Weinland

«Die eigenen Bedürfnisse zum Wohle des Ganzen für einmal zurückstellen»

Um der Überpopulation von halterlosen Katzen entgegenzuwirken, führt Netap gross­flächige Kastrationsaktionen durch. Auch im Weinland ist die Tierschutzorganisation aktiv.

von Jasmine Beetschen
20. September 2022

In fast jedem zweiten Schweizer Haushalt leben Heimtiere: In etwa 12 Prozent aller Haushalte wohnt ein Hund, in 28 Prozent aller Haushalte eine Katze. Auf zehn Einwohner in der Schweiz kommen knapp zwei Katzen, womit sie das beliebteste Haustier hierzulande sind. Solange sich jemand um sie kümmert und sie artgerecht hält, ist die Verbreitung der Hauskatze an sich kein Problem. Schwierig wird es aber, sobald die Tiere unbeaufsichtigt sind.

Dies sei beispielsweise der Fall, wenn Katzen von Privatpersonen ausgesetzt oder Hofkatzen nicht kastriert würden, erklärt Esther Geisser. Sie ist die Präsidentin und Gründerin der Tierschutzorganisation Network for Animal Protection (Netap), hat Rechtswissenschaft studiert, im Bereich Human Resources gearbeitet und hat ein Diplom als Verhaltenstherapeutin für Kleintiere (I.E.T). «Auf diese Weise können Katzen sich unkon­trol­liert vermehren. Das führt zu einem grossen Katzenelend in der Schweiz, da solche Tiere weder eine medizinische noch sonst eine Versorgung erhalten.»

Hier kommt Netap auf den Plan. «Wir kümmern uns in der Regel um Tiere, für die sonst kaum jemand etwas machen würde: Das sind meist verwilderte, herrenlose oder schwerverletzte Tiere, vor allem Katzen, die niemandem zuzuordnen sind und für die entsprechend auch niemand die Verantwortung übernimmt», erklärt Esther Geisser. «Zudem unterstützen wir Landwirte, wenn sie verwilderte und zugelaufene Katzen haben, oder betreuen wilde Kolonien.»

Kastration als einzige Lösung
Eine der Hauptaufgaben, die die Organisation übernimmt, sind gross angelegte Kastrationen solcher Tiere. «Das ist die einzige Methode, die nachhaltig der unkon­trol­lier­ten Verbreitung entgegenwirkt und somit vielen Tieren qualvolle Leiden erspart», so die Tierschützerin. Letztes Jahr hat Netap in der Schweiz über 1400 Katzen einfangen und kastrieren lassen, über 500 davon brauchten zusätzlich weitergehende tiermedizinische Behandlungen und Operationen. «In diesem Sommer ist es besonders schlimm: Noch nie hatten wir so viele Einsätze.»

Auch im Weinland ist die unkon­trol­lier­te Population an verwilderten oder besitzerlosen Katzen ein Problem. «Wir sind in den meisten Kantonen der Schweiz im Einsatz, wobei 2021 14 Prozent der Katzenfälle aus dem Kanton Zürich waren», führt Esther Geisser aus. Diesen Sommer sei Netap unter anderem in den Gemeinden Berg und Buch am Irchel, Flaach, Kleinandelfingen, Dorf und Henggart im Einsatz gewesen. Vergangene Woche wurde sie nach Trüllikon gerufen.

Nur ganze Gruppe bringt Erfolg
Vor einem Einsatz werden zuerst die konkreten Umstände vor Ort geprüft. Sobald alle notwendigen Daten und erforderlichen Zustimmungen beisammen sind, wird die Organisation aktiv.

Um die Tiere einzufangen, wird vor Ort als Erstes eine spezielle Futterfalle mit einer Kamera aufgestellt. «So können wir uns einen Überblick über die Si­tua­tion verschaffen», erklärt die 53-Jährige. Es sei wichtig zu wissen, um wie viele Tiere es sich handelt, wie viele Jungtiere bei der Mutter leben und ob noch andere Katzen am Ort vorbeikommen. «Es soll kein Kitten zurückgelassen werden», fügt sie an.

Dies auch deswegen, weil die Aktion so nichts bringen würde: «Es muss sichergestellt werden, dass sämtliche Katzen einer Gruppe und laufend auch Neuzugänge kastriert werden. Denn wenn nur ein Tier unkastriert zurückbleibt, fängt das Elend wieder von vorne an.»

Sobald das Tier oder die Tiere eingefangen sind, werden sie vom Tierarzt untersucht, geimpft, entwurmt und mittels Ohrschnitt markiert oder – falls sie vermittelbar sind – gechippt. Dafür wird vorher geprüft, ob sie einen Halter haben oder tatsächlich herrenlos sind und ob sie sich auf öffentlichem Grund oder auf einem Privatareal befinden. «Je nach Si­tua­tion haben wir verschiedene Ansprechpartner wie Jagdaufsicht, Wildhüter, Veterinäramt oder Polizei», erklärt Esther Geisser.

Wann immer möglich werden die besitzerlosen Katzen in Tierheimen untergebracht. Solche aus dem Raum Andelfingen kommen meist entweder ins Tierheim Strubeli, zur Helena Frey Stiftung oder ins Tierheim des Zürcher Tierschutzes. «All diese Stellen sind aber seit diesem Sommer komplett ausgelastet, weshalb wir schon auf Plätze in Heimen in Basel, im Aargau oder auch bei Freiwilligen ausweichen müssen.»

Zusammenarbeit stärken
Um dem Problem entgegenzuwirken, müsse an der Ursache angeknüpft werden. «Die Rechnung ist einfach: Aus einem unkastrierten Katzenpaar könnten rechnerisch in zehn Jahren 80 Millionen Katzen entstehen, wenn man von konservativen 2,8 Katzenwelpen pro Wurf ausgeht und die Hälfte davon jeweils weiblich ist», erklärt Esther Geis­ser.

Es sei offensichtlich, dass es zu viele Katzen gebe, die unter solchen Bedingungen lebten. «Und trotzdem produzieren sowohl Privathalter als auch Landwirte ständig weiteren Nachwuchs.» Dabei wäre es wichtig, hier das grosse Ganze zu sehen und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. «Auch wenn Kitten herzig sind, sollte man in Anbetracht der Überpopulation konsequent auf die Vermehrung verzichten.»

Immer wieder werden Menschen der Katzen überdrüssig und setzen sie aus, vorzugsweise auf einem Hof. Das ist dann wiederum ein grosses Problem für die Landwirte, die alle Katzen vorbildlich kastriert hatten, aber durch verantwortungsloses Verhalten von anderen unverhofft zu neuen unkastrierten Katzen kommen. «Das ist dann vor allem auch unfair ge­gen­über diesen, die sich um das Wohl der Tiere kümmern», so Esther Geisser.

Umso wichtiger sei es, Verantwortung zu übernehmen und sich frühzeitig bei der Organisation zu melden, sobald auf einem Bauernhof zugelaufene Katzen auftauchten. «Gemeinsam können wir dem Problem entgegenwirken, dafür müssen aber alle Seiten mitziehen», ist sie überzeugt.

Die einzige nachhaltige Lösung, um das Katzenelend zu mindern, sei eine Kastrationspflicht, ist Esther Geisser überzeugt.
Die einzige nachhaltige Lösung, um das Katzenelend zu mindern, sei eine Kastrationspflicht, ist Esther Geisser überzeugt. / zvg

Ein Gespräch über rechtliche Aspekte, Lösungsansätze und persönliches Engagement

Esther Geisser ist Präsidentin und Gründerin der Tierschutz­organisation Network for Animal Protection, die in der gesamten Schweiz aktiv ist. Sie hat Rechtswissenschaft studiert und eine Ausbildung zur Verhaltenstherapeutin für Kleintiere absolviert.

Wie sind die Zuständigkeiten im Tierschutzbereich geregelt?
Esther Geisser: Es gibt in der Schweiz keinen eigentlichen, zentral zuständigen «Tierschutz». Diese Arbeiten werden von staatlichen Behörden – meiner Meinung nach nicht beziehungsweise nicht genügend – wahrgenommen. Glücklicherweise gibt es verschiedene Tierschutzorganisationen, die sich Tieren in Not annehmen. Einige Gemeinden haben Tierschutzbeauftragte. Aber auch da sind die Ziele sehr unterschiedlich geregelt.

Gibt es strafrechtliche Konsequenzen für das Aussetzen eines Tieres?
Das vorsätzliche Aussetzen oder Zurücklassen eines Tieres in der Absicht, sich seiner zu entledigen, ist verboten und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden. Hat der Täter fahrlässig gehandelt, kann eine Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen verfügt werden. Leider gibt es keine Kennzeichnungspflicht für Katzen, entsprechend ist es nur sehr selten möglich, den Täter zu eruieren.

Was sind die Probleme bei uns?
Das Katzenelend wird in der Schweiz von Politik und Behörden schlicht ignoriert und sogar negiert, trotz klaren Fakten. Indem aber weiterhin nichts gemacht wird, werden die Halter von ihrer Pflicht entlastet, und das Problem wird auf uns Tierschützer abgewälzt. Bis sich die Politik bewegt, wäre es wünschenswert, wenn Tierschutzorganisationen nachhaltiger arbeiten würden. Wir schulen deshalb regelmässig Tierschützer von anderen Organisationen in Bezug auf die Planung und Umsetzung von Kastrations­aktionen.

Was müsste sich ändern?
Kastrieren, kastrieren, kastrieren. Wirklich nachhaltig ändern wird sich die Situation nur mit einer Kastrationspflicht. Nur so kann man an der Quelle ansetzen.

Was kann man selber tun?
Die eigenen Katzen kastrieren und chippen lassen. Ausserdem sollte man Tiere nicht kaufen, sondern aus dem Heim adoptieren. Ebenfalls sollte man sich Katzen nur dann anschaffen, wenn man auch langfristig auf deren Bedürfnisse eingehen kann und will. Dazu gehören auch die nötigen finanziellen Mittel, falls das Tier mal verunfallen oder erkranken sollte. Zudem sollte man die Augen offenhalten und Tierschutzverstösse zur Anzeige bringen. Wer noch mehr tun möchte, kann Tierschutzorganisationen finanziell unterstützen und/oder sich als Freiwillige melden.

Interview: Jasmine Beetschen

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