Weinland

Eine haarige Spende

Janis’ Haare sind 32 Zentimeter lang. Nicht, weil er sie so mag, sondern weil er sie bald spenden möchte – ein Krebsfall in der Familie hat ihn auf die Idee gebracht. Für seine Frisur musste er sich auch mal einen blöden Spruch gefallen lassen.

von Tizian Schöni
19. April 2024

Seit August 2020 war Janis Müller nicht mehr beim Coiffeur. Fast vier Jahre später sind seine Haare 32 Zentimeter lang, und sein Entschluss ist immer noch derselbe: Er möchte seine Haare spenden.

Auslöser war die Erkrankung seiner Grossmutter an Darmkrebs (siehe Kasten). «Sie sagte, sie wolle ihre Haare auf keinen Fall verlieren», sagt Janis. Über einen weiteren Krebsfall in der Familie sei er darauf aufmerksam geworden, dass in solchen Fällen oft Perücken zum Einsatz kämen.

Sieben Spender pro Perücke
So liess Janis seine Haare wachsen, um sie für eine Echthaarperücke zu spenden. Die Haare werden beim Coiffeur zu einem Zopf geflochten, abgeschnitten und per A-Post an die Rolph AG in Kloten geschickt. Gemeinsam mit seiner Mutter hat sich der Junge aus Andelfingen für diese Firma entschieden. Dort sortieren Perückenmacherinnen die Spende zuerst in ein Zwischenlager ein: «Geordnet nach Farbe, Länge, Dicke und weiteren Merkmalen des Haars», sagt Rafael Hunziker, Leiter des Kundenmanagements. Für eine einzige Perücke würden heute etwa sieben Spenden benötigt.

Dass das gespendete Haar am Ende ausschliesslich einer krebskranken Person als Perücke dient, kann der Spender nicht steuern. Rafael Hunziker sagt aber, seine Firma fertige fast ausschliesslich Haarersatzprodukte für Personen an, die aus medizinischen Gründen auf Zweithaar angewiesen seien. Das sind nebst Patienten in einer Chemotherapie auch Personen mit sogenanntem kreisrundem Haarausfall, mit Erbkrankheiten oder von Unfällen Betroffene. Einem guten Zweck wird Janis’ Haar also so oder so zugute kommen.

Kinderhaar für Kinderperücken
Die Haare von Kindern seien feiner und eher unbelastet, sagt Rafael Hunziker. Dieser Typ Haar wird also mit anderen Spenderhaaren, welche ebenfalls von Natur aus fein sind, verknüpft. Im Optimalfall wird diese Perücke dann für ein Kind verwendet. Auch Kinder seien auf Haarersatz angewiesen – die jüngste Kundin, an die er sich erinnern könne, sei sechs Jahre alt gewesen.

Die Sonderanfertigung einer Haarspenderperücke dauere etwa acht bis zwölf Wochen, sagt Rafael Hunziker. Entsprechend teuer ist das Endprodukt, eine Echthaarperücke kostet bis zu 4000 Franken. In vielen Fällen übernimmt die Invalidenversicherung oder die AHV einen Teil der Kosten – sofern die Voraussetzungen für den Bezug erfüllt sind. Bei achtsamem Umgang und guter Pflege kann eine Perücke zwei Jahre getragen werden.

Janis ist froh, dass er seine langen Haare nun wieder los wird, heute Freitag steht der Termin bei seiner Coiffeuse an. «Sie hängen immer ins Gesicht, und Gel kann ich auch nicht reintun.» In der Schule musste er sich für seine Frisur ab und zu einen blöden Spruch gefallen lassen. «Du bist doch ein Mädchen», habe eine Mitschülerin mal zu ihm gesagt. Ihm sei das egal gewesen. «Hauptsache, ich kann jemandem helfen», sagt Janis.

Warum fallen Krebskranken die Haare aus?

Haarausfall ist keine direkte Folge einer Krebserkrankung, sondern der Chemotherapie. Bei dieser Behandlung wird mit chemischen oder natürlichen Substanzen versucht, das Zellwachstum und die Zellteilung im Körper zu verlangsamen. Eine «Chemo» soll vor allem die wuchernden Tumorzellen einer Krebserkrankung angreifen, in vielen Fällen sind aber auch andere Zellen betroffen, allen voran die rasch wachsenden Haarwurzelzellen der Kopfhaut. Laut der Hirslanden-Klinik führen nicht alle Chemotherapien zu Haarausfall, zudem könne er verschieden stark ausgeprägt sein. Und er ist nicht endgültig: Nach der letzten Behandlung wachsen die Haare wieder nach, pro Monat ungefähr einen Zentimeter. (tz)

Das sagt die Krebsliga zu Haarspenden

Weil eine Haarspende Betroffenen nur selten direkt helfe, empfiehlt die Krebsliga Schweiz Haarspenden seit Anfang 2023 nicht mehr. «Wenn jemand aber unbedingt eine Haarspende machen möchte, verweisen wir immer noch auf die Perückenmacher», schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Empfohlen werden die Rolph AG und die Masken Werkstatt Schweiz. Wer helfen wolle, könne das zum Beispiel mit Freiwilligenarbeit zugunsten der Betroffenen tun: Kranke könnten etwa im Haushalt, beim Einkaufen oder bei der Kinderbetreuung unterstützt werden. Zudem hilft die Krebsliga bei der Organisation von Spendenanlässen. (tz)

Mehr Infos: participate.krebsliga.ch

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite