besser, für den Fall, dass etwas passiert».

Ein älterer Herr kommt vorbei und erkennt Ueli Zoelly trotz Maske. «Ich kenne ihn vom Turnen her, ich bin ein eidgenössischer Turnveteran», entschuldigt er sich bei Mario Fehr für die Unterbrechung des Gesprächs. «Für uns Vereine ist Corona ein Riesenverlust. Keine Treffen mehr.» Nun gibt sich Mario Fehr als Regierungsrat zu erkennen: «Genau deshalb legen wir so gros­ses Gewicht auf die Vorschriften. Damit es irgendwann wieder wird wie vorher.» Sie plaudern noch eine Weile.

Kleine Läden, grosse Läden
Dann verteilt sich der Tross auf die drei Dienstwagen. Die Journalistin fährt zuerst mit den Uniformierten mit. Die Frau ist  Wachtmeister m.b.A. (mit besonderen Aufgaben), stationiert in Turbenthal, und der Mann Soldat, zurzeit im Dienst als Protokollführer der Staatsanwaltschaft Winterthur. «Bei den Wochenendpatrouillen helfen sich die Abteilungen gegenseitig aus», erklärt sie. Im ersten Lockdown seien die Passanten noch offener und gesprächsbereiter gewesen. «So langsam bekommen die Ersten Mühe mit all den Einschränkungen, das merken wir.» Aber in aller Regel blieben die Begegnungen «sehr anständig».

Nächster Stopp: Coop Kleinandelfingen. Ein fröhliches Paar schiebt seine Einkäufe zum Auto, die Masken sind schon unten. Der Polizist weist sie darauf hin, dass die Pflicht auf allen frequentierten öffentlichen Arealen und in Engpässen gilt. Freundliche Worte, volles Verständnis, die Masken sind sofort wieder oben. Dann der Eingangs­check: Coronaplakate da? Desinfektionsmittel? Anzahl Kunden? Alles gut. Die Filialleiterin kommt herbei. Die Patrouille will wissen, ob es im Laden schon schwierige Situationen gegeben habe. «Wir hatten noch nie Probleme mit Verweigerern. Und die Kunden reklamieren auch nicht, weil eine unserer Angestellten hinter der Schutzscheibe ohne Maske arbeitet. Sie hat ein Attest», erklärt die Filialleiterin. Mittlerweile verkaufe man auch nur noch selten einzeln abgepackte Masken an Kunden, die keine dabeihaben. «Die Leute haben sich gut in der Situation eingerichtet.»

Auch im Volg Kleinandelfingen sind die Frau an der Kasse und der Kunde korrekt maskiert, und das Schutzkonzept ist eingehalten. Wie überall will Mario Fehr wissen, wie die Umsätze aussehen, ob es Probleme gibt, ob man etwas anders regeln müsste. «Ich frage das alle. Auch privat. Die Antworten helfen mir im Regierungsrat.»

Vis-à-vis in der Bäckerei Bären ist nur noch die Wirtschaft offen. Der Stammtisch ist seltsam zweigeteilt durch hängende Plexiglasscheiben. Der Stimmung scheints keinen Abbruch zu tun, das Wochenende ist gut eingeläutet. Die Polizisten checken die Gästeliste. Alle Anwesenden sind korrekt eingetragen. Unterdessen mustert der Stammtisch konzentriert die maskierte Patrouille. «Sie kommen mir irgendwie bekannt vor», sagt ein Gast zu Mario Fehr. «Ich habe hier mal die 1.-August-Rede gehalten», antwortet der. «Also doch! Also dann sind Sie der Bruder von …». «Nein, ich bin nicht der Bruder», unterbricht Fehr und grinst hinter der Maske. «Egal, Sie sind jedenfalls der Regierungsrat und super. Einfach schade, dass Sie in so einer Partei sind», bekommt der SP-Politiker zum Abschied zu hören.

Touristen am Rheinfall
Nächstes Ziel Rheinfall. Auf der Fahrt dorthin diskutieren der Regierungsrat und der Flughafenpolizeichef über die Anzahl Hospitalisierungen. Und darüber, welche neuen Verhaltensweisen sich einbürgern, welche wieder verschwinden werden. Der Flughafenpolizeichef vermutet, das Desinfektionsmittel bei den Eingängen bleibe uns erhalten. Und in Zukunft würden nicht mehr bloss Fluggäste aus Fernost freiwillig Maske tragen. «Ich fände es schon gut, wenn das Händewaschen bleibt», sagt Mario Fehr. Einig sind sie sich, dass der Handschlag zurückkommt. Die Küsschen? Eher weniger. «Die Zeit der demonstrativen Mutproben ist vorbei. Man sieht es daran, wie das Maskentragen akzeptiert wird», meint der Regierungsrat.

Inzwischen fährt das Trüppchen am Rheinfall vor. Auf dem Fussweg zum Schloss Laufen bittet es mehrere Touristen, die Maske anzuziehen. Fast alle Tische der weihnächtlich funkelnden Terrasse sind besetzt, weisse Tännchen, Glühwein und Wolldecken. «Die Gäste ziehen es seit Kurzem wieder vor, draus­sen zu sitzen, und kommen dick angezogen», erzählt Restaurationsleiter Daniel Denner. Er führt durch die Räume und Säle, zeigt die extra geschaffenen Sicherheitsabstände. «Zum Glück haben wir hier viel Platz zum Ausweichen. In anderen Betrieben ist das sicher schwieriger.»

Die Inspektoren loben das unübersehbare Sicherheits-Arrangement im Entree. «Auch die Gäste sprechen uns darauf an. Viele sind froh um die offensichtlich strenge Handhabung», bedankt sich der Gastgeber. Touristisch sei die Saison sehr ruhig gewesen. «Wir haben fast nur noch regionale Gäste. Umso wichtiger, dass diese sich sicher fühlen.»

Beim Abschied zieht Mario Fehr zufrieden Bilanz: In dieser Sache «wollen alle recht haben und Experten sein». Aber niemand auf der Welt wisse mit Sicherheit, was das Beste sei. «Das Verhalten der Leute und die Fallzahlen zeigen: Der Schweizer Weg ist gut. Wir alle haben beim ersten Lockdown viel gelernt.»

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite

Zeitung Online lesen Zum E-Paper

Folgen Sie uns