Weinland

«Kirschbaum-Fall»: Ein erstes Urteil gefällt

In erster Instanz ist die Haftung geklärt: Der Landwirt muss Schadenersatz und Genugtuung bezahlen für den Asylbewerber, der auf seinem Hof beim Kirschenpflücken vom Baum gefallen ist und seither im Rollstuhl sitzt. Das Urteil kann weitergezogen werden.

von Eva Wanner
25. Januar 2019

Der Asylbewerber (A.) erledigt hie und da Arbeiten auf dem Hof des Land­wirts (L.) im Weinland. Im Juli 2011 pflückte er Kirschen, fiel und ist seither querschnittsgelähmt. So weit war die Schilderung des Vorgefallenen in mehreren Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht in Andelfingen dieselbe; der Fall wird seit über vier Jahren verhandelt. In vielen anderen Punkten waren sich der Asylbewerber, der als Kläger auftrat, und der Landwirt als Beklagter uneins. Etwa darüber, ob A. nach Feierabend, also selbständig, arbeitete, oder ob er auf der Leiter oder (verbotenerweise) auf dem Baum stand. Uneins waren sich die Parteien auch darüber, ob A. Arbeits- oder Turnschuhe trug und vieles mehr.

Auch die «Andelfinger Zeitung» war bei den Verhandlungen dabei und hat regelmässig berichtet – und hat nun bei Gerichtspräsident Lorenz Schreiber nachgefragt, wie es um ein Urteil steht. Viele offene Fragen hätten in den Zeugenbefragungen und beim Augenschein auf dem Hof nicht restlos geklärt werden können, sagt er. Dennoch habe das Kollegialgericht in einer mehrstündigen Sitzung ein Urteil fällen können.

In dieser ersten Beurteilung ging es ausschliesslich um die Grundsatzfrage der Haftung. Das Gericht hat laut Lorenz Schreiber die grundsätzliche Haftung des Landwirts für die Unfallfolgen bejaht. Die schriftliche Urteilsbegründung dazu sei 72 Seiten lang, sprich, sehr ausführlich. Die Hauptbegründung: «Nach durchgeführtem Beweisverfahren sind wir zur Überzeugung gelangt, dass A., was seine Sprachkenntnisse und seine handwerklichen Fertigkeiten betrifft, nicht in der Lage war, alleine, also ohne aktive Betreuung, komplexere beziehungsweise gefährlichere Arbeiten auszuführen.» Der Landwirt hätte laut Gericht A. nicht alleine Kirschen pflücken lassen dürfen. A. vorgängig zu erklären, dass er weder auf den Baum klettern noch die Leiter selbständig verschieben dürfe, sei wegen der mangelnden Deutschkenntnisse ebenfalls nicht ausreichend gewesen, um der Sorgfaltspflicht als Arbeitgeber vollständig nachzukommen. Seitens L. «besteht ein gewisses Verschulden in der mangelnden Beaufsichtigung», sagt Lorenz Schreiber.

Möglicher Weiterzug
L. müsste nach diesem Urteil nun Schadenersatzzahlungen sowie Genugtuung an A. leisten. Müsste: Es besteht die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Ob innert 30 Tagen ein Rechtsmittel eingelegt werde, sei offen, so Lorenz Schreiber. Lege eine der Parteien Berufung ein, werde der Fall ans Obergericht weitergeleitet. Dort müsste erneut die Frage der Haftung behandelt werden, erläutert der Gerichtspräsident. Sollte das Obergericht zur selben Entscheidung gelangen, würde der Fall erneut im Bezirkshauptort aufgenommen.

In diesem zweiten «Durchgang» müsste dann die Höhe von Schadenersatz und Genugtuung festgelegt werden. Der Fall wird das Andelfinger Arbeitsgericht also so oder so weiter beschäftigen.

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite