Bagger fahren für die Leinwand

Henggart - Mit 15 Jahren bekam er seine erste Rolle in einem Kinofilm. Heute steht Schauspieler Vincent Furrer als Ensemblemitglied auf der Theaterbühne in Ulm. Nächstes Jahr ist er im kürzlich prämierten «Bagger Drama» zu sehen.

Jan Wattenhofer (jwa) Publiziert: 25. Oktober 2024
Lesezeit: 4 min

Einen Bagger zu bedienen, gehört nicht zum Standardrepertoire eines Schauspielers. Vincent Furrer musste es dennoch lernen. «Und dabei kann ich nicht einmal Auto fahren», sagt der 30-jährige Henggarter am Telefon, der an diesem Nachmittag einmal nicht für seinen nächsten Auftritt am Theater Ulm proben muss. Dass er sich den Umgang mit einer solchen Baumaschine aneignen musste, überrascht beim Titel des Films kaum.

«Bagger Drama» heisst das Spielfilmdebüt des Berner Regisseurs Piet Baumgartner, das Ende September bei seiner Weltpremiere im nordspanischen San Sebastián mit dem «New-Directors-Award» ausgezeichnet wurde. Vincent Furrer übernimmt darin die Rolle von Daniel. Er ist Teil einer Familie, die ihr Geld mit dem Vermieten, Verkaufen und Reparieren von Baggern verdient. Anstatt den Betrieb zu übernehmen, will er lieber in den USA studieren. Nach dem tragischen Tod seiner Schwester zerfällt die Familie. Niemand will über Gefühle sprechen.

Neuer Dialekt, neue Perspektiven

Um sich auf den Film vorzubereiten, reichten die Fahrstunden im Bagger nicht aus. Auch sprachlich bildete sich Vincent Furrer für die Rolle weiter und lernte Berndeutsch. «Meine Mutter kommt aus Solothurn. An ihrem Dialekt konnte ich mich für meine Figur orientieren», sagt er. Zudem stand er schon vor dem Dreh in regem Austausch mit Piet Baumgartner, der ihm dabei half, an den Dialogzeilen zu feilen. Ein Aspekt in der Darstellung von Daniel beschäftigte ihn besonders: die Unfähigkeit innerhalb der Familie, miteinander zu sprechen. «Manchmal habe ich wirklich gedacht: Jetzt macht doch endlich den Mund auf und redet!» Denn aus seinem Elternhaus in Henggart kenne er das so nicht, dort sei Kommunikation enorm wichtig gewesen. Aber durch solche Rollen, die weit von seinem eigenen Charakter abweichen, lerne er viel. «Ich entwickle Mitgefühl für und neue Perspektiven auf Menschen», sagt der 30-Jährige. 

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Der Henggarter lebt und arbeitet seit vier Jahren in Ulm. | zvg

Als Darsteller schätze er beim Film vor allem die Möglichkeit, dezenter zu spielen, in mehreren Takes, und die passende Mimik zu zeigen. «Vor der Kamera ist ein natürliches Spiel gefragt», erklärt er. Die Arbeit beim Theater sei «grösser» im Ausdruck. Sie lebe mehr davon, das Publikum in einem bestimmten Moment zu erreichen. «Entweder klappt das, oder es klappt nicht.»

Wie der Vater, so der Sohn

Seit vier Jahren lebt und arbeitet Vincent Furrer in Ulm. In der Universitätsstadt an der Donau bekam er sein Erstengagement in einem festen Theaterensemble. Zuvor war er vier Jahre an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch» und lernte sein Handwerk. Doch schon vor seinem Studium in Deutschland sammelte er Schauspielerfahrung. 2010, als 15-Jähriger, mimte er einen von fünf «Stationspiraten». Seine Rolle in diesem Schweizer Krebsdrama war für ihn eine Offenbarung. «Mir wurde klar: Damit will ich meinen Lebensunterhalt verdienen», erzählt er begeistert.

Und auch sein Vater, der Henggarter Pfarrer Adrian Furrer, war bei der Berufswahl des Sohnes nicht unschuldig. Dieser stand früher selbst auf der Theaterbühne und tritt heute noch vereinzelt vor die Kamera (AZ vom 15.10.2024). Vincent Furrer erinnert sich noch lebhaft, wie ihn sein Vater als Kind hinter die Kulissen des Burgtheaters Wien führte. «Das war ein sehr prägendes Erlebnis.»

Sein Zuhause: Henggart

Nach «Bagger Drama», das erst ab 1. Mai 2025 in den Schweizer Kinos gezeigt wird, hat Vincent Furrer vorerst keine weiteren Drehs in seinem Terminkalender. «Zurzeit bin ich sowieso vollends am Ulmer Theater beschäftigt.» Bis zum Sommer sei alles durchgetaktet. Erst vor zwei Wochen feierte das Stück «James Brown trug Lockenwickler» Premiere. Ausserdem laufen bereits die Proben für die neue Inszenierung «Die Verwirrungen des Zöglings Törless». «Das ist eine harte Geschichte», deutet der 30-Jährige an.

Obwohl er schon acht Jahre in Deutschland lebt, bleibt er dem Zürcher Weinland verbunden. «Henggart ist immer noch mein Zuhause.» Spätestens über die kommenden Feiertage will er seine Eltern wieder besuchen. Und natürlich hofft er, trotz dichtem Programm am Theater Ulm, bei der Schweizer Premiere von «Bagger Drama» dabei sein zu können.