Weinland

Im Einsatz für Wildtiere in Not

Über 760 Vögel und andere Wildtiere werden jährlich bei der Vogel- und Wildtierpflege Schaffhausen versorgt und aufgepäppelt. Zurzeit ist es in der Station eher ruhig – doch dies wird sich mit Beginn der Brutzeit ändern.

von Bettina Schmid
27. Januar 2023

Helen Homberger steht vor einer Innenvoliere und gibt einem Buchfink Antibiotikum. «Er wurde von einer Katze gefasst und verletzt», erklärt die Leiterin der Vogel- und Wildtierpflege Schaffhausen in Guntmadingen. Einem Verein, der sich vor allem über private Spenden finanziert und auch von der Vogelwarte Sempach unterstützt wird.

Das Finkli habe heute, am dritten Tag seines Aufenthalts, die sechste und letzte Medikamentengabe erhalten und könne nun in die Aussenvoliere umziehen. «Dort beobachten wir, wie gut er fliegen kann, da er seine Schwanzfedern verloren hat.» Er müsse sich zuerst an den Verlust seiner Steuerfedern gewöhnen. Sollte dies gut klappen, wird er schon bald wieder freigelassen.

Nur wenige Patienten bleiben so kurz wie das Finkli, die meisten benötigen eine längere Genesungsdauer – je nach Alter und Verletzungsart. Zurzeit befinden sich rund zehn Tiere in der Vogel- und Wildtierpflege: eine akut verletzte Amsel, mehrere Türkentauben, die Opfer von Kollisionen wurden, und ein paar Igel, die zu dünn sind.

Eher wenig, wenn man mit der «Hochsaison» vergleicht, die im Frühjahr ab etwa Anfang Mai beginnt und bis Ende August andauert. Denn ab dann brüten die ersten Vogelarten, und die grosse Arbeit für die Pflegestation beginnt: die Aufzucht von verletzten und verwaisten Jungtieren.

«Ganz junge Nestlinge füttern unsere vier Tierpflegerinnen im Viertelstundentakt, junge Säugetiere wie Eichhörnchen weniger häufig, dafür auch in der Nacht», so Helen Homberger. Unterstützt werden sie von einem Team von Freiwilligen, die unter Anleitung der Fachpersonen arbeiten. In den zahlreichen Innen- und Aussenvolieren kann die Vogel- und Wildtierpflege um die 120 Pfleglinge aufnehmen. Menschen aus der gesamten Region Schaffhausen und dem Zürcher Weinland bis nach Winterthur bringen ihre Findlinge hierher. Denn sie ist die einzige Pflegestation im Umkreis, die nächste ist in der Stadt Zürich zu finden.

Wache Igel im Winter
Rund 90 Prozent der insgesamt 760 Patienten im letzten Jahr waren Vögel. Das liege daran, dass sie besser auffindbar seien, da sie sich häufig in Siedlungsnähe aufhalten, erklärt Helen Homberger. Bei den Arten wird kein Unterschied gemacht. «Wir kümmern uns um seltene Vögel genauso wie um Spatzen oder Amseln.» Es gehe darum, die Artenvielfalt zu erhalten, denn die Vögel seien unter anderem aufgrund des Klimawandels, des Insektenschwunds oder der Monokulturen weltweit stark unter Druck.

Aber auch andere Wildtiere wie Eichhörnchen, Siebenschläfer oder Igel finden in der Pflegestation ein vorübergehendes Zuhause. Wie etwa derjenige, der vor einigen Tagen in einem Garten gefunden wurde. Der Igel sei sehr mager und voller Parasiten gewesen. Wer um diese Jahreszeit einen wachen Igel entdeckt, sollte als Erstes auf seine Statur achten. Wenn er rundlich ist und keine verklebte Nase und Augen hat, kann man ihn laufen lassen. «Zeigt er Erkältungssymptome und ist eher länglich, die Flanken eingefallen, gehört er in professionelle Hände.» Wird ein junges Säugetier gefunden, wissen die meisten, dass man es nicht anfassen sollte wegen des menschlichen Geruchs. Junge Vögel dagegen könne man bedenkenlos in die Hand nehmen, denn die Eltern würden ihren Nachwuchs über die Stimme erkennen.

Jungvögel nicht füttern
Nicht immer macht das Aufnehmen jedoch Sinn. «Ein Vogelbaby, das noch nicht selber hüpfen kann, braucht sicher Hilfe», so Helen Homberger. Jungvögel, die dies schon könnten, bräuchten dagegen in den seltensten Fällen Hilfe. «Viele von ihnen verlassen das Nest schon, bevor sie richtig fliegen können.» Sofern sie nicht verletzt seien, solle man sie einfach sein lassen. «Sie werden weiterhin von ihren Eltern gefüttert.» Allenfalls könne man sie bei Gefahr durch den Strassenverkehr an einen etwas geschützteren Ort bringen, etwa ins nächste Gebüsch.

Auf keinen Fall sollte man sie jedoch füttern. «Jungvögel wissen noch nicht, was ihnen bekommt und was nicht, und schlucken einfach alles runter.» Da alle Vogelarten jedoch ihren ganz eigenen Speiseplan haben, kann dies im schlimmsten Fall tödlich enden. Verletzte oder verwaiste Vögel gehören deshalb zur Aufzucht immer in die Hände von Fachleuten.

Das Gleiche gilt bei Tieren, die von Katzen gefangen wurden. Auch wenn sie wie der Buchfink äusserlich keine Verletzungen aufweisen, sollten sie in eine Pflegestation gebracht werden, so die Geschäftsleiterin. Die Zähne und Krallen der Katzen seien sehr spitz, sodass die Verletzungen manchmal ganz klein seien, aber das Infektionsrisiko sehr hoch. Viele Menschen würden die befreiten Vögel einfach wieder freilassen. «Auch wenn sie zunächst munter erscheinen und davonfliegen, sterben anschliessend viele an Infektionen.»

So unterschiedlich die einzelnen Fälle und Tierarten sind, bei allen, die in der Vogel- und Wildtierpflege wieder aufgepäppelt werden, bleibt das Ziel dasselbe: sie wieder auszuwildern und ihnen somit das Leben in freier Natur zu ermöglichen. Wer ein Not leidendes Tier auffindet, kann sich im Zweifelsfall telefonisch an die Vogel- und Wildtierpflege Schaffhausen wenden. «Wir helfen gerne weiter und beraten, ob und was zu tun ist.»

www.vogelpflege-sh.ch

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