Weinland

«Hotspot Dorfbrunnen» hat Tradition

Mit dem Dorfbrunnenplausch die Gemeinschaft zusammenbringen: Das ist das Ziel von Gennaro Gehring. Um die Tradition weiter auszubauen, hat er sich etwas einfallen lassen.

von Jasmine Beetschen
02. September 2022

Dorfbrunnen waren früher Treffpunkte. Dort trafen sich Hausfrauen, um Wasser zum Kochen zu holen, Landwirte führten ihre Tiere zur Tränke, die Feuerwehr löschte mit dem Brunnenwasser Brände. Und Kinder planschten in dem stets verfügbaren Nass. Noch heute steht in so ziemlich jedem Dorf ein solcher Brunnen, meist gut erreichbar für alle Einwohnerinnen und Einwohner. So auch in Schlattingen TG, einem Dorf nahe Stammheim und Truttikon.

Gleich neben dem Brunnen steht das Wohnhaus der Familie Gehring. Für diese hat der Dorfbrunnen eine besondere Bedeutung. Um sich bei sommerlichen Temperaturen abzukühlen, traf sich Andrea Gehring (54) regelmässig mit Nachbarn aus der Umgebung, die das Baden im Brunnen bereits seit Jahren zelebrieren. Das habe es ja schon immer gegeben, meist seien es aber wohl eher die Kinder gewesen, meint sie lachend.

Vor über 20 Jahren führte sie dann den Brunnenplausch ein. «Angefangen hat es mit gemütlichem Beisammensitzen mit den Nachbarn, daraus entstand eine waschechte Tradition», erzählt sie. Dabei treffen sich die Einheimischen beim Brunnen, nehmen ein gemeinsames Bad und trinken zusammen. «Der Plausch führt immer wieder zu witzigen Begegnungen und spontanem Austausch», sagt sie.

Von klein auf mit dabei
Im Dorf war die Tradition schnell bekannt, und so mancher gesellte sich jeweils spontan dazu. «Das Personal des Restaurants gleich nebenan brachte uns auch schon Cüpli oder Glacés vorbei, nicht selten setzte es sich auch gleich dazu», so Andrea Gehring, deren Mann Fredi in Andelfingen aufwuchs. 1999 und 2000 schafften es die Schlattingerinnen und Schlattinger mit ihrem Brunnenplausch in den «Boten vom Untersee und Rhein», mit Bild und passendem Gedicht.

Mit auf diesem Foto: der damals knapp einjährige Gennaro Gehring. «Mein Sohn war in der Geschichte des Brunnenplauschs sozusagen von Anfang an mit dabei», so Andrea Gehring. Nicht verwunderlich, dass dieser die Tradition weiterführt. «Ich bin zwar noch nicht so alt, um die Tradition abzugeben, aber ich finde es schön, wenn sie auf diese Weise sicher nicht verloren geht», meint sie.

Tradition mit einigen Extras
«Meine gesamte Kindheit ist um diesen Brunnen herum passiert, schon mit meinen Sandkastenfreunden habe ich darin geplanscht», erinnert sich Gennaro Gehring (23). «Da fühlt man sich schon verbunden damit.» Und diese Verbundenheit habe er beibehalten.

Mit seinen 23 Jahren lebt er noch immer gerne in seinem Heimatdorf, auch wenn er, unter anderem als DJ, am Wochenende gerne nach Zürich oder Schaffhausen geht. «Da läuft definitiv mehr.» Er schätze aber die Ruhe und die familiäre Atmosphäre im 770-Seelen-Dorf.

Somit war für ihn klar, den Brunnenplausch weiterhin zu zelebrieren, ihn gar noch etwas auszubauen. «Die Tradition ist bei vielen Einheimischen beliebt, daher habe ich mir überlegt, dass es doch schön wäre, den Brunnenplausch ein bisschen aufzumotzen und somit etwas zur Dorfgemeinschaft beizusteuern», sagt Gennaro Gehring.

Eine Familie von Bastlern
Doch wie liesse sich der Brunnenplausch, sprich das Beisammensitzen im Brunnen, optimieren? Für Gennaro Gehring, dessen Eltern beide ebenfalls gerne basteln und werken, war schnell klar, dass er einen Tisch für den Brunnen bauen möchte. Zuvor nutzte er bei seinen abendlichen Badesessions mit gelieferter Pizza zum Abendessen im Dorfbrunnen einen kleinen Stehtisch. Dieser sei aber zu hoch gewesen.

Da habe das Tüfteln begonnen. «Ich bin sowieso ein Typ, der immer irgendwelche Jux-Ideen hat, so ist das Ganze dann ins Rollen gekommen», erklärt er lachend. Kurzerhand erstellte er einen Plan für sein Projekt, welches nicht das erste dieser Art ist. «Mir begegnen immer wieder Situationen im Alltag, in denen ich Optimierungsmöglichkeiten sehe. So habe ich auch schon einen Trichter für eine einfachere Entsorgung von Dosen geschweisst», erzählt er. Sein Know-how als Metallbauer kommt ihm bei seinen Projekten jeweils zugute.

Für den Brunnentisch nahm er eine alte Balkonplatte. «Diese konnte ich vor etwa einem Jahr bei meiner Arbeitsstelle mitnehmen: Damals wusste ich noch nicht genau, was ich damit bauen möchte», so Gennaro Gehring. Die Ideen für Projekte kämen ihm meist spontan, daher sei es nie verkehrt, diverse Materialien zu Hause zur Verfügung zu haben.

Ein Tisch für die Gemeinschaft
Für dieses Projekt schnitt er die Platte selber zu und fertigte spezielle Halterungen aus Metall. Diese wurden von seiner Arbeitskollegin noch mit Klarlack versehen. «Da die Halterungen in den Tisch eingelassen sind, bleiben die Getränke schön kühl und haben erst noch einen guten Halt», erklärt er seine Überlegungen. Auch metallene Aschenbecher formte er für den Tisch – «es muss schliesslich an alles gedacht sein». Innert weniger Tage war der Tisch einsatzbereit. Letzte Woche lud er schliesslich ein paar Freunde zur Einweihung des Brunnentischs ein – mit Pizza und Bier.

Mit seinem Projekt möchte Gennaro Gehring das Gesellige fördern. «Es wäre schön, wenn diese Tradition des Sich-Treffens am Brunnen auch in anderen Dörfern wieder mehr zelebriert würde: Es tut der Gemeinschaft gut und macht einfach Laune», fasst er zusammen. Was sein nächstes Projekt sein wird, weiss er noch nicht. «Aber ich werde sicher bald wieder etwas entdecken, das mich zum Tüfteln animiert», ist er überzeugt.

Bis dahin geniesst er die letzten Sommertage im Brunnen. Sobald es kälter wird, übernimmt dann wieder Andrea Gehring mit ihren fast schon genauso traditionellen «Eisbädern». «Unser Dorfbrunnen und seine Nutzung fördern einfach Begegnungen jeglicher Art, und der Platz wird wieder zum Begegnungsort – so wie früher, als sich das Dorf noch dort traf, um den neusten Tratsch und Klatsch auszutauschen», ist sie überzeugt.


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