Weinland

Eine Fabrik auf Schienen

Zwischen Marthalen und Andelfingen fährt derzeit kein Zug, dafür ein gelbes Ungetüm. Mithilfe einer Gleisbaumaschine werden fünf Kilometer Schienen und 10'000 Tonnen Schotter erneuert.

von Manuel Sackmann
13. August 2021

Für Reisende ist es ärgerlich. Statt wie gewohnt in den Zug zu steigen, müssen sie seit zwei Wochen auf Ersatzbusse ausweichen, um nach Schaffhausen zu kommen. Grund ist eine Vollsperrung der Bahnstrecke zwischen Andelfingen und Marthalen («AZ» vom 23.7.2021). «Für Aussenstehende ist oft nicht ersichtlich, was wir genau tun, deshalb zeigen wir es gerne», erklärt Nathanael Schmid anlässlich einer Baustellenbegehung für die Medien. Er leitet die Streckensanierung gemeinsam mit Andreas Hagmann.

«Vor dreieinhalb Jahren kam das Projekt auf den Tisch», erklärt Letzterer. Seither ist viel passiert. Zunächst wurden geologische Berichte studiert und Massnahmen festgelegt. Diese umfassen unter anderem Gleisentwässerung, Gleiserneuerung, Schotterersatz und die Sanierung des Unterbaus. Dies, weil die Belastung steigt. Auf der Strecke wird bis 2035 mit einer Verkehrszunahme von 50 Prozent gerechnet. Anfang Mai gingen die ersten nächtlichen Bauarbeiten los. Seit Ende Juli wird im 24-Stunden-Betrieb gearbeitet.

«Die Vollsperrung ist sehr effizient», betont Nathanael Schmid. Denn die eingesetzte Baumaschine werde pro Schicht bezahlt. Wenn nur in der Nacht gearbeitet würde, müsste sie jeden Abend auf die Baustelle und jeden Morgen wieder weggefahren werden, was viel Zeit in Anspruch nähme. Zeit, in der Fortschritte erzielt werden könnten. Durch die Vollsperrung stehe die Maschine aber acht Stunden am Stück im Einsatz, mache dann vier Stunden Pause, in der logistische Arbeiten erledigt würden, bevor das Ganze wieder von vorne losgehe. «Die Bauzeit verkürzt sich dadurch um rund zwei Monate.»

Ein technisches Meisterwerk
Bei der eingesetzten Baumaschine «Puscal S» handelt es sich um ein technisches Meisterwerk, eine «fahrbare Fabrik», wie es die beiden Projektleiter ausdrücken. «Eine Maschine wie diese gibt es nur einmal in der Schweiz», so Andreas Hagmann. Sie gehört der Westschweizer Firma Scheuchzer, ist 900 Meter lang und kann die unterschiedlichsten Arbeiten ausführen. Damit werden die Gleise angehoben, der darunter befindliche Schotter entfernt, gesiebt, gereinigt und abtransportiert und die Gleise wieder in die entstandene Mulde gelegt. Dadurch ergibt sich eine starke Wellenform. «Man sieht, wie biegsam die Gleise eigentlich sind. Sie sind einfach sehr schwer», sagt Nathanael Schmid.

Später wird – je nach Zustand des Streckenabschnitts – neuer oder gereinigter Schotter nachgefüllt und die Höhe der Schienen millimetergenau eingepasst. Pro Schicht stehen etwa 35 Arbeiter an der Maschine im Einsatz, die meisten sind nicht bei der SBB, sondern bei der Betreiberfirma angestellt.

Bis zu 900 Meter am Tag
Die Arbeiten kommen gut voran. An einem guten Tag ohne grössere Hindernisse schaffe man 900 Meter, sagt Andreas Hagmann. Steht zum Beispiel die Erneuerung eines Bahnübergangs an, sei mehr Zeit erforderlich. Nächste Woche werden die neuen, je 108 Meter langen Schienen verlegt. Dazu müssen sie auf 25 Grad erhitzt werden. Dies geschieht nachts, da es tagsüber dafür zu heiss ist.

Während der gesamten Bauzeit werden auf der fünf Kilometer langen Strecke 10'000 Tonnen Schotter und 5000 Tonnen Unterbau ersetzt, 8000 Schwellen ausgewechselt, drei Bahnübergänge saniert und 11'000 Tonnen Aushub abtransportiert. 20 Millionen Franken kostet das Projekt.

Die Baustelle hat auch einen ökologischen Aspekt. Der abgenutzte Schotter kommt später unter anderem im Strassenbau zum Einsatz. Zudem führt die Entwässerung der Gleise wo immer möglich zurück in die Natur. Das Wasser sei unbedenklich, so Andreas Hagmann, und werde grösstenteils in die Thur oder in nahe Weiher und Seen geleitet. Nur ein kleiner Teil gelangt in die Kanalisation.

Wenn die «Fabrik auf Schienen» die Baustelle am 22. August wieder räumt, ist die Strecke für Züge auf Anhieb wieder mit normaler Geschwindigkeit befahrbar. Ein «Einfahren» mit reduziertem Tempo ist nicht nötig. Eine spezielle Maschine, die die Vibrationen der Züge simuliert, übernimmt diese Aufgabe vorgängig.

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