Weinland

Ein Wolf sorgt für Aufregung

Im Zürcher Weinland ist ein einzelner Wolf gesichtet worden. Nutztierhaltende wurden aufgerufen, ihre Tiere zu schützen. Vermutlich kam der Wolf aus dem nahen Deutschland, weiss Jagdpächter René Möckli, der die Reise des Wolfs rekonstruierte.

von Jasmine Beetschen
22. März 2024

«Hallo geschätzte Jagdkameraden, soeben erfahre ich, dass heute Morgen um etwa acht Uhr auf der Schulwiese in Stein am Rhein von verschiedenen Personen (Schulabwart, Anwohner, Handwerker) und auch in Ramsen ein Wolf gesichtet wurde. Wisst ihr mehr?» Diese Meldung ging am Dienstag durch den Gruppenchat einer nahen Jagdgesellschaft. Dies, nachdem mehrere Sichtungen eines Wolfes im Siedlungsraum bestätigt worden waren. Die Jäger nahmen die Meldungen über das Tier, das vom Thurgau her ins Weinland zog, gelassen auf. Auch René Möckli, Jagdpächter und -aufseher im Diessenhofer Buchberg-­Revier, versteht die Aufregung nicht wirklich: «Es ist ein Raubwild, das wohl künftig häufiger auch hier bei uns anzutreffen sein wird.» Im Nachbarrevier zwischen Schlattingen und Basadingen waren die ersten Meldungen zum Wolf eingegangen.

Mit Aufregung meint er vor allem die Berichterstattung in diversen Medien sowie einzelne Reaktionen. Innert kürzester Zeit gingen Bilder und Videos viral, die den Rüden auf seinem Streifzug durch die Siedlungsräume zeigen. Beim Vitaparcours in Andelfingen löste die Sichtung gar einen Polizei­einsatz aus, wie der «Landbote» schreibt. «Man stelle sich vor, im Bündnerland würde bei jedem Wolf die Polizei gerufen», meint er dazu.

Der Wolf im Weinland ist vielleicht aufgrund der Paarungszeit oder der Suche nach einem neuen Revier unterwegs. «Dabei legen sie auch grosse Strecken zurück: Pro Nacht 60 bis 70 Kilometer», weiss René Möckli.

Über die Grenze ins Weinland
Anhand von Sichtungen, teils mit eindrücklichen Videos belegt, und Meldungen aus dem nahen Deutschland lässt sich die Route des Tieres relativ gut zurückverfolgen. In einem ersten Video streifte es von Wangen nach Öhningen (D). Danach ging es nach Stein am Rhein, Ramsen und – entweder über den Rhein oder über die Autobrücke – in Richtung Basadingen/Schlattingen. Von dort aus machte es sich auf den Weg ins Weinland, über Truttikon, Andelfingen und Dorf, bis es zuletzt in Buch am Irchel gesichtet wurde. Die kantonale Fischerei- und Jagdverwaltung stufte die Meldungen am Dienstag als «zuverlässig» ein. In einem SMS-Alarm an die Bäuerinnen und Bauern in der Region bat sie diese, ihre Tiere die nächsten Tage während der Nacht einzustallen oder anderweitig zu schützen.

Wolf löst Grundsatzfrage aus
Die aktuelle Sichtung und die Reaktionen darauf sind für René Möckli ein Spiegel der Gesellschaft, wie mit dem Thema umgegangen werde. «In verschiedensten Gesprächen und Diskussionen ist mir aufgefallen, dass die gelassensten Reaktionen aus Jägerkreisen kamen.» Und das, obwohl der Wolf dasselbe Beuteschema habe, sprich als Beutekonkurrent auftrete. «Mit der Pacht wird für das Wild in unseren Wäldern gezahlt.» Auch beispielsweise die Landwirtschaft ist betroffen: Nutztiere werden ebenfalls in den Speiseplan des Raubtiers aufgenommen. Wenn man den Wolf hier aber wolle, gehöre das dazu.

«Grundsätzlich müssen wir uns fragen, ob wir nebeneinander leben können – mit unserem Naturkonsum und der intensiven Landwirtschaft.» Alle wollten die unberührte Natur mit allen Tieren darin, aber gleichzeitig Waldkindergärten, Bikerwege, Pilzlen und andere Aktivitäten im Wald. «Das geht einfach nicht auf und führt zwingend zu Konflikten», so René Möckli. Es stellte sich die Frage: Wie viel Platz geben wir dem Tier?

Der aktuelle Fall sollte seiner Meinung nach zum Anlass genommen werden, sich mit der elementaren Frage auseinanderzusetzen, wie wir mit dem Wolf bei uns umgehen wollen. «Die Reaktionen zeigen die ganze Palette der Diskussion, von Wolfsgegnern bis hin zu denen, die am liebsten mit dem Wolf tanzen und heulen gehen würden.» Diesbezüglich sei ein sachlicher Umgang gefordert.

René Möckli hofft auf mehr Gelassenheit und Rationalität in der Bevölkerung. «Ein Wolf ist sicher eine eindrückliche Erscheinung, mit dessen Umgang müssen wir uns auseinandersetzen.» Dies bestätigt auch der kantonale Leitfaden «Wolf»: Im Kanton Zürich sei vermehrt mit dem Auftreten von einzelnen ziehenden Wölfen zu rechnen, ist darin zu lesen. Zum ersten Mal nach über hundert Jahren war 2014 ein Wolf im Kanton bestätigt worden.

 

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