Weinland

Kleinere Brötchen backen

Die Stromrechnung hat bisher kaum jemanden interessiert. Doch nun haben sich die Preise in einigen Gemeinden verdreifacht. Besonders betroffen sind Kleinbetriebe mit grossem Verbrauch wie Bäckereien.

von Tizian Schöni
20. Januar 2023

In der Backstube ist es warm, die vier Öfen haben noch 180 Grad Innentemperatur, obwohl der Arbeitstag schon längst vorbei ist um 16 Uhr. «Unter der Woche fallen sie nie unter 100 Grad», sagt Brigitte Gut, Inhaberin der gleichnamigen Bäckerei in Marthalen. Das zeigt: Brot backen ist besonders energieintensiv. Der Kleinbetrieb bezieht jährlich rund 130'000 Kilowattstunden Strom von der Elektrizitätsgenossenschaft Marthalen (EGM). Ein Vierpersonenhaushalt verbraucht durchschnittlich 4500 Kilowattstunden. Für ungefähr 20'000 Franken musste Brigitte Gut (Bild) bisher jährlich Strom einkaufen, 2023 wird sich dieser Betrag verdoppeln. «Ich hatte manch schlaflose Nacht», gesteht die Chefin.

Die Strompreise steigen dieses Jahr im Schnitt schweizweit. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Erstens produziert das Land im Winter zu wenig Strom für den Eigenbedarf, da hierzulande vor allem Wasserkraftwerke für die Deckung zuständig sind. Also müssen rund 40 Prozent des Stroms aus der EU importiert werden. Im Ausland sind die Preise aber aufgrund des Ukraine-Kriegs und einzelner Kraftwerksausfälle in Rekordhöhen gestiegen. Dass Gemeinden unterschiedlich stark betroffen sind, ja einige sogar sinkende Strompreise zu verzeichnen haben, hängt wiederum mit dem zweiten Grund zusammen.

Die rund 630 Elektrizitätsversorgungsunternehmen der Schweiz sind selber für die Beschaffung ihres Strombedarfs zuständig. Nur 70 Prozent von ihnen produzieren überhaupt eigenen Strom, und je höher dieser Selbstdeckungsgrad, desto stabiler die Preise. Alle andern sind voll und ganz auf eingekauften Strom angewiesen und damit stärker von der europäischen Stromkrise betroffen. So steigt der Preis der Energielieferung für das Gewerbe in Marthalen dieses Jahr von 6,6 Rappen pro Kilowattstunde auf 19,4 Rappen. In diesem Beitrag ist zum besseren Vergleich jeweils nur die sogenannte «Energielieferung» in Rappen pro Kilowattstunde angegeben. Der gesamte Stromtarif setzt sich jedoch aus weiteren Kosten zusammen (siehe Kasten).

Sparen, sparen, sparen
Brigitte Gut muss nicht wissen, weshalb der Strompreis gestiegen ist. Sie zerbricht sich den Kopf darüber, wie sie die Kosten senken könnte. Und das ist gar nicht so einfach, denn die Datenlage ist schmal. Nach dem Stromzähler, der den Gesamtverbrauch misst, weiss die Bäckerin nicht, was der Kühler, die Knetmaschine oder der Ofen für sich an Energie benötigen. Und auch die wichtige Information, wann der Strom verbraucht wird, kann sie nicht ermitteln. Daten, die sie dem «Stromdetektiv» der Elektrizitätswerke Zürich – eine Art Energiesparberater – liefern müsste, damit dieser konkrete Vorschläge machen könnte.

Was klar ist: Kurze Zeiten, in denen die Bäckerei besonders viel Strom verbraucht, schlagen teuer zu Buche, denn der Anbieter muss diesen abrupt hohen Verbrauch in seinem eigenen Netz ausgleichen. Diese sogenannte «Leistungsspitze» kostet den Betrieb pro Quartal 500 bis 1000 Franken zusätzlich. Um diese Spitzen zu drücken, erhält Brigitte Gut nun entsprechende Messgeräte. Damit kann sie herausfinden, wann welche Geräte wie viel Strom verbrauchen, und so die Leistungsspitze senken. Etwa, indem die vier Öfen stufenweise eingeschaltet werden. Eine Zeitschaltuhr, um das an ihrem Elektroofen bewerkstelligen zu können, koste aber wiederum 6000 Franken, sagt Brigitte Gut.

Preisschere im Weinland
Zurück auf die Beschaffungsseite: Während die EG Marthalen die letzte Tranche ihres Bedarfs für das Jahr 2023 im Sommer 2022 einkaufte, erwischte das Elektrizitätswerk Andelfingen einen besseren Zeitpunkt. Wie die Gemeinde im August des vergangenen Jahres mitteilte, kaufte der Versorger den Strom für die Jahre 2022 bis 2026 noch ein, bevor der Ukraine-Krieg die Märkte verunsicherte. Deshalb kostet 2023 die Kilowattstunde in Andelfingen bloss 7 Rappen. Bei der Beschaffung kann man wohl weder von Unglück noch von einem besonderen Marktgeschick sprechen. Denn in beiden Fällen folgten die Versorger einer Beschaffungspraxis, die so seit Jahren besteht und mit Experten abgesprochen ist.

Im Weinland hat nebst Andelfingen und Marthalen nur noch die Gemeinde Benken ein eigenes Elektrizitätswerk. Alle anderen beziehen die Energie über die Elektrizitätswerke Zürich (EKZ). Dort sind die Preise zwar gestiegen, im schweizweiten Schnitt allerdings immer noch gut. Privathaushalte zahlen durchschnittlich elf Rappen für die Energielieferung.

Die Lösung: Ein freier Markt?
Dass der Strom vom lokalen Werk bezogen werden muss, ist nicht selbstverständlich. Seit 2009 ist der Markt teilliberalisiert. Privathaushalte sind weiterhin an den lokalen Versorger gebunden, Grosskundinnen mit einem Verbrauch von mehr als 100'000 Kilowattstunden hingegen können ihren Strom auch selbst auf dem freien Markt beschaffen.

Wären die hohen Kosten für die Bäckerei Gut also abwendbar gewesen, hätte sie ihren Strom selbst beschafft? Wohl kaum. Denn dieses Vorgehen erfordert entweder eine Beschaffungsagentur oder Fachkenntnisse über den Strommarkt. Das eine kostet, das andere braucht Zeit. Und beides ist noch kein Garant für tiefe Preise, wie das Beispiel der Bäckerei Meier aus Wiesendangen zeigt. Diese bezieht ihren Strom seit einem Jahr über die Einkaufsgenossenschaft des Branchenzulieferers Pistor, an der diverse Bäckereibetriebe beteiligt sind. Durch dieses «Pooling» vergrössere sich das Einkaufsvolumen auf dem Markt, womit man bessere Preise erziele. Heisst es zumindest auf der Website von Pistor.

Ruedi Meier spürt davon wenig: «Vergangenes Jahr war ich kurz davor, aufzuhören», sagt er am Telefon. Sein Tarif wechselt monatlich, im August waren es bis zu 50 Rappen pro Kilowattstunde, Netznutzung und Abgaben nicht eingeschlossen. Seine Rechnung hat sich versiebenfacht. Ein Zurück gibt es für ihn nicht: Seit er sich für den freien Einkauf entschieden hat, muss er auch bei seinem lokalen Anbieter EKZ zu Marktpreisen einkaufen.

Ruedi Meier und Brigitte Gut mussten ihre Preise erhöhen. «Ein Kilo Brot kostet jetzt 50 Rappen mehr», sagt die Marthaler Bäckerin. Die Kundinnen und Kunden hätten die Erhöhung aber verständnisvoll aufgenommen. Hilfsangebote von Branchenseite seien keine da. Immerhin weiss Brigitte Gut, an wen sie sich wenden kann: Die EGM wird von Marthalerinnen und Marthalern verwaltet. Die Genossenschaft lässt auf Anfrage mitteilen, man werde Härtefälle auf jeden Fall individuell anschauen.

Wie sich der Tarif zusammensetzt

Die Energiekosten machen in der Regel nur die Hälfte bis zwei Drittel der gesamten Stromrechnung aus. Als Beispiel: Die Kosten für eine Kilowattstunde Strom bei den EKZ belaufen sich für Privatkunden auf 23,66 Rappen zum Hoch- und 19,35 Rappen zum Niedertarif. Darin enthalten sind die «Energielieferungskosten», also der eigentliche Strom mit 12,33/11,15 Rappen, die Netznutzung mit 8,19/5,06 Rappen und weitere Gebühren und Abgaben. Während die Energielieferungskosten stark vom Einkaufspreis des beschafften Stromes abhängen, dürfen die Netznutzungskosten nur kostendeckend an Kundinnen und Kunden weiterverrechnet werden. Das überprüft die Regulierungsbehörde Elcom. (tz)

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