Weinland

Das erste Online-Politpodium

Über 50 Personen nahmen am Politpodium der Weinländer Parteien EVP, Grüne, GLP, Die Mitte und SP zu den Agrarinitiativen teil. Zu Hause am PC. Trotz ein paar Zwischentönen wars eine gelungene Premiere.

von Roland Spalinger
14. Mai 2021

Markus Späth-Walter war begeistert. Bei einem physischen Podium hätte der SP-Kantonsrat und Gemeinderat aus Feuerthalen in die Zuschauerreihen geblickt. Am Dienstag schaute er auf seinem Bildschirm in über 50 Gesichter an der ersten Online-Veranstaltung der fünf Weinländer Mitte-links-Parteien. Hätte ihm jemand dies vor einem Jahr prophezeit, er hätte sie oder ihn laut ausgelacht. Corona sei zwar eine Belastung, habe aber eine produktive Seite, meinte er mit Blick auf die mehrheitlich «digitale ältere Generation».

Ganz ohne technische Hüpfer ging es jedoch nicht – manchmal war ein Mikrofon eingeschaltet, und statt eines Vortrags waren Gesprächsfetzen einer privaten Unterhaltung über Wäsche oder Einkauf zu hören. Oder dann lief ein Erklärfilmchen des Bundes zu den Agrarinitiativen im Hintergrund weiter. Grossmehrheitlich hatten die Teilnehmenden, die SP-Co-Präsidentin Käthi Furrer in den Chat-Room eintreten liess, ihre Computer aber im Griff.

Thema waren die beiden Abstimmungsvorlagen vom 13. Juni, die am präsentesten sind: die Agrarinitiativen.

Die Trinkwasserin­itia­ti­ve verlangt, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die auf den Einsatz von Pestiziden, auf vorbeugend oder systematisch verabreichte Antibiotika und zugekauftes Futter verzichten. Die zweite verlangt das Verbot synthetischer Pestizide und ein Einfuhrverbot für unter Pestizideinsatz hergestellte Lebensmittel.

Eine gespritzte Mandarine
Auftakt am Dienstagabend bildete der Vortrag von Jérôme Tschudi aus Biel. Beruflich hatte er als Chirurg mit Übergewichtigen zu tun, eine persönliche Erfahrung liess ihn in die Pestizidproblematik «reinknien», wie er sagte: Seine Partnerin hatte nach dem Konsum von gespritzten Mandarinen heftige Reaktionen erlitten.

Seit 80 Jahren experimentiere die Menschheit mit synthetischen Pestiziden, die künstlich hergestellt werden und nicht in der Natur vorkommen. Diese seien giftig und langlebig, kämen in Böden und Gewässern vor, in der Nahrungskette und schliesslich im Menschen als «Endlager». Er könnte tagelang über dadurch verursachte Gesundheitsschäden reden, meinte er, hatte aber bloss rund 20 Minuten zur Verfügung. Sorgen bereitet ihm, dass die Wirkung durch das Mischen von Pflanzenschutzmitteln, sogenannte Cocktails, fast nicht untersucht werden kann und dass die Menge der eingesetzten Mittel zwar abnehme, diese aber kon­zen­trier­ter seien und somit toxischer wirkten. Im Trinkwasser und Essen hätten solche Mittel nichts zu suchen und gehörten verboten.

Nicht nur die Landwirtschaft
Kantonsrat Konrad Langhart (Die Mitte) hat seinen Betrieb in Stammheim auf Bio umgestellt. «Für uns stimmts und rechnet es sich», sagte er im zweiten Programmpunkt, dem Gespräch mit Käthi Furrer. Für ihn liegt in der ganzen Debatte der Fokus aber zu sehr auf der Landwirtschaft. «Der Konsument ist wichtiger als die Abstimmung», sagte er. «Das Angebot wäre da.» Der von seinem Vorredner geäus­serten Kritik hielt er entgegen, dass nicht alle problematischen Stoffe aus der Landwirtschaft kommen, sondern auch von Kosmetik und Medikamenten Gefahren ausgehen.

Die Pestizidin­itia­ti­ve könnte er mittragen, wenn der gleiche Massstab dann auch tatsächlich bei Importware umgesetzt würde. Auch bei der Trink­wasserin­itia­ti­ve sieht er den Schwachpunkt den Import betreffend, der bei dieser Vorlage ohne Auflagen bleibt. Ferner könnten Betriebe aus den Direktzahlungen aussteigen und ihre Biodiversitätsflächen wieder intensiv bewirtschaften. Und das Verbot von Futteraustausch sei ebenfalls nicht durchdacht. Letzteres sei mit ein Grund, weshalb Biolandwirte das Nein des Verbands mittragen, sagte er auf eine Frage.

Zschunke hofft auf ein Zeichen
Amadeus Zschunke ist mit der Sativa auf Gut Rhein­au der grösste Anbieter von Biosaatgut, hergestellt von über 100 Produzenten ohne synthetische Pestizide. Für ihn ist die Pestizidin­itia­ti­ve die ausgewogenere. «Sie berücksichtigt den Import und kann langfristig etwas auslösen», sagte er im Gespräch mit Markus Späth. Die Landwirtschaft aber alleine für den Zustand von Boden und Wasser zu verteufeln, ist auch für ihn falsch. Es sei ein generelles Problem.

Er kenne keinen Landwirt, der mit Freude Pestizide verspritze, so Ama­deus Zschunke. Die Bauern befänden sich in Zwängen. Um Verbesserungen herbeizuführen, müssten auch die Konsumenten mitziehen. Er glaubt, dass die Vorlagen scheitern, hofft aber trotzdem auf hohe Zustimmungsraten. Dies als starken Auftakt für den Prozess zu einer Landwirtschaft, die es den Bauern erlaubt, zu existieren.

In der Fragerunde mit acht Wortmeldungen ging es zum Beispiel um Kartoffeln, deren Anbau «herausfordernder» wäre als heute, wie Konrad Langhart sagte. Aber wer wisse schon, welche Mittel in zehn Jahren zur Verfügung stünden, meinte er. Der Abstimmung sieht er gelassen entgegen. Er vermutet eine Ablehnung, könnte aber auch mit einem Ja leben. Das Parlament in Bern habe noch jede In­itia­ti­ve pragmatisch umgesetzt und ihren Spielraum ausgenützt, meinte er.

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