Weinland

Hommage an Zuckerrohrschneider

Càssia Müller stammt aus Brasilien. Für ihr Schlussprojekt an der Zürcher Hochschule der Künste wählte sie deshalb ein Sujet aus ihrer Heimat, das sie schon immer stark beschäftigte. Die Installation wurde mit dem Förderpreis dotiert.

von Cindy Ziegler
21. August 2018

Sie arbeiten im Akkord und täglich über zwölf Stunden – die brasilianischen Zuckerrohrschneider, deren Arbeitsbedingungen als moderne Sklaverei bezeichnet werden können. Ihr Schicksal beschäftigte die gebürtige Brasilianerin Càssia Müller bereits als kleines Mädchen, als sie erstmals eine TV-Sendung über die armen Landsleute gesehen hatte.

Das ist auch der Grund, warum das Abschlussprojekt der Rheinauerin, das von der Zürcher Hochschule der Künste (ZhdK) mit dem Förderpreis dotiert wurde, eine Hommage an diese Arbeiter ist.

39 Mützen für 39 Jahre
Aus braunem karamellisiertem Zucker, eben dem aus Zuckerrohr und nicht dem weissen aus Rüben, stellte die 47-Jährige 39 Schirmmützen her – genauso viele wie Juraci Barbosa alt wurde. Der Zuckerrohrschneider starb 2006, nachdem er 70 Tage lang ohne einen einzigen freien Tag gearbeitet hatte.

Die Idee, ihr Abschlussprojekt aus Zucker zu gestalten, hatte Càssia Müller schnell – schliesslich berührt sie das Schicksal der Zuckerrohrschneider auch heute noch als Erwachsene, die in der Schweiz lebt. Trotzdem verbrachte die Künstlerin über einen Monat damit, verschiedene Formen, Dimensionen und Sujets aus Zucker auszuprobieren.

Leere Versprechen von Politikern
Karamell-Schirmmützen wurden es schlussendlich, weil die Arbeiter, um sich vor der sengenden Sonne zu schützen, oft solche Caps tragen, erzählt Càssia Müller. Besonders tragisch: Die Mützen stammen meistens von Politikern und werden zu Werbezwecken vor Wahlen auch in armen Gegenden verteilt. «Die Versprechen, die Bedingungen für die Arbeiter zu verbessern, werden nie eingelöst und die Arbeiter einfach wieder vergessen.»

Dem Vergessen der «cortadores de cana», wie die Arbeiter auf Portugiesisch heissen, will Càssia Müller entgegenwirken. Die Installation trägt den ironischen Titel «La Dolce Vita». Sie habe den Zucker so lange gekocht, bis er extrem dunkel und bitter wurde. «Ich will so den bitteren Beigeschmack der Zuckerproduktion darstellen», sagt die Künstlerin.

Kunst war schon immer ein wichtiger Bestandteil im Leben der Brasilianerin. Als Kind zeichnete sie gerne, interessierte sich für Mode, später studierte sie in Brasilien «Soziale Kommunikation» mit Vertiefung Werbung. Rheinau sei besonders eng mit Kunst verbunden, sagt sie und nennt die Artemis (siehe Kasten).

«Jeder kann Kunst machen, denn die Schönheit liegt im Auge des Betrachters», sagt Càssia Müller. Und die Botschaft eines Kunstwerks sei sprachunabhängig. Das ist für die 47-Jährige besonders wichtig. Denn irgendwann möchte sie Kurse für Erwachsene geben – der Bachelor «Art Education» der ZhdK berechtigt sie dafür.

Mit Händen Kunst erklären
Obwohl Càssia Müller die deutsche Sprache nicht ganz so gut beherrscht wie andere Kunstschaffende, ist sie überzeugt, eine gute Lehrerin zu sein. «Ich bin sehr geduldig», sagt sie. Und sie sei stark darin, Arbeitsschritte mit ihren Händen zu erklären. Oder eben das Kunstwerk für sich sprechen zu lassen, wie bei «La Dolce Vita».

Die Arbeit ist mittlerweile verschwunden, die Zuckerhüte weggeschmolzen. Càssia Müller hätte die Mützen gerne behalten. Nun versucht sie, ihre vergänglichen Kunstwerke zu konservieren, um sie zu verkaufen.  Das Geld aus den Auktionen möchte sie an Hilfswerke spenden, die die Arbeitsbedingungen für die Zuckerrohrschneider in ihrem Heimatland verbessern.

Dorfspaziergang mit Kunst verbinden an der Artemis

Nach 2009 und 2012 findet 2018 wieder die Artemis in Rheinau statt – eine Ausstellung von Kunstschaffender aus dem Dorf. Unter dem Titel «Das kreative Rheinau stellt aus» und unter dem Logo, das Càssia Müller für die erste Ausgabe entworfen hat, können Interessierte am Wochenende einen Spaziergang durchs Dorf mit einem Rundgang durch die Rheinauer Kunstszene verbinden. Zehn Künstlerinnen und Künstler haben sich in diesem Jahr angemeldet:

- Cäcilia Spiegelberger, Arbeiten aus Ton, Austrasse 5
- Evelyn Martens Maier, Acrylmalerei in Mischtechnik, Alter Schulweg 5
- Prisca Reutemann, Klöppelarbeiten, Katja Rabus, Seiden- und andere Malereien, Nelly Schweizer-Knecht, Bilder und Collagen in Acryl, Werner Schweizer, Steine aus Thur und Rhein verarbeitet, und Simone Schweizer, Schmuck und Deko aus verschiedenen Materialien, alle Poststrasse 6
- Adnan Düzel, Experimentelle Archäologie/Artillerie der Römischen Armee, Ellikonerstrasse 18
- Theophil Breiter, Arbeiten in Ton, Stein, Holz und Papier, Tugsteinstrasse 3
- Karin Pomeranz, Bilder, Wandobjekte und Skulpturen, Irchelstrasse 13.

Durchgeführt wird der Anlass vom Ortsverein. Dieser hatte die Artemis vor bald zehn Jahren ins Leben gerufen, um den Kunstschaffenden im Dorf eine Möglichkeit zu bieten, ihre Werke der Öffentlichkeit zu präsen­tieren.
Obwohl das Interesse seitens Künstler nicht ganz so gross sei wie bei den letzten zwei Ausgaben, freue sich der Verein auf die Artemis, sagt Mitglied Helena Braun. Es sei schön, wenn die verschiedenen Kunstwerke nicht nur im Keller lagern, sondern auch mal von «Fremden» betrachtet werden können – sei das drinnen, im Garten oder im Atelier. (ciz)

Samstag, 25. August, von 13 bis 18 Uhr
Sonntag, 26. August, von 10 bis 17 Uhr

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