Weinland

Gräser, die die Welt ernähren

Die Getreideernte hat begonnen. Zum Glück, denn die Vorräte sind aufgebraucht, auch in der grössten Sammelstelle der Schweiz. Leiter Rolf Häusler über gute und schlechte Ernten, steigende Preise und den Ukraine-Krieg.

von Bettina Schmid
24. Juni 2022

Kaum ein Lebensmittel wurde in den Medien in den letzten Wochen mehr thematisiert als Getreide. «Hat Europa genug Getreide, um sich zu versorgen?», «Ukraine-Krieg: Millionen Tonnen Getreide stecken fest» oder «Getreide-Exporte weiterhin unmöglich», lauteten Schlagzeilen.

Doch wie sieht die Si­tua­tion in der Schweiz aus? Die «Andelfinger Zeitung» hat bei Rolf Häusler nachgefragt. Er leitet die Getreidesammelstelle Thalheim, die grösste in der Schweiz.

Herr Häusler, diese Woche hat die Getreideernte begonnen. Was bedeutet dies für Sie respektive Ihre Arbeit in der Getreidesammelstelle?
Rolf Häusler: Die Getreideernte ist für unseren Betrieb die arbeitsreichste Zeit des Jahres. Innert weniger Wochen werden Tausende Tonnen Weizen, Gerste und Raps angeliefert. Dieses Getreide wird bei uns gereinigt, wenn nötig getrocknet, gekühlt und anschlies­send in den Silos eingelagert. Im Laufe des Winters verkaufen wir das Brotgetreide an die Mühlen weiter, das Futtergetreide verarbeiten wir in unserer betriebseigenen Futtermühle zu Mischfutter und verkaufen es an die Bauern der Region.

Haben Sie genügend Platz für diese riesigen Mengen an Getreide?
Ja, wir haben unseren Lagerraum vor vier Jahren durch den Bau des grossen Getreidesilos noch einmal deutlich erweitert, und wir verfügen heute über 150 Silos mit einem totalen Lagervolumen von über 30'000 Tonnen Getreide. Das entspricht der Ernte der rund 500 Landwirte aus der Region, die bei unserer Genossenschaft Mitglied sind. Weil die letztjährige Ernte wegen des nassen Sommers sehr klein war, sind alle Vorräte aufgebraucht und somit auch unsere Silos leer. Wir hoffen nun auf eine gute Ernte 2022, damit wir die Mühlen möglichst bald mit neuem Getreide beliefern können.

Können Sie bereits etwas zur diesjährigen Getreideernte sagen?
Bis jetzt sah es recht gut aus. Das Unwetter mit Hagelschlag am letzten Dienstag hat im südlichen Weinland jedoch viele Getreidefelder zerstört. Dies zeigt, dass die Ernte jeweils erst gesichert ist, wenn sie bei uns im Silo eingelagert ist.

Können wir unseren Getreidebedarf selbst abdecken, oder sind wir auf Importe angewiesen?
Die Schweizer Bauern produzieren in normalen Jahren zwischen 50 bis 70 Prozent des inländischen Bedarfs an Brot- und Futtergetreide. Der Rest wird importiert. Weil wir im letzten Jahr wie erwähnt eine sehr schlechte Ernte hatten, war das inländische Getreide knapp, und die Mühlen mussten vermehrt auf Importgetreide ausweichen.

Beeinflusst uns der Ukraine-Krieg diesbezüglich stark?
Jein. Wegen dem Krieg in der Ukraine haben sich die internationalen Getreidepreise nahezu verdoppelt. Dies liegt einer­seits an den in der Ukraine blockierten Getreidemengen und den dadurch gestörten Warenströmen, andererseits aber auch an den massiv höheren Produktionskosten der Landwirte. Diesel und Dünger sind auch hierzulande teurer geworden. Dennoch sind bei uns die Preise weniger stark gestiegen.

Weshalb?
Wegen dem Grenzschutzsystem. Als die Preise im Ausland zu steigen begannen, reduzierte die Schweiz die Einfuhrzölle, sodass sich die Preissteigerungen in der Schweiz nur begrenzt auswirkten. Die Getreideproduzenten fordern an der Branchensitzung vom kommenden 28. Juni in Bern wegen der höheren Produktionskosten jedoch eine Erhöhung der Richtpreise von Brotgetreide um acht Franken je 100 Kilogramm Weizen. Dies würde das Kilo Mehl um rund 10 Rappen verteuern, was sich beim Brotpreis mit rund 12 Rappen je Kilo auswirken würde. Ich bin als Vertreter der schweizerischen Getreidesammelstellen an dieser Sitzung dabei und werde mich für diese Richtpreise-Erhöhung einsetzen. Wenn wir verhindern wollen, dass der Getreideanbau in der Schweiz noch mehr zurückgeht, müssen wir unseren Bauern die höheren Produktionskosten ausgleichen.

Bleibt der Preis dann fürs ganze Jahr fix?
Nein, an dieser Sitzung werden nur Richtpreise verhandelt. Ob wir diese Preise schliesslich am Markt erzielen können, hängt von der Grösse und der Qualität der Ernte ab, aber auch stark von den Importpreisen. Wenn zum Beispiel Europa eine grosse Getreideernte einfahren könnte, würde dies den europäischen Weizenpreis reduzieren und somit die Importe verbilligen. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf die Schweizer Preise. Zu wenig oder zu viel Getreide ist manchmal sehr nahe beisammen.

Die erste und grösste Getreidesammelstelle

Mit einer Annahmemenge von über 30'000 Tonnen pro Jahr ist die Getreidesammelstelle Thalheim die grösste der Schweiz. 500 Landwirte aus der Region bringen ihre Ernten dorthin. Zusätzlich lagert sie jedes Jahr 3000 Tonnen Kartoffeln ein, die im Verlaufe des Winters an die Firmen Zweifel und Bina verkauft und anschliessend zu Chips oder Pommes Frites verarbeitet werden.

In Betrieb ging die Getreidesammelstelle Thalheim, die erste in der Schweiz, am 1. August 1964 nach nur sechs Monaten Bauzeit und als Antwort auf den Einzug der Mähdrescher. Bereits im ersten Betriebsjahr wurden über 2000 Tonnen Getreide in Thalheim angeliefert. In den folgenden Jahren stiegen die Mengen laufend an, sodass die Anlage mehrmals erweitert wurde. Beim Brotgetreide werden rund 90 Prozent per SBB an die Swissmill nach Zürich geliefert, wo dieses vermahlen und anschliessend an die Bäcker weitergeliefert wird. (bsc)

Getreide in der Schweiz

Getreide ist die wichtigste Ackerkultur in der Schweiz. Es nimmt eine Fläche von ungefähr 140'000 Hektaren ein. Das entspricht etwa der Fläche des Kantons Luzern. Die Landwirtschaft unterscheidet im Getreidebau zwischen Brotgetreide für die menschliche Ernährung und Futtergetreide für die Tiere. Die wichtigsten Brotgetreidearten sind Weizen, Dinkel und Roggen. In kleinerem Rahmen pflanzen Bäuerinnen und Bauern auch Emmer, Einkorn, Hirse, Gerste oder Buchweizen an. Die Nutztiere erhalten Futterweizen, Gerste, Hafer, Triticale oder Futtermais. (bsc)

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