Weinland

Hungernde Jäger der Lüfte

Klirrende Kälte und bleibende Schneedecke: Der Winter ist für Greifvögel eine besondere Herausforderung. Inwiefern, das erfuhren die Teilnehmer an einer Führung am Samstag in der Greifvogelstation.

von Dominik Müller
24. Dezember 2019

Noch blieben sie in diesem Jahr bislang verschont. Sagt aber der Wetterbericht für ein paar aufeinanderfolgende Tage Schnee im Weinland an, bereiten sich die Mitarbeiter der Greifvogelstation in Berg am Irchel auf besonders viele gefiederte Patienten vor. Das Hauptproblem: Das Nahrungsangebot bleibt unter der Schneedecke verborgen.

Die nahe liegende Lösung: Der weite Flug in südlichere Gefilde. Während Zugvögel und einige Teilzieher der Schweiz in der kalten Jahreszeit den Rücken kehren, stehen Standvögel vor der grossen Herausforderung, genügend Futter zu finden, um ihren bei kalten Temperaturen steigenden Ener­gie­­bedarf zu decken. An einer Führung in der Station erhielten die Teilnehmer am Samstag von Amber Gooijer, Mitarbeiterin Umweltbildung an der Greifvogelstation, einen Einblick in die Futter-Klemme der Jäger der Lüfte.

40 bis 50 Mäuse pro Tag
Am meisten unter dem Winter leiden Mäusebussarde. Sie ernähren sich dem Namen entsprechend vorwiegend von Mäusen. Diese wiederum mögen Schnee nicht und bleiben unter diesem versteckt. Siedlungsgebiete meiden die Vögel in der Regel, und so bleiben auch die Hilfsmöglichkeiten des Menschen durch Fütterungen gering. Und der Hunger eines Mäusebussards ist gross: Drei bis vier Mäuse isst er pro Tag. Wartet zur Brutzeit im Frühling dann noch die Liebste mitsamt Küken zu Hause, so müssen täglich ganze 40 bis 50 Mäuse erbeutet werden. Ein Grossteil der Mäuse, die den Patienten der Greifvogelsta­tion verfüttert werden, kommen vom Flughafen Zürich. Dort werden sie gefangen, um Greifvögel fernzuhalten und mögliche Kollisionen mit Triebwerken zu verhindern.

Weniger prekär ist die Situation der Rotmilane (aber nicht immer, siehe Kasten). Sie trauen sich eher in die Nähe von Siedlungsgebieten und sind oft Nutznies­ser von Futterspenden. Auch bei Grünabfällen bedienen sie sich: «Das ist für sie eine Art Fast Food: Ist nicht gesund, aber sie nehmen es trotzdem», sagte Amber Gooijer. Muss trotzdem ein Rotmilan zur Pflege nach Berg am Irchel, stellt er sich nicht selten tot – ein Schutzmechanismus. «Deshalb ist Vorsicht geboten, wenn ein mutmasslich totes Tier gefunden wird», so die Umweltingenieurin.

Hoher Energiebedarf, wenig Nahrung: Das resultiert zwangsläufig in einer schlechten Form und einer tiefen Flughöhe. Die Zahl der Unfälle und Zusammenstösse mit Autos steigt im Winter meist an. Das Jahr 2019 ist den Raubvögeln aber bezüglich Schneefall bis dato wohlgesinnt. Gut möglich, dass im 2020 wieder vermehrt hungrige Schnäbel zu stopfen sind.

Der (Sch)rotmilan
Im November kam ein geschwächtes Rotmilan-Weibchen in die Greifvogelstation. Die erschreckende Diagnose: Ein Bleigeschoss einer Schrotflinte steckte in der Wirbelsäule. In der Schweiz werden immer wieder Greifvögel angeschossen, um Kleinvieh wie Kaninchen zu schützen, obwohl diese gar nicht zum Beutespektrum von Rotmilanen gehören. (az)

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite

Zeitung Online lesen Zum E-Paper

Folgen Sie uns