Der Samichlaus kommt bunt daher
Sogar in der Deutschschweiz sind lokale Eigenheiten üblich. Von links nach rechts: Der «Schiterberg-Chlaus» aus Kleinandelfingen, er tritt mit Buch und Glocke auf. Frauenfelder Chläuse sind ganz in Schwarz gekleidet und tragen graue Bärte. Ein typischer Chlaus aus reformierten Gegenden gewandet sich in Rot mit Kapuze und hat eine Laterne und sein grosses Buch dabei. In vielen katholischen Regionen sind Nikoläuse bischöflich eingekleidet, mit Mitra (Hut), Stola und Krummstab. In Altdorf im Kanton Uri tragen Chläuse traditionell Blau. (tz)
«Sind aber kei schöni Chläus!», kommentierte eine Weinländerin unter einen Facebook-Post, der Chlaus und Schmutzli des Knabenvereins Kleinandelfingen zeigte. Der Chlaus hebe sich vom Schmutzli nämlich nur durch das Buch, das er trage, ab.
Tatsächlich sind beide in Schwarz gekleidet. Das Samichlausgewand unterscheidet sich dabei sehr wohl, wenn auch nur durch die weissen Säume an Ärmeln und Knopfreihe.
Diese eigenwillige Farbwahl des Schiterberg-Chlaus, sie verursacht im Verein jedes Jahr einen etwas grösseren Tumult. Der Grund: Immer mehr Eltern fragen nach einem roten statt einem schwarzen Chlaus. Denn ihre Kinder, so diverse Mütter und Väter, würden den Chlaus in Schwarz gar nicht mehr als solchen erkennen. Darauf hat der Knabenverein reagiert. «Mittlerweile bieten wir in Ausnahmefällen einen roten Chlaus an», sagt Präsident Oscar Baiker.
Diese Entwicklung passt zur Beobachtung von Mischa Gallati. Der Studienprogrammleiter «Populäre Kulturen» forscht an der Universität Zürich zu Popkultur und Brauchtum. «Man sieht, dass beim Samichlaus oder Weihnachtsmann in jüngerer Zeit eine Verengung stattfindet», sagt Mischa Gallati. Will heissen: Die Chläuse und Chlaus-Bräuche der Welt ähneln sich immer mehr. Als Grund vermutet der Forscher die Medialisierung des Brauchs. Als Beispiel nennt er den Weihnachtsmann des Coca-Cola-Konzerns. Die gemütliche Erscheinung mit rotem Gewand, weissem Bart und den geröteten Pausbacken diene als Modellvorlage für weitere Reproduktionen in verschiedensten Medien, seien das Filme, Werbungen oder auf Verpackungen. Diese Mechanismen, so vermutet Mischa Gallati, festigten in den Köpfen ein ideales Bild der Figur. Früher habe man viel weniger mitbekommen, was in der Welt passierte. Und so sei auch der Brauch viel stärker regional geprägt gewesen. Seit etwa 100 Jahren, so der Forscher, löse sich diese regionale Prägung auf.
Das Chlausen ist jung
Die lokalen Einflüsse sind vermutlich der Grund, weshalb die Schiterberg-Chläuse bis heute in Schwarz auftreten. Sichere Belege dafür, woher das «Gwändli» kommt, gibt es nicht. Aber es gibt Robert Erb, Jahrgang 1937, und seines Zeichens ältestes noch lebendes ehemaliges Vereinsmitglied. Er erzählt im Gespräch, dass die Knaben irgendwann in den 60er-Jahren auf die Idee gekommen seien, erstmals ein Chlausen zu veranstalten. Beim Vater eines Mitglieds, der bei der Landwirtschaftlichen Genossenschaft arbeitete, habe man zu günstigen Konditionen Spanische Nüssli beziehen können. Die Kinder seien dann am 6. Dezember ohne vorherige Anmeldung bei den Eltern besucht worden. Als Gewand habe man auf die in fast jedem Haushalt vorhandenen schwarzen Pelerinen zurückgegriffen. Dass ein Samichlaus rot sein müsse, so Robert Erb, diese Vorstellung habe damals niemand gehabt.
Rot, schwarz oder blau?
Richtet man den Blick auf die umliegenden Regionen, zeigt sich, dass die Aufmachung der Samichläuse durchaus lokal geprägt ist. Und sie unterscheide sich erheblich: Kommt der Chlaus der Winterthurer Gesellschaft noch typisch im roten Gewand mit Kapuze und einem braunen Schmutzli, sind die Frauenfelder mit grauen Bärten und schwarzen Gewändern unterwegs – seit 1929, wie es auf der Website heisst. In Stäfa trägt der Chlaus in katholischer Manier Mitra, den fünfeckigen Hut der Bischöfe, und klopft mit dem ebenfalls den Kirchenfürsten zugeschriebenen Krummstab an die Türen. In Küssnacht (SZ), wo der Chlaus an einem grossen Umzug, dem «Klausjagen», zusammen mit einem langen Laternenumzug auftritt, trägt der alte Mann ein weisses Gewand, dazu eine rote Schärpe und eine goldene Stola. Und im katholischen Altdorf (UR) tritt der Samichlaus gar in Blau auf. Wie die dortige Gesellschaft auf ihrer Website schreibt, entwarf ein Kunstmaler 1929 das blaue Bischofsgewand. Weil Blau keine liturgische Farbe war, glaubte man, so nicht in Konflikt mit dem Bischof von Chur zu kommen.
Die Traditionen und Brauchtümer, so unterschiedlich sie auch sein mögen, haben eines gemeinsam: Sie existieren in ihrer heutigen Form allesamt erst seit etwa 100 Jahren. Zwar hat die Figur des heiligen Nikolaus ihren Ursprung schon im 3. Jahrhundert, denn in dieser Zeit soll im heutigen Demre in der Türkei ein Bischof gelebt haben, der laut einer Legende Bedürftigen heimlich Geschenke machte. Doch schriftliche Überlieferungen des Nikolaus von Myra, wie die Stadt damals hiess, gibt es nur sehr wenige.
Schutzheiliger und Schenker
Erstmals nördlich der Alpen lässt sich ein Nikolauskult im 10. Jahrhundert nachweisen, wie das Bundesamt für Kultur in seiner Auflistung der «lebendigen Traditionen in der Schweiz» schreibt. Insbesondere in der Innerschweiz breitete sich die Figur aus, weil dem heiligen Nikolaus eine wundersame Rettung von in Seenot geratenen Schiffsleuten zugeschrieben wird. So wurde er zum Schutzheiligen der zahlreichen Transporteure auf dem Vierwaldstättersee, die vom Gotthardhandel lebten. Der Ruf des grosszügigen Schenkers machte ihn zudem zur tragenden Figur der «Bescherung», die in katholischen Gemeinden bis ins 20. Jahrhundert am 6. Dezember, dem mutmasslichen Todestag des Heiligen, und nicht an Weihnachten stattfand.
Muss ein guter Chlaus also rot, schwarz oder blau sein, damit er als «echter» Nikolaus durchgeht? Bestimmt würden sich alteingesessene Altdorfer, Küssnachterinnen und Kleinandelfinger darüber streiten. Ihre Kinder jedoch wohl kaum. Sie werden sich am 6. Dezember über die Geschenke freuen, egal wie der Samichlaus daherkommt.
Eltern sehen rot