Weinland

Grüne Grenze ist nicht einfach offen

Ist in den Medien von der «Grünen Grenze» die Rede, gehts oft um Schmuggel und unerlaubte Übertritte. Nicht in diesem Beitrag. Hier dreht sich alles um den Rundweg am Rhein, der jünger ist als gedacht.

von Roland Spalinger
05. August 2022

Es war ein kurzer Beitrag in der «Andelfinger Zeitung» vom 27. August 1980: Ab Mittwoch könnten Fussgänger die «Grüne Grenze» benützen. Der Wanderweg über die Rhein­au­er Kraftwerkbrücke sei geöffnet, teilte der Gemeinderat mit. Mit ein paar Zeilen wurde vermeldet, was laut der Mitteilung «schon seit Jahren von verschiedenen Seiten» verlangt worden sei.

Das Kraftwerk ERAG in Rhein­au und die Zürcher Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege (ZWA) hätten die erforderliche Treppe erstellt und den Weg markiert, dankte die Behörde der ERAG sowie den Zollämtern für die Erschlies­sung «dieses schönen Wandergebiets». Dazu gabs ein paar Hinweise, was «Fusswanderer» bei Tag zu beachten hätten: gültige Grenzübertrittspapiere mitführen, aber keine Waren, Hunde und Katzen nur mit gültigen Impfzeugnissen.

Zur Erinnerung: Bei der Eröffnung der ersten Etappe der Via Natura in den Thurauen (AZ vom 14.6.2022) reiste Regierungsrat Martin Neukom nach Flaach. Ende Sommerferien 1980 aber wurde lediglich der Zaun geöffnet und fertig? Erste Wahl ist die Dok-Stelle, die seit dem Tod von Stefan V. Keller von Stephan Aregger betreut wird. «Leider nichts zur ‹Grünen Grenze› und zu den Wanderwegen», schreibt er.

Frag diesen oder jenen, rät ein Bekannter. Genaues ist aus den Gesprächen aber nicht zu erfahren.

Bis sie eben aufging
Bruno Hefti war 1980 im Gemeinde­rat – und erinnert sich an ein in Schaffhausen stationiertes Detachement der Armee, das an verschiedenen Orten Panzersperren zurückgebaut und die Sperre beim Hauptwehr aufgehoben habe. Der Gemeinderat habe hin und wieder einen Znüni offeriert, erzählt er, genau wisse er es aber nicht.

Hans Grichting ist 91-jährig und ar­bei­te­te beim Kraftwerk, als dieses 1957 in Betrieb ging. 1994 wurde er pensioniert – den Walliser Dialekt hört man aber immer noch. Wenn er im Ferienhaus sei, stelle er um, sagt er. Und wie war das nun am 27. August 1980? Man konnte beim Hauptwehr nicht auf die deutsche Rheinseite, die Brücke sei gesperrt gewesen, bis eben der Wanderweg aufging, erzählt er nüchtern.

Es muss also tatsächlich keine gros­se Sache gewesen sein.

Und es ging dann doch plötzlich schnell. Erst Anfang Juli berichtete die «Andelfinger Zeitung» im Rahmen der im Blatt integrierten «Rheinauer Post», dass einer Öffnung der «Grünen Grenze» nichts mehr im Wege stehe. Anlässlich einer Ortsbesichtigung des Grenzschutzamtes Konstanz mit einem Schweizer Grenzwachtkommandanten sei festgestellt worden, dass die Hinderungsgründe, die einer Öffnung der Kraftwerksbrücke seinerzeit entgegengestanden hätten, inzwischen entfallen seien – erstens habe das Kraftwerk kein Interesse gehabt an einem Weg durch sein Werkgelände, man befürchtete Sabotageakte. Und zweitens die Bedenken der Zollämter, einen weiteren dunklen Übergang zu schaffen, der kaum zu kontrollieren sei. Beides war 1980 weitgehend nicht mehr aktuell. Die Lage, besonders was den Terrorismus betreffe, habe sich wesentlich beruhigt, heisst es im Beitrag. «Keine Widerstände mehr gegen Grüne Grenze», titelte der «Landbote», nannte als Vorteile «schöne Wanderrouten und kürzere Wege zum Rheinfall» und als Eröffnung den Herbst.

Überlegt hatte sich der Rhein­au­er Gemeinderat, den Weg auch für Kinderwagen befahrbar zu machen. Wegen dem Nachteil von Velos und Töfflis wurde dann ein reiner Fussweg erstellt und der Wanderweg beschildert.

Nach seiner Pensionierung 1994 betreute Hans Grichting den Wanderweg im Abschnitt Nohlemer Brücke zur Fähre in Ellikon. Mindestens einmal jeden Frühling und Herbst sei er die Strecke abgegangen, habe Markierungen kon­trol­liert und geschaut, ob alles in Ordnung sei. Blockierte zum Beispiel ein umgestürzter Baum den Weg, meldete er dies der Gemeinde, «und die hat das gemacht».

Auf der deutschen Seite sei der Weg schöner, sagt er. Doch eines Tages habe er Bericht erhalten, dort nicht mehr zuständig zu sein. Die Beschilderung übernahm der 1990 gegründete Schwarzwaldverein Lottstetten.

Deutsche Seite unzufrieden
Das stimme, sagt Günther Haberstock aus Lottstetten, der den jüngsten Ableger des 150-jährigen Schwarzwaldvereins seit 17 Jahren präsidiert. Da sei  auch die Signalisation des Hochrhein Höhenwegs aktuell gewesen, und fortan kümmerten sie sich um Büsche, Sträucher und die Markierungen.

Doch wie das Kraftwerk seine Zuständigkeit für den Weg wahrnimmt, wie es in einem Vertrag von 1948 geregelt sei, damit ist Günther Haberstock alles andere als zufrieden. Betroffen ist davon aber die Strecke von Rhein­au zur Nohlbrücke, die seiner Meinung nach aktuell gesperrt sein sollte. Bäume seien umgestürzt und hätten gefährliche Trichter im Boden hinterlassen, sagt er. Um dar­überzusteigen, würden sich Wanderer an gewissen Stellen an Stauden festhalten. Das sei doch kein Zustand, enerviert er sich und überlegt laut, den schmalen Weg direkt am Rhein sperren und neu über Altenburg beschildern zu lassen. Den Wanderweg «Grüne Grenze» betreffe dies aber nicht, sagt er.

Als Grüne Grenze wird der Verlauf international anerkannter Landesgrenzen zwischen Grenzübergangsstellen bezeichnet. Der Begriff umfasst auch den Grenzverlauf durch oder entlang von Binnengewässern. Die Bezeichnung «Grüne Grenze» wird vom Grenzverlauf in der Natur abgeleitet. Sie hat nichts damit zu tun, dass der Grenzverlauf nicht gesichert oder überwacht ist.

(Nachtrag) Schlechtes Timing: In Rheinau wird die 50-jährige Brücke beim Hauptwehr saniert. Sie ist undicht und ist deshalb seit dem 11. Juli und noch bis am 9. September gesperrt. Und just am Freitag pries die «Andelfinger Zeitung» die Wanderung entlang der «Grünen Grenze» an – der Stauwehrbrücke kommt dabei als Übergang eine entscheidende Rolle zu. Als der Autor des Beitrags am 25. Juni die Strecke abfuhr, war von einer baldigen Sperre noch nichts zu sehen. Auch die Gemeinde wurde nicht speziell über die Sperrung informiert, heisst es bei der Verwaltung auf Anfrage. Fündig wird man auf der Website von Zürcher Wanderwege im Abschnitt «Wegsperrungen und Umleitungen» mit Verweis auf den Gis-Browser des Kantons. Schlecht ist das Timing trotzdem.

Die «Grüne Grenze» misst 7 Kilometer – mit dem Abstecher zum Keltenwall vor Altenburg sind es ein paar mehr.
Die «Grüne Grenze» misst 7 Kilometer – mit dem Abstecher zum Keltenwall vor Altenburg sind es ein paar mehr. / Grafik: Roland Spalinger

Schöne 10'000 Schritte

Nach der Wehrbrücke und der Treppe führt der Weg nach links und offenbart aus erhöhter Lage bald einen ganz anderen Blick auf die Klosterinsel. Ein bisschen weiter vorne, beim Grillplatz, liegt der Fokus der Aussicht auf der Spitzkirche.

Nach dem offenen Feld erreichen wir die Spitzkehre. Bevor wir auf wenigen Metern in einer Art Tobel rasant Höhe verlieren, folgen wir einem anderen Wegweiser, der neugierig macht. Zum Keltenwall sind es 800 Meter – die müssen drinliegen und sind Teil des Jakobswegs in unserer Gegend. «Die Schanz» heisst die Siedlung, die dort nachgewiesen ist und auch die Rhein­au­er Seite betraf – das Thema soll ja auch im Museum gezeigt werden, das im Abttrakt auf der Klosterinsel angedacht ist.

Wieder zurück geht es runter an den Fluss zum ruhigen Abschnitt des Rheins an der Fischzucht und Anlegestelle vorbei zur Zoll- oder Wehrbrücke, wie sie auf den deutschen Schildern heisst. Auf dem Weg ist nicht viel los, auf dem Fluss, der an dieser Stelle eher ein See ist, indes schon. Vis-à-vis beim ersten Hilfswehr werden Schiffe übersetzt, Stand-up-Paddler gehen an Land und tragen ihre Boards.

In Rhein­au laden verschiedene Restaurants mit schönen Gärten zum Verweilen ein. Oder verschiedene Wegweiser dazu, die Wegstrecke zu verlängern. (spa)

Grenzgeschichten: Das Weinland liegt ganz am Rand des Kantons und nahe zu Deutschland. Grenzen sind demzufolge allgegenwärtig. Und sie sind Thema unserer fünfteiligen Sommerserie.
Grenzgeschichten: Das Weinland liegt ganz am Rand des Kantons und nahe zu Deutschland. Grenzen sind demzufolge allgegenwärtig. Und sie sind Thema unserer fünfteiligen Sommerserie. / az

Als die Grenze durchlässiger wurde

Am 1. April 1988 wurde die 150 Kilometer lange Schaffhauser Landesgrenze durchlässiger. Ab da galten auch Neuhausen, Schaffhausen, die Zürcher Gemeinden Feuerthalen, Flurlingen, Laufen-Uhwiesen, Dachsen und Trüllikon sowie Schlattingen, Basadingen, Diessenhofen und Schlatt (alle TG) als «grenznahe Gemeinden». Das heisst, für sie galt neu das «Abkommen zwischen dem schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über den Grenzübertritt von Personen im kleinen Grenzverkehr» von 1970. Sie durften nun mit gültigem Pass oder Identitätskarte, aber ohne Waren, die Zollämter auch ausserhalb der Öffnungszeiten passieren. (az)

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