Brücken-Fan seit Kindertagen

Gütighausen - Verbindungen erschaffen ist sein Lebensziel: Peter Gysi ist fasziniert von Brücken in jeglicher Form. Früher baute er an den bekanntesten Brücken der Schweiz, jetzt baut er sie als Modelle nach.

Jasmine Beetschen
Lesezeit: 4 min

Wer den Estrich von Peter Gysi betritt, hat das Gefühl, in einer Mischung aus Planungsbüro und «Swissminiatur» zu stehen: An den Wänden hängen diverse Baupläne, dazwischen stehen verschiedene, bis ins kleinste Detail nachgebaute Modelle von Schweizer Brücken, die meisten mit historischem Hintergrund.

Im Modellbrückenbau hat der Gütighauser nämlich seine Leidenschaft entdeckt, von kurzen und geraden bis zu aussergewöhnlichen und gebogenen Brücken hat er bereits zahlreiche in feinster Handarbeit und mit viel Fingerspitzengefühl nachgebaut. «Die Brücken, die ich konstruiere, müssen eine gewisse Faszination bei mir auslösen, es muss eine besondere Brücke sein», erklärt er. Manchmal veranstalte er für sich selbst kleine Wettbewerbe, um herauszufinden, welches die passende nächste Brücke sein werde.

«Meine Faszination hat eigentlich bereits im Bubenalter begonnen», erinnert sich Peter Gysi. «Das kühne Bauwerk wirkt später für sich und verkündet der Nachwelt wenig von den Schwierigkeiten seiner Errichtung und den Sorgen seiner Erbauer», zitiert
Peter Gysi. Er aber wollte mehr erfahren. Als in seiner Kindheit dann die Wyland-Brücke gebaut wurde, liess ihn die Brückenbauerei nicht mehr los. «So machte ich eine Schreinerlehre, kam danach aber über meinen Onkel zum Beruf Schalungsbauer», so Peter Gysi.

Langeweile macht kreativ
In diesem Job kam er viel herum, ar­bei­te­te auf den unterschiedlichsten Baustellen in der Schweiz, beispielsweise an diversen Orten in Zürich, in der Nähe von Rotkreuz oder in Eptingen BL. Danach ar­bei­te­te er einige Zeit als Polier «Lehrgerüstbau». An den bekanntesten Brücken der Schweiz hat er mitgearbeitet, und sein Wissen über diese ist enorm. «Ich habe Ordner gestaltet und zu jedem Bau Bilder, Pläne und sonstige Notizen angelegt», erzählt er stolz. Bis zu seiner Pensionierung war er als Betriebsleiter in der Abteilung Wasserbau beim Amt für Abfall, Wasser, Ener­gie und Luft (AWEL) des Kantons Zürich tätig.

Als Peter Gysi im Jahr 1972 einen Unfall hatte, plagte ihn während der Genesungszeit die Langeweile. «So holte ich die Pläne, die ich damals nach Fertigstellung der Brücke in Eptingen mitgenommen hatte, hervor und probierte es einfach mal aus», erzählt der 73-Jährige. Das funktionierte und machte sogar Spass. Von da an suchte er nach immer neuen Wegen, seine Brücken in Szene zu setzen.

Die Pläne für seine Modelle besorgt er sich auf unterschiedliche Arten. So findet er sie in Zeitungsausschnitten, in den originalen Bauplänen oder in Fotografien. Auch Kurztrips ins Ausland hat er nicht gescheut, wenn dabei ein detaillierter Brückenplan herausgesprungen ist. «Die Recherche ist ein wichtiger Prozess beim Erstellen der Modellbrücken, es ist eigentlich einer der zeitintensivsten Schritte», findet Peter Gysi.

Ein gutes Netzwerk helfe dabei sehr. So könne er mittlerweile auch ohne grosse Probleme in den Archiven diverser Tiefbauämter nach Plänen stöbern und Kopien anfordern, und an manchen Orten kenne er noch die ältesten Mitarbeitenden, das sei schon hilfreich. «Die meisten kennen ‹den Vogel, der unbedingt alle Pläne will› mittlerweile gut», meint er lachend.

Über alle Ecken und Kanten
Wenn die Pläne gefunden sind, geht es an die Materialauswahl und den Ausschnitt, den er nachbauen möchte. «Der Ablauf ist eigentlich derselbe wie im realen Leben – nur geht es hier um Gramm und nicht um Tonnen», meint Peter Gysi schmunzelnd. Schnell fand er Gleichgesinnte, die seine Leidenschaft für Brückenbau teilen. So lernte er beispielsweise Hans Banholzer und Michael Hartmann an unterschiedlichen Ausstellungen zum Thema kennen.

Über Andreas Kessler, Bündner Autor des Buches «Salginatobelbrücke», kam Peter Gysi an einem Vortrag in Kontakt mit dem Schierser Gemeindepräsidenten Christoph Jaag, der wiederum eine Zusammenarbeit mit der Evangelischen Mittelschule Schiers ermöglichte. So entstand der Verein Brückenbau-Modelle (VBM), den er gemeinsam mit Hans Banholzer und Michael Hartmann gründete.

Mittlerweile ist etwa die Hälfte der Modelle von Peter Gysi in der Mittelschule ausgestellt und kann besichtigt werden. Auch weiteren Schulen und Ausstellungen stellt der VBM diverse Modelle zur Verfügung. «Meine Brücken sollen dem Betrachter einen Einblick in die Brückenbau-Technik ermöglichen und einzelne Bauabläufe oder -situationen detailgetreu abbilden», erklärt er.

Zum 150. Geburtstag Richard Corays, des berühmten Schweizer Gerüstbauers, veranstaltete der Verein eine Reihe von Werkausstellungen, die letzte fiel jedoch der Corona-Pandemie zum Opfer. «Wir können dieses Jahr leider nicht ausstellen, doch die Freude am Bauen lassen wir uns nicht nehmen», ist Peter Gysi überzeugt. Und das glaubt man ihm auch aufs Wort, denn seine Faszination fürs Brückenbauen – ob real oder im verkleinerten Massstab – ist für jedermann und -frau erkennbar.

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