Weinland

«Die Selbständigkeit wurde gefördert»

Neun Wochen lang hat der Waldhorn-Musiklehrer Sandro Pfister seine Schüler digital unterrichtet, nun startet er wieder mit dem Präsenzunterricht. Wie er diese Zeit erlebt hat, sagt er in der Serie «Corona und ich – Wyländer erzählen aus ihrem Alltag».

von Bettina Schmid aufgezeichnet
29. Mai 2020

«Zell, Mar­tha­len, Rickenbach, Hettlingen, Mar­tha­len, Dachsen, Rhein­au: Derzeit fahre ich für den wieder schrittweise aufgenommenen Präsenzunterricht kreuz und quer in meinen 21 Gemeinden umher. Die Abstecher zu mir nach Hause in Mar­tha­len sind nötig, da nicht alle Gemeinden den Musikunterricht vor Ort wieder aufgenommen haben und ich deshalb weiterhin einige Fernunterrichtslektionen via Skype abhalte.

Auch wenn die Fahrerei zeitaufwendig ist, freue ich mich sehr, zumindest einige meiner Schüler wieder vor Ort unterrichten zu können. Ab nächster Woche werde ich gar meine gesamte 32-köpfige Klasse im Einzel-Präsenzunterricht haben und endlich wieder mit ihnen gemeinsam Waldhorn spielen können. Etwas, das im digitalen Unterricht aufgrund der Zeitverzögerung nicht möglich war, mir aber sehr viel bedeutet.

Während des Lockdowns beschränkte sich meine Arbeit aufs Zuhören und Rückmeldung geben. Dies war ich zuvor nicht gewohnt. Ich bin ein aktiver Musiklehrer, spiele vor und demonstriere korrekte Haltungen. Während des Fernunterrichts war ich gezwungen, mich zurückzunehmen und die Schüler selbst eine Lösung erarbeiten zu lassen. Ihre Selbständigkeit wurde dadurch gefördert. Sie haben sich weiterentwickelt und mit viel Leidenschaft geübt. Man merkte deutlich, dass sie mehr Zeit für ihr Hobby hatten als üblich.

Arbeitsintensiver Lockdown
Ich bin sehr zufrieden, wie gut der Unterricht via Skype funktioniert hat. Viel Vorbereitungszeit blieb nicht. Als am 13. März der Lockdown verkündet wurde, spielte ich gerade mit Vereinskollegen als Brass-Quintett an einer Abdankungsfeier. Am Abend hätte die Probe eines meiner Schüler-Ensembles stattfinden sollen. Noch auf der Heimfahrt telefonierte ich mit zwei befreundeten Ärzten und erkundigte mich, ob ich die Probe noch durchführen könnte oder nicht. Da keine Dringlichkeit bestand, sagte ich sie ab und fing an, die Eltern meiner Schüler zu kontaktieren.

Für mich war gleich zu Beginn klar, dass ich die Stunden digital anbieten möchte, wann immer möglich zu den üblichen Zeiten. Dank der modernen Technik mit Computer, Kamera und Mikrofon ist so ein Fernunterricht schnell organisiert, und ich konnte gleich am Montag dar­auf starten. Mühe dagegen hatte ich in den ersten zwei Wochen mit den Kopfhörern, welche ich benutzte, um die Schüler akustisch besser wahrnehmen zu können. Die Musik höre ich sonst nicht direkt im Ohr, und die nahe Dauerbeschallung ermüdete mich stark. Deshalb gönnte ich mir regelmässige Auszeiten in der Natur, um mich in der dortigen Stille erholen zu können.

Als positiv eingestellter Mensch versuche ich, aus allem das Beste zu machen. Viel Raum, um mich über die Si­tua­tion zu sorgen, blieb mir sowieso nicht, da die Lockdown-Phase sehr arbeitsintensiv war. In den ersten Tagen half ich Eltern und Musiklehrerkollegen, sich digital aufzurüsten. An der Musikschule Weinland Nord, wo ich als Präsident amte, übernahm ich zudem gewisse zusätzliche Aufgaben zur Entlastung und Unterstützung des Schulleiters.

Waldhornverein gegründet
In der jetzigen Übergangsphase zum Präsenzunterricht beschäftigt mich die Frage, welche Musikinstrumente wieder vor Ort unterrichtet werden können und welche Schutzmassnahmen es braucht. Beim Waldhornspielen sind die Konzepte von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Bei den Blasinstrumenten stellt sich insbesondere die Frage, was mit dem Kondenswasser geschehen soll. Im Zürcher Weinland gibt es eine einheitliche Regelung: Das Kondenswasser wird in Zeitungspapier, das in einem Plastiksack liegt, aufgefangen und sofort entsorgt. Ansonsten ist das Hornspielen aber kein grosser Risikofaktor. Es werden dabei nicht mehr Aerosole ausgeschieden als beim Sprechen.

Und so arbeite ich auf das Ziel hin, nach den Sommerferien wieder mit den «normalen» En­sem­ble-Proben mit zehn bis fünfzehn Bläsern starten zu können. Den Schülern fehlt dieses gemeinsame Musizieren sehr. Bei uns Bläsern ist der Zusammenhalt und das soziale Miteinander sehr wichtig. Deshalb habe ich während des Lockdowns einen schon länger bestehenden Plan umgesetzt und den Wyländer Waldhornverein gegründet. Hier können sich ehemalige und heutige Schüler vernetzen, zusammen musizieren und nach der Coronakrise auch wieder auftreten.»

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