Weinland

Ein Lehrbetrieb macht «Feierabend»

Eigentlich sind Autos ihr Metier. Doch bis im Sommer arbeiten zwei Lernende der Carrosserie Gehrig GmbH an einem ganz besonderen Projekt und bringen einen Feierabend-Bob wieder auf Vordermann.

von Manuel Sackmann
22. Januar 2021

Fritz Feierabend war ein Schweizer Bobrennfahrer, der zwischen 1933 und 1955 zu den Besten seines Fachs gehörte. Er gewann sechsmal Gold, dreimal Silber und dreimal Bronze an Weltmeisterschaften, dreimal Silber und zweimal Bronze an Olympischen Spielen und konnte sich zudem fünfmal zum Schweizer Meister küren lassen. Mit seinem Vater Carl konstruierte er den weltweit ersten, vollständig aus Stahl bestehenden Bobschlitten, der als Feierabend-Bob bekannt wurde und fortan die Eiskanäle dieser Welt dominierte.

Ein solch geschichtsträchtiges Gefährt steht seit kurzem wieder im Mittelpunkt – nicht in Lake Placid, Königsee oder St. Moritz, sondern in Kleinandelfingen. Der Carrosseriebetrieb Gehrig wird den Bob als Lehrlingsprojekt.originalgetreu restaurieren. Die Lackierung sollte denn auch bis im Sommer drauf sein, wie Inhaber Roger Gehrig erklärt: «Severin Sommer, der dafür zuständig ist, ist bereits im vierten und letzten Ausbildungsjahr.»

Nebst dem angehenden Lackierer ist mit Yannick Keller auch ein Spengler im zweiten Lehrjahr am Projekt beteiligt. Für ihn komme die Aufgabe eigentlich noch etwas zu früh, so der Chef. Das Problem sei beispielsweise die Anfertigung der passenden Bleche. «Die Spenglerausbildung entfernt sich immer mehr davon, Restaurator ist mittlerweile ein eigenständiger Beruf.» Es dürfte also einiges an Ausschuss geben, bis das Ergebnis zufriedenstellend ist. «Vielleicht muss er ein Blech viermal machen, und erst beim fünften Mal passt es.» Doch der Geschäftsleiter glaubt an den Nachwuchs in seinem Betrieb: «Er wird an der Herausforderung wachsen und sie am Ende meistern.»

Von der Tiroler Tenne ins Weinland
Doch wie kommt ein Weinländer Carrosseriebetrieb an einen rund 70 Jahre alten Bob? Dafür ist Marcus Schmid verantwortlich. Der Andelfinger kennt sich mit alten Schlitten aus, ist er doch Gründungsmitglied des Oldiebob-Clubs Bivio. «Vor etwa 15 Jahren konnten wir als Statisten im Film ‹Schwere Jungs› mitspielen», sagt er. Der Streifen handelt unter anderem von den Olympischen Winterspielen 1952 in Oslo. Die Bob-Szenen wurden in St. Moritz gedreht, Marcus Schmid und seine Kollegen rasten für die Kameras in einem zeitgemässen Bob die Bahn hinunter. Es war die Initialzündung zur Gründung des Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hat, alte Schlitten zu restaurieren, zu erhalten und auch aktiv zu fahren. «Holzschlitten gibt es zuhauf, aber gut erhaltene Metallschlitten sind selten», sagt der Bob-Enthusiast. Vor zwei Jahren erhielt er einen Anruf aus Innsbruck, dass ein solcher Schlitten gefunden worden sei. «Der Bob lag wohl in einer Tenne im Tirol.» Da er schon einmal mit Roger Gehrig bei einer Restauration kooperiert hat («AZ» vom 12.7.2011), kontaktierte er ihn abermals. Der Carosseriefachmann war sofort begeistert, das Lehrlingsprojekt war geboren.

«Man darf nicht zu gut arbeiten»
In den nächsten Monaten wird der ganze Schlitten demontiert, sandgestrahlt, die Bleche werden bearbeitet oder neu angefertigt und am Ende lackiert und wieder zusammengebaut, damit das Gefährt im Sommer wieder in alter Pracht erstrahlt. Dabei gibt es eine besondere Herausforderung, wie Roger Gehrig betont: «Man darf nicht zu gut arbeiten.» Am Ende soll der Bob möglichst originalgetreu sein – sowohl farblich als auch bezüglich Material. «Wenn alles spiegelglatt und beulenfrei ist, wäre das nicht authentisch.»

Damit ein solches Projekt gelingt, ist viel Betreuung nötig. Für Roger Gehrig ist es deshalb nicht nur ein Lehrlings-, sondern auch ein Ausbildnerprojekt. «Ich möchte eine ordentliche Vorbereitung, eine saubere Dokumentation und klare Anweisungen sehen», sagt er. Seine Firma habe einen sehr guten Ruf als Lehrbetrieb. Durch das Projekt würden Lernende und Betreuer gleichermassen gefordert und gefördert, was die Qualität der Ausbildung weiter steigere.

Noch steht das Restaurationsteam  ganz am Anfang, bis im Sommer gibt es noch viel zu tun. Doch die grosse Arbeit soll nach Möglichkeit auch belohnt werden – mit einer Fahrt im neuen alten Feierabend-Bob in St. Moritz.

Eine Auswahl weiterer Bob-Geschichten in der «Andelfinger Zeitung»: 12.7.2011, 21.2.2014, 12.12.2014, 13.2.2015, 20.2.2015, 24.2.2015, 24.10.2017.
Oldiebob-Club Bivio

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