Weinland

Das Wasserrad nicht neu erfunden, aber wiederhergestellt

Ab heute Freitag sollte sich das Wasserrad an der Lindenmühle wieder drehen. Das Konstrukt ist in seiner Art im Kanton einzigartig und wurde nach drei Jahren Stillstand diese Woche wiederhergestellt.

von Eva Wanner
18. Mai 2018

So viel Aufmerksamkeit wurde der Lindenmühle schon lange nicht mehr zuteil. Pressevertreter, Neugierige, historisch Interessierte, Vertreter der kantonalen Denkmalpflege und der Gemeinde waren am Dienstag an der Strehlgasse. Sie staunten, wie die Verantwortlichen der Wagnerei Oehrli mit einem Spezialkran die Hauptwelle – den Antrieb – des Mühlerads am Aus­senbereich des Hauses Nummer 4 montierten.

Immer in vorderster Reihe dabei: Peter Bretscher. Ihm gehört das Haus, an dem das Mühlerad rekonstruiert wird. Der Historiker geht völlig auf im Projekt und hat intensive Recherchen zu Haus, Rad und Mühleraum angestellt.

Ursprünglich nur «Mühle» genannt
Begeistert erzählt er die Geschichte des Rads. Die Lindenmühle stammt aus dem Mittelalter – die ältesten Dokumente bezeichnen sie schlicht als «Mühle», was darauf hindeutet, dass sie die erste und damals einzige ihrer Art im Dorf war. Später sollte es ein Netz von sechs Mühlen am Mühlebach sein – ein in dieser Form einzigartiges Kanalsystem im Kanton und sehr selten im ganzen Land.

Um 1900 erwarb ein Metzger das Haus, das der damaligen Schlossbesitzerin gehört hatte. Der Metzger hatte grosses Interesse an der Mühle – er konnte mit Wasserkraft eine seiner Maschinen betreiben. Manchmal drehte das Rad zu schwach, deshalb installierte der damalige Besitzer einen Elektromotor, der unterstützend wirken sollte. Der Motor, und vieles mehr im Raum hinter dem Mühlerad, ist noch erhalten. «1950 schaffte sich der Metzger ein riesiges Gerät an und stellte auf Elektrizität um», so Peter Bretscher. Das Wasserrad wurde nicht mehr gebraucht und verfiel langsam, aber sicher.

1972, mit der Neugestaltung des Marktplatzes, wurde es aufgehoben. Nur wenige Jahre später setzte sich der damalige Gemeinderat dafür ein, das Rad wieder zu betreiben, sagt Gemeindeschreiber Patrick Waespi. Die Behörde sammelte Geld, und tatsächlich ratterte das Rad bald wieder. Bis vor drei Jahren, als es «den Geist aufgegeben hat», wie der Gemeindeschreiber sagt. Sie hätten dann zwei Möglichkeiten gehabt: entweder eine Totalrestauration für 190 000 Franken oder ein «Fake», der etwa die Hälfte gekostet hätte. Die Entscheidung fiel auf die teurere Variante. Die Kosten teilen sich Gemeinde und Kanton hälftig, da die Mühle unter Denkmalschutz steht.

Rekonstruktion anhand eines Fotos
Für die Spezialisten der Wagnerei Oehrli fing nach dem Beschluss der Behörden die Arbeit erst richtig an. «Wir haben etwa ein halbes Jahr Vorarbeit geleistet», so Simon Oehrli. Noch mehr wäre es gewesen, wenn Peter Bretscher sich nicht in die Vor-Vorarbeit gestürzt hätte: Zwar war vom alten Rad nur noch die Welle vorhanden, die am Dienstag montiert wurde, der Kranz ging im Lauf der Jahrzehnte verloren. Dafür besitzt der Historiker ein Foto von 1971. «Meines Erachtens das einzig existierende Foto von der Mühle», so der Historiker. Anhand der Fotografie und Berechnungen, die der Historiker angestellt hat, konnten die Mühlebauer vieles rekonstruieren.

Neu erfunden hätten sie das Wasserrad nicht, sind sich Historiker und Mühlebauer einig. Trotzdem sei es eine herausfordernde Aufgabe gewesen – und wird es noch sein, bis das Rad sich nicht nur dreht, was ab heute Freitag der Fall sein soll, sondern auch zu Schauzwecken die Mühle wieder betreibt.

Am 30. Juni soll die Lindenmühle wieder viel Besuch erhalten, wenn die Bevölkerung sie sich ansehen kann. Und am Mühletag 2019 (1. Juni) soll der wiederhergestellte Zeitzeuge seine ganze Kraft entfalten. Das Heimatkundliche Archiv Andelfingen will ihn dann einweihen, so Obmann Sepp Schneider, und eine Ausstellung rund um die Geschichte der Mühle organisieren. In der Zwischenzeit dreht sich das Rad, wie es sich lange stetig gedreht hat.

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