Weinland

Der Chlaus packt aus

Eigentlich bleibt er den Medien fern, aber die «Andelfinger Zeitung» blieb hartnäckig. Am Dienstag durften wir Chlaus und Schmutzli zum Interview treffen.

von Tizian Schöni
09. Dezember 2022

Hallo Samichlaus, schön, dass du es geschafft hast. Gerade vorneweg: Darf man «du» sagen?
Samichlaus: Ja klar, im Sinne einer modernen Teamkultur habe ich mit Schmutzli schon längst die unkomplizierte Anrede eingeführt. Was die Kinder längst begriffen haben, dauert bei den Erwachsenen meist etwas länger. Ich bleibe jedoch beim Sie.

Im Vorfeld hast du unsere Interview-Anfragen immer wieder abgelehnt. Warum?
Ehrlich gesagt bin ich kein grosser Freund der Medien. Das ganze Jahr, wenn Schmutzli und ich auf der faulen Haut liegen, interessiert ihr euch überhaupt nicht für uns. Und am 6. Dezember, unserem einzigen Arbeitstag, kommen plötzlich alle daher. Dabei sollten wir uns dann auf unseren Job und die Kinder konzentrieren.

Das tut uns leid. Gibt es viel zu tun auf den Chlaustag hin?
Allerdings. Und tendenziell wird es auch bei uns mehr. Seit ein paar Jahren machen wir unsere Besuche nach dem Chlaus-Plan 21, einem neuen pädagogischen Ansatz. Ich möchte hier nicht zu fest in die Details gehen, kurz erklärt: weniger Fitze, mehr konstruktive Kritik.

Konstruktive Kritik? Vom Chlaus?
Ja klar. Oft verweisen wir bei unserer Session mit dem Kind darauf, dass Mami und Papi unterstützen können, zum Beispiel beim Anziehen oder wenn es Streit mit den Geschwistern gibt. Oder dass man auf dem Weg in den Kindsgi auch ein Gspänli an die Hand nehmen kann, wenn man sich alleine nicht traut.

Also gibt es die althergebrachte Methode «Zuckerbrot und Peitsche» nicht mehr?
Wir haben unsere Traditionen nicht vergessen, wenn Sie das meinen. Aber versetzen Sie sich in die Lage eines Sechsjährigen, der genau weiss, dass er sein Zimmer nicht aufgeräumt hat. Und dann kommen zwei alte Männer in Schwarz, die das aus unerklärlichen Gründen genau wissen. Da braucht es keine zusätzlichen Druckmittel. Mein Tipp: Ein gutes Sprüchli ist der sicherste Weg zum Chlaussack.

Apropos Sprüchli: Was ist dieses Jahr im Trend?
Richtige Evergreens sind «Sami Niggi Näggi» oder der «Schmutzlifan». Wenn Sie einen der beiden beherrschen, sind Sie auf der sicheren Seite. Wer mehr als zwei Strophen aufsagt, gilt bei uns als «fortgeschritten», und Sprüche wie «Es dunklet scho im Tannewald» von Rudolf Ziegler oder die «Sieben Spatzen» haben Expertenstatus. Da lässt es Schmutzli dann Spanischnüssli regnen.

Welche Arbeit macht ihr nicht so gern?
Da viele Kinder ihre Nuggis dem Chlaus abgeben, müssen wir nach dem Chlaustag immer tonnenweise Plastik dem Wertstoffrecycling zuführen. Da ist Schmutzli in der Abfalllogistik gefordert. Noch schlimmer sind aber die Anrufe von verzweifelten Eltern, die im Nachgang feststellen, dass es mit dem Nuggiverzicht noch zu früh war. Dafür haben wir in den letzten Jahren eine eigene Hotline einrichten müssen.

Wann ist dein Job besonders schwer?
Wenn ich im Buch lese und da steht: «Beisst alles, was ihm in den Weg kommt.» Da kriege ich es manchmal mit der Angst zu tun. Zum Glück steht Schmutzli fest an meiner Seite.

Gibt es auch Momente, in denen du schmunzeln musst?
Meine Helferinnen und Helfer beobachten ja so einiges durch das Jahr. Da gibt es schon allerhand Einträge ins Buch. Zum Beispiel stand bei einem Bub, er solle es doch unterlassen, ständig ohne Grund die Toilettenspülung zu betätigen. Als ich einen Jungen wegen seines unaufgeräumten Zimmers tadelte, wies dieser ziemlich schnell auf das Chaos im Büro des Vaters hin. Das stand natürlich wieder nicht in meinem Buch. Und manchmal lese ich auch eine konkrete Anweisung. So musste Schmutzli dieses Jahr laut «Potz Tannenadle und Nüsslisack!» rufen, weil das die Kinder so gerne hören.

Schmutzli ist dein treuer Weggefährte, seit wann eigentlich?
Seit ich denken kann, ist Schmutzli für mich da, und ich für ihn. Wir helfen uns in allen Lebenslagen. Er hat es nicht immer einfach, besonders bei den Touren im Ausland. In Österreich hat er  schon am 5. Dezember einen Auftritt, da geht er kettenrasselnd durch die Dörfer und erschreckt die Kinder. In einigen Regionen Deutschlands wird ihm sogar vorgeworfen, böse Kinder direkt zu verspeisen!

Ist denn an dieser Geschichte was dran?
Natürlich nicht! Aber so ist es mit Brauchtum und Traditionen, da wuchert und wildert es, und so entstehen die haarsträubendsten Erzählungen. Ein Klassiker ist die Frage nach der Gewandung.

Du sprichst die Sache mit dem roten Chlaus an …
Genau. Im Weinland bin ich bis vor 20, 30 Jahren mit schwarzer Kutte und weis­sem Saum aufgetaucht, da hatte niemand was dagegen. Heute möchten die Eltern am liebsten einen roten Chlaus, wohl um den Vorstellungen der Kinder zu entsprechen. Wenn Sie meine Meinung dazu hören möchten: Eigentlich ist es völlig egal, wie der Chlaus aussieht. Wichtig ist, was er erzählt.

Trotzdem legst du Wert auf dein Aussehen, nicht?
Natürlich, eine gewisse Gepflegtheit gehört zum Job dazu. Die ausgeprägte Gesichtsbehaarung ist Einstellungskriterium, und bei Schmutzli achte ich genau darauf, dass er nicht zu oft in die Badewanne steigt. Schliesslich soll er seiner Rolle gerecht werden.

Du arbeitest ohne Arbeitsvertrag. Was erhältst du eigentlich für deine Dienste?
Der Restbestand an Mandarinen und Nüssli hilft uns über den Winter. Und nicht selten erhalten wir Geschenke und Almosen von den Kindern.

Über welche Gaben freust du dich besonders?
Das grösste Geschenk ist für mich die Kunst (siehe Bilder, Anm. der Redaktion). Besonders freue ich mich über Malerei, unsere ganze Hütte ist voll von Chlaus- und Schmutzliporträts, wir bevorzugen da Petersburger Hängung. Dieses Jahr durften wir ausserdem ein Akkordeon- und Geigenkonzert hören. Aber auch einfache, gesungene Lieder machen uns Freude. Anders als unser amerikanischer Kollege sind wir nicht so scharf auf Milch und Guetzli, aber zu etwas Wärmendem haben wir nach dem Chlausbesuch nie Nein gesagt, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Du bist schon lange auf der Welt unterwegs. Was hat sich verändert?
Wissen Sie, für die Kinder dieser Erde verändert sich eigentlich nicht viel. Klar, heute heisst es «schau nicht so viel aufs Smartphone». Aber vor zehn Jahren war es die gleiche Geschichte mit dem Fernseher, vor hundert dieselbe mit den Comics. Und vor fünfhundert Jahren wurde jeder komisch angeguckt, der seine Nase freiwillig in ein Buch steckte, statt «etwas Anständiges» zu lernen. Manchmal würde ich mir deshalb wünschen, in meinem Buch stünde mehr über die Erwachsenen  drin und weniger über die Kinder.

Weise Worte. Gibt es noch etwas, das du unseren Leserinnen und Lesern zur Weihnachtszeit mitteilen möchtest?
Wisst ihr, weshalb das Mandarinli Schnitze hat? Damit man es besser teilen kann. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

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