Familienrat

Mit Herzblut – bis zum Süchtigwerden

von Peter Angst, Henggart, Familientherapeut
05. Februar 2019

Um es anerkennend auszusprechen: Ich finde es wunderschön, wenn Menschen sich für irgend­etwas mit Herzblut und Leidenschaft begeistern können. Sei es fürs Musizieren, Malen, Lesen, Schreiben, Singen, Schwatzen, Sternegucken, Tierepflegen – oder für den Sport! Auch ist es für Kinder wertvoll, in einem Haus aufzuwachsen, wo mit Leidenschaft etwas eingeübt und gelebt wird. Meistens übernehmen die Kinder auch später diese Herzblutkultur.

Schade, wenn hingegen ein gutes Hobby so übersteigert wird, dass es gar Leiden und Tragödien verursachen kann. Leider findet man bei sportlichen Disziplinen oft ein übertriebenes Leistungsdenken. Meistens fängt es eher harmlos an: «Bewegung ist doch gesund! Ohne Fleiss kein Preis! Bist du nicht selbst einfach zu faul dazu?»

Diese sportlichen Menschen können dann nicht mehr anders. Sie müssen sich steigern! Und plötzlich springen Menschen über die Berge bis zum Umfallen, treiben sportliche Höchstleistungen bis zu selbstzerstörerischen Unfällen, oder bis ernsthafte Anzeichen von Suchtverhalten entstehen. Es ist bedauerlich, wenn Menschen ihre kostbare Lebenszeit für eine Leistungssteigerung in nur einer Disziplin opfern und alles riskieren. Wenn sie nur noch für eine Sache trainieren und leben, statt eine vielfältige Freizeitgestaltung zu pflegen. Wenn sie nicht mehr gemütlich mit einem Buch unter einem Baum liegen können, wunderbare Musik geniessen, mit Freunden schwatzen oder jassen, bis die Karten schwitzen, mit Freude in die herbstlichen Farben gucken, gemütliche Spaziergänge unternehmen oder im Nebel wandern, ja, dann stimmt etwas nicht mehr. Es ist doch die Vielfalt, die das Leben bereichert und den Seelen guttun.

Bei diesem Thema geht es auch um das Wohl der Kinder: Nämlich dann, wenn ehrgeizige Eltern ihre Kinder zu einseitigen Sporteliten machen wollen, sie viel zu früh aus den dörflichen Vereinen zerren, sie sinnlos umherchauffieren, um sie in irgendeiner fernliegenden Elitensportschule «rechtzeitig richtig» zu fördern. Diese «gutmeinenden Eltern» kennen oft keine Grenzen mehr: Sie investieren, um Siege zu erreichen. Was zudem traurig stimmt, ist, dass sie oft ihre elterliche Liebe falsch einsetzen: Sie lieben ihre Kinder vorwiegend, wenn diese «grossartig trainieren», wenn sie stolz die ersten Auszeichnungen holen und so fort. Wenn die Heranwachsenden aber in ihren Leistungen einbrechen oder in der Pubertät andere Wege gehen wollen, reagieren diese Eltern so enttäuscht, dass sie «die Versagenden» oft fallen lassen.

Auch können in vielen Familien diese Sportunfälle sowie das Suchtverhalten und deren Folgen belastend für die anderen Familienmitglieder sein. In meinem langen Beraterleben habe ich Familien kennengelernt, die daran zerbrochen sind.

Schade ist, wenn eine an sich so gute Sache wie sportliche Betätigung zur Bedrohung werden kann und wenn die alte Regel «Gesunder Körper – gesunder Geist» ins Wanken kommt und plötzlich viel Leiden erzeugt. Wäre es nicht klüger, in dieser an sich tollen Freizeitgestaltung Sport bewusst vermehrt das «gesunde Mittelmass» anzustreben und zu kultivieren?

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