Fünf der sieben Mitglieder der sogenannten Power Group: (v.l.) Augustin Maillefer und Nico Stahlberg
Schon als Kind war Florian Trüb auf dem Segelboot seiner Grosseltern auf dem Bodensee unterwegs. Erst als Teenager entdeckte er auch den Wettkampf für sich: Auf Einladung eines Clubmitglieds in Romanshorn bestritt er drei Rennen auf dem Bodensee. «Da hat es mir den Ärmel reingenommen», sagt er bei unserem Gespräch. Er heuerte für zwei Saisons bei einem welschen Team auf dem Genfersee an und bewarb sich 2016 für den Youth America’s Cup in Bermuda. Mit dem Schweizer Team «Tilt» wurde er dort Dritter. Danach nahm er erste Profiverträge an, seit 2020 segelt er mit Alinghi.
Florian Trüb, über Wochen haben wir nach einem Termin für dieses Gespräch gesucht. Aber in Barcelona scheint im Moment viel los zu sein?
Florian Trüb: Im Moment sind meine Tage tatsächlich sehr voll. Genau in einem Jahr finden die Rennen des nächsten America’s Cup statt. Das heisst, jetzt herrscht ungefähr die gleiche Witterung wie später im Wettkampf. Unser Trainingsplan ist deshalb sehr dicht.
Sie sind einer der sieben Segler in der Power Group. Welche Aufgabe haben Sie?
Die Besatzung besteht aus einer Driving Group und einer Power Group, total acht Personen. Erstere kümmern sich um Navigation, Taktik und Steuerung. Wir in der Power Group produzieren auf dem Schiff Energie, die nötig ist, um zum Beispiel die Segel
einzustellen. Noch vor zehn Jahren funktionierte das klassisch mit Winschen, also Seilwinden, die von Hand gekurbelt wurden. Auf den heutigen Booten wirken derartige Kräfte, da ist das nicht mehr möglich.
Wie muss man sich den Betrieb dann vorstellen?
Auf der AC75-Klasse, die Schiffsbauart, die fĂĽr den aktuellen Cup gesegelt werden wird, gibt es kein einziges Seil mehr. Alles, was bewegt werden muss, funktioniert ĂĽber Hydraulik. Wir in der Power Group sitzen je auf einer Art Standfahrrad, mit dem eine Hydraulikpumpe angetrieben wird. Wenn wir pedalen, bauen wir Druck auf, die der Trimmer dann einsetzen kann, um die Segel richtig einzustellen.
Eine kräftezehrende Aufgabe ...
In der Power Group sind wir drei Segler und vier Nichtsegler. Einer ist ehemaliger Profiradfahrer, die anderen drei sind Profiruderer. Aber wir übernehmen auch andere Aufgaben. Bei komplexen Manövern unterstützen wir zum Beispiel das Sailing-Team, wenn es dort gerade mehr Hände braucht.
Wie haben all diese Neuerungen den Sport verändert?
Die Boote, die wir heute segeln, erreichen Spitzengeschwindigkeiten von fast 100 km/h. Das Schiff, mit dem Alinghi den America’s Cup 2003 gewonnen hat, erreichte knapp 40 km/h. Der grösste Unterschied zu den Booten damals ist, dass wir heute auf sogenannten Foils segeln. Schon bei einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h kommt das Boot aus dem Wasser und «fliegt» danach auf lediglich zwei Punkten: dem Ruder, das mit dem Flügel auf der Unterseite wie ein umgekehrtes «T» aussieht, und einem der beiden seitlichen Flügel. Der Wind, der permanent ins Segel drückt, stabilisiert das Boot.
Wie fĂĽhlt sich das an, mit fast 100 km/h ĂĽber das Meer zu fliegen? Und das alles nur mit Windkraft?
Das erste Mal, als ich mit Foils unterwegs war, haben wir einen Schleppversuch gemacht, ein Motorboot hat uns gezogen. Als sich das Boot dann langsam aus dem Wasser hob, war das schon eindrücklich. Aber ehrlich gesagt, man gewöhnt sich sehr schnell daran. Heute mit 50, 60 km/h zu segeln, fühlt sich an wie früher mit 10 km/h.
Mit Segeln verbinden wir Laien das gelegentliche Ziehen an Seilen, etwas Wind in den Haaren und manchmal einem Wasserspritzer im Gesicht. Wie viel ist von dieser Romantik noch ĂĽbrig?
Natürlich ist und war das Segeln als Profisport schon immer etwas anderes. Erst hört man auch auf unserem Boot noch die Wellen, die gegen den Rumpf schlagen. Sobald wir dann aus dem Wasser sind wird es kurz ganz still und dann sehr schnell sehr, sehr laut, wenn die ganze Hydraulik zu arbeiten beginnt und man auf Geschwindigkeit kommt. Danach fliegt das Boot wie auf Schienen pfeilgerade übers Meer.
Wie funktioniert bei diesem Lärm die Kommunikation an Bord?
Wir sind alle mit Headset und Mikrofon ausgerĂĽstet. Wenn man sich auf dem Schiff ohne unterhalten will, ist es, wie wenn du und dein Mitfahrer auf der Autobahn den Kopf aus dem Fenster strecken und versuchen wĂĽrdet, miteinander zu sprechen. Auch sonst sind wir fĂĽr die Geschwindigkeiten ausgerĂĽstet: Wir tragen Helm, Schutzweste, eine Atemluftflasche, und wir haben alle ein Tauchermesser.
Bei allen Sicherheitsvorkehrungen: Kam es schon zu Unfällen?
Gerade am Mittwoch hatten wir einen ordentlichen Crash. Das Boot stiess bei etwa 70, 80 km/h Bug voran in die Wellen. Da kommt unglaublich viel Wasser ĂĽber das Boot, das hat uns dann ein gutes StĂĽck Segel gekostet und einige blaue Flecke. Bisher ist es zum GlĂĽck immer bei kleineren Blessuren geblieben.
Wie geht ihr mit den Materialschäden um?
In unserer Basis in Barcelona sind rund 120 Personen beschäftigt. Darunter alleine drei Segelmacher, insgesamt etwa 20 Bootsbauer und weitere SpezialisÂ-ten – zum Beispiel fĂĽr die Hydrauliksysteme oder die Elektronik an Bord. Das Boot kann so in kĂĽrzester Zeit repariert werden. Und das Schiff, mit dem wir die Regatta segeln werden, ist noch nicht einmal gebaut. Aktuell ĂĽben wir mit einem AC75-Klasse-Boot der Neuseeländer von 2019. FĂĽr den Cup im Herbst nächstes Jahr wird ein komplett neues Schiff gebaut, in das die Erfahrungen einfliessen werden, die wir im Moment sammeln.
Dann steht Ihnen ein weiteres Trainingsjahr bevor?
Ja genau, und eines habe ich bereits hinter mir. Wir sind seit 2022 hier in Barcelona und bereiten uns auf den Cup vor.
Alinghi und der America’s Cup
Es war am 2. März 2003, als in der Schweiz ein eigenwilliger Name in aller Munde war. In den Schlagzeilen der Zeitungen, im Fernsehen, auf Tächlikappen und Poloshirts. Es war der Name Alinghi, und «an diesem Tag wurde die Schweiz zur Seglernation», wie es ein SRF-Sprecher passend ausdrückte. Das Team des italienisch-schweizerischen Biotech-Milliardärs Ernesto Bertarelli gewann als erstes europäisches Team den America’s Cup – seines Zeichens eine der renommiertesten Segelregatten der Welt – und eine der ältesten. 1851 wurde sie anlässlich der Londoner Weltausstellung erstmals zwischen Briten und Amerikanern ausgetragen. Es gewann das US-Team mit der Yacht «America», nach ihr wurde der Cup benannt. Seit da findet er in unregelmässigen Abständen statt. Über 100 Jahre lang dominierten die Amerikaner die Regatta, erst 1983 mussten sie den Pokal nach einer 3:4-Niederlage an ein australisches Team weitergeben.
Eine erneute Wendung erfuhr der Cup 1988, als um den Pokal mehr vor Gericht als auf dem Wasser gefochten wurde. Da die StiftungsÂurkunde nur sehr vage WettkampfÂregeln vorgibt, sollten eigentlich Herausforderer und Titelverteidiger die Regeln untereinander ausmachen. Doch das klappte nur bedingt: Im legendären «ungleichen Duell» traten die neuseeländischen Herausforderer mit einer riesigen, 36 Meter langen Yacht an, während die Amerikaner auf einen Katamaran setzten. Beide warfen sich danach
ReÂgelbruch vor, ein jahrelanger Rechtsstreit vor New Yorker Gerichten folgte. Seit diesem Ereignis wird die Regatta mit einer genau definierten Yachtklasse gesegelt.
Alinghi verteidigte den Titel 2007, verlor ihn jedoch 2010 an die Vereinigten Staaten. Vor diesem 33. Cup gab es erneut Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Herausforderer BMW Oracle Racing (USA) und Alinghi. Gefochten wurde um Wettkampfregeln, Yachtkonstruktion oder Durchführungsort. Zwei sehr kurze Rennen entschieden den Cup 2:0 für das amerikanische Team, Bertarelli zog sich danach längere Zeit aus der prestigeträchtigen Regatta zurück. Im Oktober 2024 findet nun der 37. America’s Cup in Barcelona statt. (tz)
Bereit für die älteste Regatta der Welt