Weinland

Aufs Huhn gekommen

32 Hennen und ein Hahn leben im Garten von Joy Hafner. Die meisten von ihnen stammen aus Massenbetrieben und sind körperlich sowie emotional erschöpft. Mit ihrem Projekt «Altes Huhn» möchte sie auch sensibilisieren.

von Bettina Schmid
08. September 2023

Mit stolzgeschwellter schwarz-glänzender Brust schreitet Hahn Sir Henry über die Wiese und beaufsichtigt seine 32 Hennen – eine stattliche Herde. Ab und zu lässt er sein lautes «Kikerikii» ertönen. Die Hühner, die bei Joy Hafner im Garten wohnen, können ihr Leben geniessen. Scharren, picken, im Sand baden, unter herabhängenden Ästen ausruhen. Und dies alles auf einem grossen umzäunten Gelände mit diversen Unterschlupfmöglichkeiten, Grasflächen und natürlichem Schatten von zwei riesigen Bäumen. Der zweiteilige Stall ist isoliert und bietet genügend Fläche mit allerlei Sitzstangen und weichen, mit Heu und Hanfstreu gepolsterten Legenestern.

Dies war nicht immer so: Viele der Tiere stammen aus Massenbetrieben mit Bodenhaltung. «Das sind Tierhaltungen ausschliesslich im Innenbereich, die Legehennen sehen dort das Tageslicht nur durchs Fenster, fühlen keine Erde und leben in viel zu grossen Gruppen», so Joy Hafner. Ihr Leben ist zudem kurz und anstrengend. Obwohl Hühner zwischen fünf und zehn Jahre alt werden können, überleben die meisten ihr erstes Lebensjahr nicht. Nach wenigen Monaten intensiven Eierlegens werden sie vergast und durch junge Hühner ersetzt. In der Schweiz ergeht es so jährlich Tausenden von Legehennen.

Eine Stimme geben
«In den grossen Betrieben werden die Tiere nicht als Individuen gesehen und haben keine Stimme», bedauert Joy Hafner einen der vielen Aspekte, die sie an der Massentierhaltung traurig stimmen. Mit ihrem kleinen Projekt «Altes Huhn» möchte sie dies ändern und auf ihre Anliegen und die Bedürfnisse der Hühner aufmerksam machen – und ihnen ein neues Zuhause geben, anstatt sie sterben zu lassen. «Ich versuche, ihnen einen schönen Lebensabend zu schenken, sie haben so viel geleistet.»

Seit rund vier Jahren unterstützt sie Tierschutzorganisationen wie die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz, welche sogenannte Legehennen-Rettungen durchführen. Diese konnten sich mit den Inhabern verschiedener Legebetriebe darauf einigen, dass sie diejenigen Tiere übernehmen dürfen, für die sie einen neuen, artgerechten Platz finden. Solche, wie eben Joy Hafner sie anbietet, sofern sie nicht bereits voll belegt sind.

Dabei ist die Humlikerin nur durch Zufall aufs Huhn gekommen: «Ich hätte früher nie gedacht, dass ich mal Hühner halten werde.» Begonnen hat alles vor vier Jahren, als sie noch in Schänis im Kanton St. Gallen wohnte. Eines Nachmittags sei ein Bekannter ihrer damaligen Nachbarn mit Sir Henry in einer Katzentransportbox vorbeigekommen und habe jemanden gesucht, der den Hahn schnellstmöglich übernehmen konnte. Kurzentschlossen hat sie die damalige Werkstatt noch am selben Tag in ein provisorisches Gehege umgestaltet, und bereits am Abend ist Sir Henry bei ihr eingezogen.

Glück im neuen Zuhause
Natürlich benötigt ein solch schöner Hahn auch Hennen. Und so rettete Joy Hafner einige Zeit darauf die ersten Hühner vor der Schlachtung. Inzwischen ist sie absolut fasziniert von diesen, wie sie sagt, «zwar sehr schrägen, aber doch so liebenswerten, sensiblen und intelligenten Tieren, die in der Öffentlichkeit total unterschätzt werden». Vor einem Jahr ist sie nach Humlikon in ein Riegelhaus gezogen und hat dort auf der grossen Wiese ein neues, artgerechtes Zuhause für das Federvieh erschaffen. «Ich hatte grosses Glück. Bereits zuvor waren hier Hühner gehalten worden, und ein Hühnerhaus war vorhanden.» Sie habe es nur noch etwas verändern und an die Bedürfnisse ihrer Hühnerherde und des Hahns anpassen müssen.

Aus dem Hühnerhaus ist lautes Gegacker zu hören. Joy Hafner erklärt schmunzelnd, dies würden einige der Tiere machen, wenn sie ihr Ei gelegt hätten. Weshalb, weiss sie nicht genau, «vielleicht rufen sie ja nach dem Hahn». Sie ist gerne mit ihren beiden kleinen Kindern bei den Hühnern und beobachtet sie. «Hier bleibt die Zeit stehen, und es hat etwas Beruhigendes an sich.» Besonders schön sei es, wenn sie Verhaltensveränderungen an den Tieren bemerke. In der ersten Zeit nach der Rettung seien sie jeweils noch sehr scheu und schreckhaft. Nach und nach würden sie immer zutraulicher. Auch gesundheitlich gehe es dann bergauf. «Die meisten kommen aufgrund der Haltungsbedingungen in einem erschöpften und gestressten Zustand hierher.»

Hühnerpaten gesucht
Joy Hafner hat sich schon immer für Menschenrechte oder auch im Tierschutz engagiert, wie sie sagt. «Ich bewege gerne etwas und möchte am liebsten die Welt verändern.» Und eben: denjenigen eine Stimme geben, denen es nicht gut geht und die man nicht hören kann. Deshalb betreibt sie mit ihrem Hühnerprojekt auch Aufklärungsarbeit. Über artgerechte Tierhaltung etwa oder über die Folgen der Massentierhaltung. «In der Schweiz haben wir zwar viele gute Tierschutzgesetze, bei den Hühnern gibt es jedoch noch viel Luft nach oben.»

Sie führe zudem sehr gerne Kinder durch ihr Hühnergehege und lasse sie bei der Versorgung mithelfen. Es sei ihr ein Anliegen, dass sie wieder mehr zur Natur zurückfänden, die Hühner in natürlicher Umgebung kennenlernen könnten und wüssten, woher die Eier im Laden kämen. In Schänis seien ganze Schulklassen vorbeigekommen.

Auch in Humlikon möchte sie dies vermehrt anbieten. Wer sie und ihr Projekt «Altes Huhn» unterstützen möchte – «die Ausgaben belaufen sich monatlich auf mehrere Hundert Franken» –, kann die Eier direkt bei ihr oder im Unverpackt­laden Peperohni in Schaffhausen kaufen, einmalig spenden oder eine Hühner-Patenschaft für monatlich fünf respektive zehn Franken übernehmen. «Selbstverständlich kann man sein Patenhuhn regelmässig besuchen kommen, ihm auch einen Namen geben und mithelfen, falls erwünscht.» Sie habe zwei Beträge festgelegt, damit dieses Erlebnis für jeden und jede erschwinglich sei.

www.alteshuhn.ch

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