Weinland

Überraschend deutlicher Rückhalt in Kanton und Gemeinde

Das ohne Bewilligung aufgestellte Tiefenlager-Mahnmal darf stehenbleiben. Initiator Jürg Rasi ist überrascht von diesem Entscheid des Kantons und der Gemeinde. Er nimmt ihn als Aufforderung, sich noch stärker zu wehren.

von Silvia Müller
24. April 2020

Seit September 2018 steht der 30 Tonnen schwere und 3,5 Meter hohe Sandstein beim Isenbuck zwischen Mar­tha­len und Rhein­au. Das Mahnmal gehört Jürg Rasi und steht auf seinem Boden. Genau dort, wo der Bau des Tiefenlagers die Gegend und das Leben der Bevölkerung bleibend verändern würde. Für die Aktion wählte Rasi nicht den Dienstweg und fragte niemanden nach einer Baubewilligung.

So startete das Dossier «Hinkelstein» – so taufte die Bevölkerung den Brocken – seine Tournee durch die Amtsstuben. Nacheinander befanden der Mar­tha­ler Gemeinderat, die kantonale Baudirektion, das Zürcher Baurekursgericht und schliesslich auch das Verwaltungsgericht, für diesen Mega­lithen bräuchte es sehr wohl eine Baubewilligung. Das jüngste Urteil, jenes des Verwaltungsgerichts, legte der örtlichen Behörde allerdings nahe, dieses Baugesuch «unter Beachtung der Meinungsfreiheit neutral und unvoreingenommen zu prüfen».

Gemeinderat spricht Klartext
Von diesem Moment an habe er positive Signale aus dem Gemeindehaus bekommen, sagt Jürg Rasi. Und inzwischen, in der am 14. April beschlossenen Baubewilligung, findet auch der Gemeinderat selbst überraschend deutliche Worte: «Das Zürcher Weinland ist eine von drei möglichen Regionen für ein geologisches Tiefenlager für radioaktive Abfälle der Schweiz. Das Thema bewegt das Zürcher Weinland. Niemand wünscht sich eine Anlage dieser Dimension im eigenen Gemeindegebiet oder in unmittelbarer Nachbarschaft, auch der Gemeinderat Mar­tha­len nicht. Die Partizipation der betroffenen Bevölkerung ist im Kernenergiegesetz festgelegt und ausdrücklich erwünscht. Der Hinkelstein als Mahnmal unterstützt die Debatte rund um das Tiefenlager. Damit besteht ein wichtiges öffentliches Interesse, dass der Stein, befristet bis zum definitiven Standortentscheid des Bundesrates, am heutigen Ort stehen bleibt.» Das habe er nicht erwartet, gibt Jürg Rasi zu. «Aus Freude hat meine Familie noch in der gleichen Nacht das Obelix-Plakat gemalt.» Echten Grund zum Feiern gäbe es für sie aber «erst, wenn dieses Tiefenlager gar nicht gebaut wird».

Kanton billigt Ausnahmen zu
Sechs Tage vor dem Gemeinderat hatte bereits der Kanton grünes Licht gegeben. Seit dem 13. Januar prüften das Amt für Verkehr und das Amt für Raumentwicklung, ob der Stein den Vorschriften entspricht. Weil er die vorgeschriebenen Sichtweiten einhält und die Verkehrssicherheit nicht gefährdet, wurde er nachträglich problemlos stras­senpolizeilich bewilligt. Im zweiten Amt gab die Sache mehr zu reden.

In der Landwirtschaftszone sind nur der Landwirtschaft dienende Bauten erlaubt. Diese Bewilligung war somit nur dank einer Ausnahme­klausel möglich: dass dem Zonenzweck widersprechende Bauten erlaubt werden können, falls sie standortgebunden sind und nicht anderswo realisiert werden könnten – nebenbei gesagt eine fürs gesamte Tiefenlagerdossier folgenreiche Argumentation.

Aktion am einzig denkbaren Ort
Dieses Baugesuch sei ein Grenzfall und betreffe auch die Meinungsfreiheit, das Recht zur Ausübung der Politischen Rechte und die Gemeindeautonomie, schreibt der Kanton zudem in der Bewilligung. Das Mahnmal warne vor der Beeinträchtigung dieses Landwirtschaftslandes durch das Endlagerprojekt und sei deshalb «positiv standortgebunden» und anderswo «in dieser Weise nicht mehr möglich».

Die Baudirektion vergleicht den Stein zudem mit Wahl- und Abstimmungsplakaten, die im temporären Vorfeld ausserhalb der Bauzonen bewilligungsfrei aufgestellt werden dürfen. «Auch im sehr langfristigen Sachplanverfahren» dürfe die demokratische Meinungsbildung «nicht ohne Not gehindert werden».

Partizipation darf sichtbar sein
Dies gelte «umso mehr, als die regionale Partizipation im Kernenergiegesetz verankert» sei; insofern könne der Stein «durchaus als ‹überdimensionierter Plakatständer› angesehen werden.» Der naturbelassene Stein füge sich zudem ästhetisch verhältnismäs­sig gut in die Umgebung sein – und dass die Partizipation «auch landschaftliche Spuren» hinterlasse, müsse in einer Demokratie innerhalb der rechtlichen Grenzen hingenommen werden.

Anders dimensioniert als gewöhnliche Wahlplakate sind auch die gewährten Zeitspannen: Das Mahnmal darf stehen bleiben, bis die Standortsuche für ein Tiefenlager abgeschlossen ist oder Mar­tha­len dafür nicht mehr infrage kommt. Spätestens, wenn die Rahmenbewilligung des Bundes vorliegt, muss Jürg Rasi den Stein also auf eigene Kosten abtransportieren. Die Rahmenbewilligung wird für 2029 erwartet, muss vom Parlament genehmigt werden und unterliegt dem fakultativen Referendum, was bis 2031 dauern würde.

Signale als Ansporn deuten
Jürg Rasi und seine Mitstreiter im Verein «Like Weinland» (Ländliche Interessengemeinschaft kein Endlager im Weinland) sind hoch erfreut über diese juristische und moralische Unterstützung von zwei bisher eher abwartenden Seiten. «Wir brauchen keinen Hinkelstein, wir brauchen konstruktive Partizipation wie in diesem Saal», liess noch Alt-Baudirektor Markus Kägi bei seinem Besuch der Regionalkonferenz Zürich Nordost offiziell verlauten. Unter seinem Nachfolger Martin Neukom hat offensichtlich auch individuelleres Engagement Platz.

«Wir sind froh, wenn in der Baudirektion und im Gemeinderat ein Umdenken stattfindet. Denn es reicht nicht, immer nur über Grundwasser und technische Sicherheit zu reden. Wir müssen rechtzeitig thematisieren, wie stark die Menschen in der Region vom riesigen Bauprojekt und der Anlage betroffen sein werden», sagt Jürg Rasi.

Die Rückendeckung durch diese Baubewilligung sei für «Like Weinland» ein Silberstreifen am Horizont und ein Ansporn für neue Informations- und Protestaktionen und Begegnungen. «Mit uns ist zu rechnen, sobald der Lockdown vor­über ist.»

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