Weinland

Ein Gruppenfahrrad für den Turnverein

Aussergewöhnlich ist das Eigentum des TV Dinhard definitiv. Seit bald 40 Jahren sorgt der Verein mit seinem TV-Velo für Aufmerksamkeit.

von Manuel Sackmann
13. August 2019

Ursprünglich wurde es durch reine Manneskraft angetrieben. Erst seit dem Zusammenschluss der Herren- und der Damenabteilung sind auch die Frauen auf dem Gefährt willkommen. Die Rede ist vom sogenannten TV-Velo des Turnvereins Dinhard. Wobei: Optisch ähnelt es einem Fahrrad kaum. Vier Räder, vorne eine Fahrerbank mit Steuerrad und Bremspedal, dahinter vier Sitzreihen für je drei Personen. Jeder Mitfahrer hat einen Getränkehalter vor sich – und Pedale unter sich.

Es ist der einzige Antrieb, ein Motor ist nicht vorhanden. Dafür ist das Fahrzeug mit Licht und einem Blinker ausgestattet. «Wir haben einige Male versucht, die Strassenzulassung zu bekommen – leider ohne Erfolg», sagt Samuel Maron. Als ehemaliger Vereinspräsident hat er schon viel Zeit auf dem aus­sergewöhnlichen Fortbewegungsmittel verbracht.

Doch auch ohne Zulassung begleitet das TV-Velo seine menschlichen Motoren an die meisten Turnfeste. «Wenn möglich, machen wir damit zwei bis drei Mal die Runde übers Gelände.» Hinzu kommen Einsätze an Festum­zügen – so auch am Eidgenössischen Turnfest in Aarau. An die Wettkämpfe transportiert wird es auf einem Anhänger. «Es wurde zu einer Art Statussymbol für uns», so Samuel Maron. «Und es dient als guter Treffpunkt, der Verein bleibt zusammen.» Ist das Gefährt für einmal nicht mit dabei, sei eine gewisse Enttäuschung spürbar. Ausserdem verteilten sich die Turner viel schneller.

In Altikon geboren
Das TV-Velo existiert schon lange. Die ursprüngliche Version bestand tatsächlich noch aus zahlreichen Fahrrädern. Gebaut hatte es ein Verein aus Altikon, der TV Dinhard übernahm es Anfang der 80er-Jahre in schlechtem Zustand und brachte es wieder auf Vordermann. Mitte der 90er verzichtete man aber auf eine wiederholte Renovation. Stattdessen entschieden sich die Turner für eine komplette Neukon­struktion.

Im Winter 1995/1996 entstand das derzeitige Modell der Marke Eigenbau. Die Fahrräder verschwanden, geblieben ist der Pedalantrieb. «Der Abstand zwischen Sitzplatz und Pedalen nimmt von vorne nach hinten zu», erklärt der Ex-Präsident. So könnten sowohl gros­se als auch weniger grossgewachsene Personen bequem strampeln. Das gehe übrigens sehr gut – sofern das TV-Velo nicht überladen ist und es nicht zu stark bergauf geht. «Es hat keine Gangschaltung», erklärt Samuel Maron. «Dafür geht es umso leichter bergab.»

Auf Sämaschinensuche
Während der Wettkämpfe kann das Fahrzeug nicht permanent beaufsichtigt werden. Probleme hätten sie aber selten, auch dank einem Radschloss am Steuerrad, sagt der Ex-Präsident. «Fremde können so höchstens etwas im Kreis fahren.» Nur einmal habe ein anderer Verein versucht, das Dinharder TV-Velo einen Hügel hinabzustossen. «Das konnten wir zum Glück verhindern.» Solche Vorfälle seien jedoch die Ausnahme.

Kaputt geht dennoch gelegentlich etwas. «Meist, wenn wir etwas übermütig werden», sagt Samuel Maron schmunzelnd. So sei man schon einige Male mit Pfosten oder Festbänken kollidiert. Reparaturen seien allerdings nicht immer ganz einfach. «Die Hinterräder sind bald abgenutzt.» Das Problem dabei: «Sie stammen von einer alten Sämaschine.» Ersatz ist in der Schweiz kaum mehr zu finden. Möglicherweise hätten sie im nahen Ausland Glück. «Ansonsten müssen wir weiter im Osten suchen, wo solche Geräte noch häufiger anzutreffen sind.»

Braucht der TV seinen Gruppendrahtesel gerade nicht selbst, wird er vermietet. «Wir haben zwei bis drei Anfragen pro Jahr», so Samuel Maron. Meist handle es sich dabei um Polterabende, Hochzeiten, Fasnachtsfeiern und dergleichen. Es müssen also nicht immer nur Turnerschenkel sein, die das Gefährt bewegen.


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Über die Sommerzeit stellt die «Andelfinger Zeitung» aussergewöhnliche Gefährte und die Geschichten dahinter vor. «Ein Bonbon auf Rädern» ist der zehnte Beitrag der Serie.

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