Sport

«Der Verein hat mich jung gehalten»

Seine Hockey-Karriere begann auf dem Barchetsee, geendet hat sie nun in Arosa. Nach einem Vierteljahrhundert als Trainer des EHC Wilen-Neunforn verabschiedet sich Jürg Wiesmann von der Bande.

von Manuel Sackmann
08. Januar 2021

So wie Arno Del Curto 22 Jahre lang das Gesicht des HC Davos war, hat Jürg Wiesmann den EHC Wilen-Neunforn verkörpert. Und das sogar noch länger als der Bündner. Ganze 24 Jahre stand der heute 48-Jährige bei den Thurgauern an der Bande. Doch nun endet diese Ära, der Trainer hat seine Mannschaft kürzlich über seinen Rücktritt informiert.

Der Zeitpunkt passt. In den unteren Amateurligen wurde die Meisterschaft bereits frühzeitig abgebrochen. Jürg Wiesmann gönnte sich eine Auszeit in Arosa. «Dabei wurde mir bewusst, wie gerne ich schon immer in den Bergen gewesen bin», sagt er. Als Trainer sei dies schwierig, da im Herbst und Winter die Wochen und Wochenenden mit Trainings und Spielen verplant seien. Also fasste er einen Entschluss: «Jetzt schaue ich für mich. Man weiss nie, wann es fertig ist.» Er werde in Zukunft mehr Zeit in Arosa verbringen, im Sommer und im Winter. «Und dann bin ich einfach mal weg.»

Hinzu kamen gesundheitliche und berufliche Gründe. Ihn belastet ein Bandscheibenvorfall, seine Familie litt unter seiner Arbeitslast bei der Leitung der Vogelsang-Baustelle in Winterthur. «Ich bin ein Perfektionist und löste mich in dieser Aufgabe völlig auf.» Die Familie sei dabei zu kurz gekommen. Das werde sich nun ändern.

Den sportlichen Weg gehen
Seine ersten Schritte im Eishockey machte der Langzeittrainer auf dem Barchetsee. Als sich der EHC Wilen-Neunforn, der keine Juniorenabteilung hat, zur Nachwuchsförderung mit dem EHC Uttwil zusammentat, lief Jürg Wiesmann einige Jahre für Letzteren auf.

Mit etwa 15 Jahren trat er seinem Herzensclub bei. «Die Mannschaft bestand hauptsächlich aus Spielern, die nie wirklich das Hockey-ABC gelernt hatten», erinnert er sich. Es folgte ein kurzer Abstecher zum HC Thurgau beziehungsweise zum EHC Frauenfeld, wo er aber nur wenig zum Einsatz kam. Als die EHCWN-Trainer Edi Frei und Martin Wasserfallen zurücktraten, fiel ihm die Entscheidung deshalb leicht. Ab der Saison 1996/1997 war Jürg Wiesmann der Chef an der Bande des damaligen Viertligisten.

«Ich hatte schon immer geglaubt, dass der Verein zu mehr fähig war, als er bis dahin zeigte.» Der Schritt von der 4. in die 3. Liga sei zwar riesig gewesen, der Aufstieg gelang in der Folge dennoch mehrmals. «Wir hatten keine Chance und fielen schnell in die untere Liga zurück», beschreibt er seine frühen Trainerjahre. Doch das habe ihn angetrieben: «Ich wollte es jedes Jahr besser machen, es immer wieder probieren.»

Auf einen Aufstieg zu verzichten, wäre für den Neunforner nie infrage gekommen. Er habe immer gesagt: «Wir gehen den sportlichen Weg. Wenn es reicht, steigen wir auf, und wenn wir ein Jahr später wieder absteigen, dann ist es halt so.» Denn Entscheidungsspiele seien die interessantesten. «Und das Gefühl beim Aufstieg ist einfach geil!»

Der Schafhirte und seine Herde
«Der EHC Wilen-Neunforn hat mich jung gehalten», ist der 48-Jährige überzeugt. Privat habe er eher mit älteren Menschen zu tun, im Sport sei er jedoch immer von jüngeren umgeben gewesen. Die stets neuen Herausforderungen hätten ihn in den letzten 24 Jahren motiviert. So sei der Verein vor etwa zehn Jahren aufgrund akuter Personalnot beinahe aufgegeben worden. Durch den Zuzug vieler neuer Akteure sei die Rettung aber gelungen.

«Da kamen neue, gut ausgebildete Spieler, die viel 1.-Liga-, NLB- oder gar NLA-Erfahrung mitbrachten.» Spieler wie Alain Bucher oder die Brüder Philipp und Tobias Bucher sowie Andreas und Matthias Schoop. «Meine Aufgabe war nun, das Team trotz stark unterschiedlicher Typen und Talente auf ein Level zu bringen, zu einer Einheit zu formen.» Er bezeichnet sich als Schafhirte, der seine Herde zusammenhält und darauf achtet, dass sie nicht vom bösen Wolf gefressen wird. «Ich finde, das ist mir gut gelungen.»

Die letzten acht, neun Jahre seien wohl die erfolgreichsten der Vereinsgeschichte gewesen. Der EHCWN hat sich mittlerweile in der 3. Liga festgesetzt und spielt in der Spitzengruppe mit. «Das lag aber nicht am Trainer, sondern an der Mannschaft!», so Jürg Wiesmann. Sie habe nun die «Manpower», die früher gefehlt habe. «Das Team ist zusammengewachsen, und die Spieler über sich hinaus.»

«Man hat gewisse Pflichten»
Eigentlich hätte seine Zeit als EHCWN-Trainer schon vor einigen Jahren enden sollen. Doch sein designierter Nachfolger erkrankte schwer und verstarb noch vor Amtsantritt. Für Jürg Wiesmann war sofort klar: «Man hat gewisse Pflichten. Für mich war es in dieser Situation, den Verein nicht hängen zu lassen.» Also führte er seine Arbeit weiter. «Ich merkte aber schon, dass ich nicht mehr denselben ‹Pfupf› hatte.»

So habe er in den letzten Jahren die Zügel immer mehr losgelassen, auch die Mannschaft Entscheidungen fällen lassen. «Es war dann eigentlich nicht mehr die Taktik von Jürg Wiesmann, sondern die des EHC Wilen-Neunforn.»

Die «Galionsfigur» geht
Wie wichtig er trotzdem noch immer für das Team war, zeigen die Reaktionen, die er auf seine Rücktrittsankündigung erhalten hat. «EHCWN ohne die Galionsfigur Jürg, kaum vorstellbar», schreibt einer. Ein anderer meint, er habe schon viele Trainer gehabt, aber noch keinen, der mit so viel Herz und Freude dabei gewesen sei. Und ein dritter fasst zusammen: «En Klassiker gaht!»

Jürg Wiesmann betont: «Wenn es die Zeit zulässt, wird man mich sicher bei den Spielen in der Eishalle sehen!» Dann aber auf der Tribüne statt an der Bande.

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite

Zeitung Online lesen Zum E-Paper

Folgen Sie uns