Ein Wimmelbuch fürs Weinland

Trüllikon - Bald wuseln Hunderte Figuren über neun Schauplätze im Zürcher Weinland: Die beiden Freundinnen Katrin Germann und Moni Schmid arbeiten am ersten Wyland-Wimmelbuch. Die Veröffentlichung ist auf den Spätherbst geplant.

Bettina Schmid
Lesezeit: 3 min

Wer kennt sie nicht, die beliebten Kinderbücher, in denen unzählige herumwuselnde Figuren zu sehen sind und jede von ihnen eine eigene kleine Geschichte erzählt. Katrin Germann und Moni Schmid sind mit Wimmelbüchern aufgewachsen und schauen sie inzwischen auch gerne mit ihren Kindern an. «Wir haben das gesamte Arsenal von Ali Mitgutsch bis ‹Wo ist Walter› und von verschiedenen Regionen im Büchergestell», sagt Katrin Germann. Aber das Weinland fehlt.

Im Herbst 2021 entschloss sie sich kurzerhand, dies zu ändern, und fragte ihre Schulfreundin Moni Schmid an, ob sie bei diesem Projekt mitmachen würde. «Es brauchte keine Überredungskunst.» Ihre Antwort sei sofort «ja klar» gewesen. Ein Glücksfall, denn Moni Schmid ist eine begabte Künstlerin und illustriert das Buch, die Radiomoderatorin Katrin Germann ist fürs Organisatorische und Administrative zuständig und beteiligt sich am kreativen und gestalterischen Prozess, an der Erarbeitung des Buchinhaltes sowie an der Sujetauswahl.

Mit Willy und Wanda durchs Jahr
Seit dieser ersten Besprechung ist viel passiert. Katrin Germann und Moni Schmid haben gemeinsam ein Konzept geschrieben, die Schauplätze ausgewählt, eine Website aufgeschaltet und erste Skizzen und Zeichnungen gefertigt. Auch der rote Faden des Buches steht bereits fest. Die beiden Hauptfiguren sind Willy und Wanda, zwei junge Menschen, die sich ineinander verlieben und während eines Jahres allerlei erleben im Zürcher Weinland. So be­suchen sie etwa den Husemersee oder die Gemeinden Marthalen, Rheinau, Flaach, Waltalingen, Andelfingen, Benken, Kleinandelfingen und Dachsen.

Seit Katrin Germann und Moni Schmid Anfang Januar dieses Jahres ihr Projekt auf Social-Media-Kanälen wie Facebook und Instagram vorgestellt haben, werden sie mit Anfragen überhäuft. Nach 14 Tagen hätten sie bereits über 750 Buchvorbestellungen und Dutzende Anfragen von regionalen Firmen gehabt, die Teil des Wimmelbuches sein wollen. Ihr Ziel sei immer gewesen, ein Gemeinschaftswerk für und mit der Bevölkerung und den Unternehmen der Region zu erschaffen, sagt Moni Schmid. Und dies scheint nun zu gelingen. Die grosse Nachfrage sei ein tolles Gefühl und motiviere sie, «mit viel Herzblut» weiterzumachen.

Ein Bild aus 44'000 Pinselstrichen
Denn der zeitliche Aufwand ist enorm. Inzwischen hat Moni Schmid das erste von sieben Bildern fertiggestellt, über 40 Stunden und 44'000 Pinselstriche hat sie investiert. Dies weiss sie so genau, weil das elektronische Zeichnungstool, das sie verwendet, alle Arbeitsschritte aufzeichnet. Auf dem Computer mit einem Stift zu zeichnen, sei völliges Neuland für sie, erzählt Moni Schmid. Bisher habe sie ausschliesslich konventionell gemalt. Von den neuen Möglichkeiten, welche die Elektronik bietet, ist sie begeistert. Es vereinfache vieles, gerade beim Arbeiten in einem Wimmelbuch. Man könne das Bild immer wieder verändern, Dinge hinzufügen oder auch heranzoomen, um etwa die Details der kleinen Figuren besser ausarbeiten zu können.

Auch Katrin Germann wird es nicht langweilig. Zurzeit beantworte sie vor allem Anfragen von regionalen Firmen, welche als «Wimmelkomplizen» im Buch eingebunden werden möchten. Diese würden sie dann gegen einen finanziellen Beitrag zeichnen und möglichst fantasievoll ins Gewimmel integrieren (Anmerkung der Redaktion: Auch die «Andelfinger Zeitung» wird im Wimmelbuch vertreten sein). Das Interesse sei so gross gewesen, dass sie nach gut zwei Wochen mit rund 40 Komplizen bereits voll gewesen seien. «Deshalb haben wir vor wenigen Tagen kurzerhand nochmals unser ganzes Konzept umgestellt und uns entschlossen, das Buch um zwei auf gesamthaft neun Doppelseiten zu vergrössern», so Katrin Germann. Dennoch übersteigt die Nachfrage bereits das Angebot. «Wir werden wohl künftig Anfragen ablehnen müssen.»

Überwältigt vom grossen Interesse können sich die beiden Initiantinnen auch gut ein zweites Wyland-Wimmelbuch vorstellen. «Es gibt ja noch viele weitere schöne Schauplätze und Gemeinden im Zürcher Weinland», sagt Moni Schmid schmunzelnd. Dies jedoch erst im nächsten Jahr, denn zuerst heisst es ja nun einmal, das erste Buch fertigzustellen – die Veröffentlichung ist auf den Spätherbst 2022 geplant.

www.wyland-wimmelbuch.ch

Der Vater der Wimmelbücher

Er packte Geschichten neben- statt hintereinander, «weil Kinder so sehen und denken»: Ali Mitgutsch, der Erfinder der Wimmelbücher. Der Künstler wurde am 21. August 1935 in München geboren und starb kürzlich, am 10. Januar 2022, in seiner Heimatstadt München.

Seine Karriere begann er als Grafiker, wie der Ravensburger Verlag, wo viele seiner Bücher erschienen, in einer Würdigung mitteilte. 1968 veröffentlichte er sein erstes Wimmelbuch «Rundherum in meiner Stadt». Anschliessend seien mehr als 70 Bücher, Poster und Puzzles mit seinen Figuren und Zeichnungen erschienen. «Ali Mitgutsch schafft es, das Augenmerk auf Kleinigkeiten zu lenken und den Betrachter Teil seines hellwachen Blicks werden zu lassen. Sein Blick in ein Mehrfamilien- und Mehrgenerationenhaus gehört genauso zu den Klassikern wie die Suche nach den pinkelnden kleinen Jungen. Und wer ganz genau hinschaut, entdeckt auch die ein oder andere Ungereimtheit, wie zum Beispiel eine fehlende Anhängerkuppelung.»

Auch die Nachrichtenagentur Key­stone-SDA würdigte sein Schaffen: Seine Wimmelbücher würden ohne Worte und farbenfroh Alltagsgeschichten erzählen. «Der humorvolle und oft entlarvende Blick auf Missgeschicke, Absurditäten und das Komische in Alltag und Beziehungen floss in seine sich selbst erzählenden Geschichtenbücher ein, wie er seine Wimmelwelten bezeichnete.»

Im Jahr 1969 erhielt der «Vater der Wimmelbücher» den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis, später den Hans-Christian-Andersen-Preis sowie eine der höchsten Auszeichnungen, die die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat, das Bundesverdienstkreuz. (bsc)