Weinland

Ein Garten der Erinnerungen

Mit karierten Tischtüchern, Kräutern und Gartenarbeiten Menschen mit Demenz abholen: Das Zentrum Kohlfirst konnte im Sommer seinen neu gestalteten Demenzgarten in Betrieb nehmen.

von Jasmine Beetschen
29. September 2023

Rot- und blau-weisskarierte Tischtücher liegen auf den kleinen Tischen, Töpfe mit Geranien stehen daneben, und der Duft von Lavendel und Minze erfüllt die Luft. Die Einrichtung der Terrasse der geschützten Wohngruppe für Menschen mit Demenz des Zen­trums Kohlfirst erinnert an frühere Tage. Und das bewusst: «Mit diesen Elementen möchten wir an die Erinnerungen der Bewohnenden anknüpfen», erklärt Pflegedienstleiterin Constanze Böhm bei einem Rundgang durch den neu gestalteten Demenzgarten.

Dieser soll den Bewohnenden mehr Gelegenheit zum Draussensein bieten. Zusätzlich nutzt Gartentherapeutin Monika Stahel die Anlage für verschiedene Aktivitäten. «Kräuter anbauen, Erdbeeren ins Hochbeet pflanzen, Blumen schneiden oder Gurken ernten – ein Garten bietet zahlreiche Möglichkeiten der Aktivierung», erklärt sie. Dabei spiele es keine Rolle, wer wie viel machen möchte. «Hier gilt: Dabei sein ist alles.» Aktivitäten im Garten bieten sich besonders für Menschen mit Demenz an, da der Mensch im Garten ganzheitlich angesprochen wird. Und das Gärtnern weckt bei vielen Erinnerungen an vergangene Zeiten, als sie vielleicht selbst einen Garten pflegten.

Erinnerungen an früher wecken
Die Arbeit mit den Händen sei für Demenzerkrankte daher eine wichtige Aktivität. «Wer nach und nach die kognitiven Fähigkeiten verliert, dessen andere Sinne werden, wie zum Beispiel bei sehbehinderten Menschen, geschärft», erklärt die Gartentherapeutin. Fühlen, Riechen, Schmecken gewinnen so noch mehr an Bedeutung. Über die Sinne könne zudem oftmals ein Zugang gefunden werden. «Einige erinnern sich an Gerüche von früher, oder ihnen fallen plötzlich Geschichten zu einem Geschmack ein», so Constanze Böhm. Bei der Gartenarbeit gehe es in der Regel aber nicht darum, Fähigkeiten zurückzuholen, sondern mehr ein Gefühl des Vertrauten hervorzuholen.

Im Garten sind verschiedene Kräuter und Gemüsesorten angepflanzt, von Gurken über Erdbeeren bis hin zu Salbei und unterschiedlichen Minzen. Wichtig bei der Auswahl der Pflanzen sei vor allem, dass sie ungiftig und einfach in der Pflege seien. «Sie sollten nicht gleichkaputtgehen, wenn jemand etwas gröber damit umgeht, und natürlich sollte es kein Problem sein, wenn sie beim Werken mal bei jemandem im Mund verschwinden», erklärt Monika Stahel lachend.

Bereits im Juni wurden die ersten Arbeiten aufgenommen. So kümmerten sich einige Bewohnende beispielsweise um die Erdbeeren und pflanzten diese in Joghurtbecher um. «Dabei geht es nicht darum, die Arbeit perfekt zu machen. Fehler sind erlaubt, an erster Stelle steht das Mitmachen», erklärt Monika Stahel. Auf dem Platz ist alles dar­auf ausgelegt, dass die Bewohnenden sich barrierefrei bewegen können. «Alles im Garten ist so angelegt, dass es vom Rollstuhl aus oder mit Gehhilfe genutzt werden kann. Das Hochbeet steht auf Rollen und hat wie die Tische eine Höhe, die auch für Rollstühle passt», erklärt Monika Stahel.

Auch das Gemüsebeet ist lediglich knapp 20 Zentimeter tief und wiederum auf einer Höhe, die gut sitzend erreicht werden kann. «Viele Bewohnende haben grosse Freude an der etwas dreckigen Arbeit, andere wiederum widmen sich lieber dem Abzupfen von alten Blättern», ergänzt Constanze Böhm. «Und auch wenn manche selber nicht mehr mit anpacken möchten, Tipps haben viele noch bereit und geben diese auch sehr gerne an andere weiter», weiss die Gartentherapeutin. Das gebe einen schönen Austausch und viel Abwechslung in den Heim­alltag.

Ein weiterer Vorteil eines Demenzgartens sei, dass die Bewohnenden die Aussenwelt spürten. «Sie können nach draussen gehen, spüren, wenn ein Wind geht oder wenn es im Herbst kälter wird und die Blätter sich verfärben», so Constanze Böhm. «Die Jahreszeiten erlebbarer machen», ergänzt Monika Stahel. So könne im Winter auch einmal etwas Schnee auf den Tischen verteilt werden. Diesen wieder einmal zu spüren, könne gute Gefühle auslösen und als schöne Aktivierung dienen.

Ein Rundgang für die Sinne
Wer sich noch etwas mehr bewegen möchte, kann sich auf den kleinen Rundweg direkt neben der Terrasse begeben. Dieser führt in einem geschlossenen Kreis einmal rundherum, vorbei an hohen Gräsern und blühenden Blumen mit unterschiedlichen Strukturen. Manche Pflanzen haben dicke, fleischige Blätter oder lustige Blüten, wieder andere kitzeln mit ihren haarigen Fasern. «Auf dem Rundgang stehen das Sehen, Spüren und Erleben im Vordergrund», erklärt Monika Stahel.

«Die Pflanzen stehen so, dass sie beim Vorbeigehen oder beim Verweilen auf den Sitzbänken mit den Händen berührt werden können», sagt Constanze Böhm. Beim Anlegen des Gartens war wichtig, dass von überallher leicht wieder zum Hauseingang gefunden werden kann. Solche Punkte müssen bereits bei der Planung eines Demenzgartens durchdacht und sorgfältig umgesetzt werden.

Konzepte der Zukunft
Eine allgemeingültige Anleitung für den perfekten Demenzgarten gebe es jedoch nicht. «Eine solche Anlage ist immer sehr individuell und auf die speziellen Bedürfnisse der Abteilung ausgelegt», erklärt Monika Stahel. So gebe es auch unterschiedliche Konzepte und weitere Elemente, die eingebaut werden könnten, wie zum Beispiel Hand­läufe, Wind- und Wasserspiele oder Ähnliches. Die Gartentherapeutin sieht in dieser Art der Aus­sengestaltung von Pflegeheimen gros­ses Potenzial.

In der Schweiz sei diese Art der Akti­vierung leider noch wenig verbreitet. Im Hinblick auf die zunehmende Zahl an Demenzerkrankten würden sich aber solche Konzepte für Pflegeheime  und Wohngruppen bestens anbieten. «Die Natur bietet so viele Möglichkeiten, um Berührungspunkte zu schaffen», ist sie überzeugt. Dieses Potenzial sollte unbedingt noch mehr genutzt werden. «Denn was gibt es Schöneres, als sich draussen mit der Natur zu beschäftigen und über Düfte und Geschmäcker Erinnerungen aufleben zu lassen?»

Ursula Jarvis gab Tipps zum Umgang mit Menschen mit Demenz.
Ursula Jarvis gab Tipps zum Umgang mit Menschen mit Demenz. / zvg

«Der Umgang mit demenzkranken Menschen ist Detektivarbeit»

Stammheim Wie kann ich Menschen mit Demenz besser verstehen und sie achtsam begleiten? Über 100 Besucherinnen und Besucher erhielten dazu Tipps von Sozialbegleiterin Ursula Jarvis.

«Ganz wichtig: Es gibt kein allgemeingültiges Richtig oder Falsch im Umgang mit Menschen mit Demenz. Jeder Verlauf ist anders, wie auch jeder Mensch anders ist.» Dies betonte Ursula Jarvis immer wieder während ihres Referats, das sie vor Kurzem in Oberstammheim hielt. Die Sozial­begleiterin und Erwachsenenbildnerin gab den über 100 Anwesenden Tipps, wie sie demenzkranken Menschen begegnen und auf deren Gefühlswelt eingehen können.

«Bei Menschen mit Demenz gehen Schritt für Schritt alle Fähigkeiten verloren, die wir einmal erlernt haben. Was jedoch bleibt, sind die Gefühle, die emotionale Sinneswelt», erklärte Ursula Jarvis.

Daher sei es wichtig, zu versuchen, auf dieser Ebene einen Zugang zu schaffen. Was dies jedoch oftmals erschwere, sei, dass diese Gefühle mit der Zeit nicht mehr geordnet und entsprechend abgelegt werden könnten. «Der Umgang mit Menschen mit Demenz wird oftmals zur Detektivarbeit, da wir Bedürfnisse und Emotionen ablesen und individuelle Anknüpfungspunkte finden müssen.»

Frühe Abklärung ist das A und O
Um besser auf diese Bedürfnisse eingehen zu können, sei eine frühe Abklärung dringend zu empfehlen. Wer bei einem Familienmitglied oder einer Person aus dem näheren Umfeld Symp­tome beobachtet, die auf eine Demenz­erkrankung hinweisen, sollte unbedingt das Gespräch suchen.  Nicht immer sei dies leicht. «Viele Patienten weigern sich, die Krankheit einzugestehen. Dies oft aus Scham oder auch aus Angst», erklärte Ursula Jarvis.

Solche Menschen entwickelten oft erstaunliche Strategien, vor allem am Anfang einer Erkrankung könne vieles noch kompensiert werden. All das brauche jedoch enorm viel Energie. Eine offizielle Abklärung  –zum Beispiel in einer Memory-Klinik – sei daher das A und O. «Denn auch wenn es keine Heilung gibt, so gibt es Behandlungsmethoden, um die Lebensqualität erhalten zu können.»

Auch in einer Partnerschaft könne eine Diagnose helfen. Oft führt das veränderte Verhalten einer an Demenz erkrankten Person zu Beziehungs­problemen und Unstimmigkeiten. «Dass hinter solchen Verhaltensmustern keine Absicht steckt, sondern eben die Krankheit, nimmt oft den Druck raus», so die Erwachsenenbildnerin.

Zudem ermögliche eine Diagnose, offener über die Zukunft zu sprechen, Angelegenheiten früh genug regeln zu können und dem Umfeld mitzuteilen, welche Wünsche man fürs Alter habe. «Wenn die Demenz weiter fortgeschritten ist, sind solche Abmachungen nur noch schwer bis gar nicht mehr möglich.»

Würde und Respekt bewahren
Bei einer Demenz können grob drei Phasen definiert werden. In der ersten Phase kann die Person noch gut alleine leben und kommt relativ gut klar. Hier bieten sich Haushaltshilfen oder ähnliche Angebote an. In der zweiten Phase braucht die Person mehr Unterstützung. «Dies ist auch die Phase, in der die Verwirrung und Orientierungslosigkeit vermehrt einsetzt», so die Referentin. In der dritten Phase verlieren die Menschen mit Demenz ihre Fähigkeiten wie Sprechen, Essen oder Bewegung. Hier ist eine komplette Unterstützung nötig.

«Zögern Sie nicht, sich Hilfe zu holen, und wenden Sie sich an Unterstützungsstellen», ermutigte Ursula Jarvis die Anwesenden. Denn die Pflege sei oft eine schwere Last und solle nicht zu Überforderung führen. Ursula Jarvis ist überzeugt: Die Hauptaufgabe der Angehörigen ist in erster Linie, die eigene Gesundheit nicht zu vernachlässigen und die Würde der Erkrankten zu bewahren. «Auch wenn sie durch den Verlust der kognitiven Fähigkeiten allmählich kleinen Kindern ähneln, sind es doch Menschen, die einen grossen Teil ihres Lebens hinter sich und viel geleistet haben. Das darf nicht vergessen werden!»

So sei ein wichtiger Punkt im Umgang mit erkrankten Personen die eigene Haltung. «Wer respektvoll miteinander umgeht, der macht schon vieles richtig. Und das können wir alle.» (jbe)

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