Weinland

Lastwagen-Lady aus dem Weinland

Bei «Bauer, ledig, sucht» könnte Marcella mangels Bauernhof nicht mitmachen. Aber als eine der «Lastwagen-Ladys» will die Chauffeurin die Chance nutzen, um über grundlegende Themen zu sprechen.

von Interview: Silvia Müller
10. Februar 2023

Noch 2023 ist eine Frau am Lastwagensteuer offenbar so exotisch, dass der Schweizer Streamingdienst «oneplus» soeben die bereits zweite Staffel der Bezahlserie «Lastwagen-Ladys» produziert und lanciert hat. Das Interesse an Frauen in diesem männerdominierten Job hält also an, und vermutlich nicht nur in Schwerverkehrskreisen.

Seit der letzten Folge der ersten Staffel ist auch Marcella bei ihrer Arbeit mit dem Mercedes-Abschieber zu erleben. Die in Andelfingen wohnende Italienerin sass in ihrem Heimatland am Steuer – als Mann. Zur Lastwagen-Lady wurde sie erst mit 34 nach ihrem Umzug in die Schweiz. Warum das so lief, und warum sie jetzt vor die TV-Kameras tritt, erzählt Marcella im Interview.

Marcella, die letzte Frage zuerst: WĂĽrdest du nochmals bei der Serie mitmachen?
Marcella: Vielleicht, falls meine Firma mich nochmals darum bitten würde. Während des Drehs im letzten Sommer konnte ich drei Tage lang nicht immer so effizient arbeiten wie sonst, und das machte mich nervös.

Müsste das nicht eher die Firma stören?
Der Vorschlag, mitzumachen, kam ja von der Personalmanagerin, nicht von mir. Ich habe gerne zugesagt, weil meine Firma progressiv ist und die Mitarbeitenden so wertschätzt, wie sie sind. Sie verdient es, bekannt zu werden.

Also bist zu zufrieden damit, wie dich die Serie darstellt? Konntest du mitreden?
Auch ich sehe erst jetzt am TV, was aus all dem Drehmaterial gemacht worden ist. Ich bin aber happy mit den Sendungen – mal abgesehen vom Haarschnitt. Meine Frisur sah ja echt schlimm aus, so unter dem Helm, aber jetzt nützt weinen nichts mehr (sie lacht). Was mir wichtig ist, konnte ich in den Szenen unterbringen. Mir ist schon klar, dass ich die Serie mit noch mehr Exotik aufpeppen sollte. Wenn schon Lastwagen-Ladys ungewöhnlich sind, was ist dann ein Mann am LKW-Steuer, der offen als Frau lebt? Ich überzeichne deshalb bewusst etwas die Klischees. Das ist meine Chance, die Botschaften zu bringen.

Du meinst dein betont südländisches Temperament und die Sorge um die künstlichen Nägel? Ist beides nur gespielt?
Ich zelebriere beides ein wenig, zugegeben … es drückt eben meine Freude und Lebenslust aus, die ich seit dem Umzug vor 22 Jahren spüre. Dank der offeneren Mentalität in der Schweiz. In Kalabrien, wo ich herkomme, ist jemand wie ich heute noch eine Schande für die Familie und wird geplagt.

Hat dich die Schweiz stark verändert?
Ich lernte schon fast als Kind, die Lastwagen meines Vaters zu fahren. Lastwagen, meine Passion! Aber je grös­­ser ich wurde und je mehr ich mich als Frau fühlte, umso klarer war: Entweder – oder. Lastwagenfahren und eine Frau werden wollen, das ging in Italien nicht. Auch mein Vater sah das lange so. Er hat mich viele Jahre lang nicht verteidigt gegen aussen. Nun bin ich einfach glücklich, dass ich in der Schweiz meinen Beruf leben darf. Mit Arbeitskolleginnen und -kollegen, die tolerant und unvoreingenommen sind und auch im Arbeitsalltag meistens freundschaftlich miteinander umgehen. Das kommt in den von mir vorgeschlagenen Drehszenen gut rüber, diese Kollegialität und gegenseitige Wertschätzung. In Italien hingegen wird die Mentalität in letzter Zeit sogar noch rückschrittlicher und enger als in meiner Jugend. In den Ferien und mit vollem Portemonnaie fahre ich gerne runter, aber dort leben will ich nie mehr.

Du karrst täglich grobes Material zwischen Kiesgruben und Baustellen hin und her. Dein Leben scheint sich fast nur um die Arbeit zu drehen.
Im Tief- und Hochbau muss das Material dann bewegt werden, wenn es so weit ist. Die Arbeitszeiten sind flexibel, fixe Freizeittermine wären schwierig. Aber ich arbeite genauso gerne sonntags oder abends. Gibt es zuletzt eine 60-Stunden-Woche, wird halt irgendwann kompensiert. Nur arbeiten, um zu leben, das ist doch nicht befriedigend! Ich liebe es, zu arbeiten und freue mich, wenn ich dabei über Stras­sen fahre, deren Fundament ich damals selbst mit dem Abschieber platziert habe.

Einverstanden, aber trotzdem: Hast du einen Traum? FĂĽr morgen oder die Zukunft?
Früher in Italien machte ich auch Sondertransporte, so mit gesperrter Stras­se und Eskorte der Verkehrspolizei, ich bewegte riesige Bau- und Industriemaschinen und Zisternen von A nach B. Das würde ich gerne wieder tun, aber mit meinen 56 Jahren ist das nicht realistisch. Dafür braucht es heute Zusatzausbildungen. Und ich tue mich schon schwer genug damit, ausreichend korrektes Deutsch zu lernen, um den Sprachtest bei der Einbürgerung garantiert zu bestehen. Für die Arbeit reicht mein Baustellendeutsch … aber mein Traum ist effektiv der Schweizer Pass, und bis zum Ende meiner Tage hier zu leben. Seit meiner Ankunft lege ich dafür Geld zur Seite. In Kalabrien hätte alles Sparen nichts gebracht, dort bringt man es mit Arbeiten auf keinen grünen Zweig.

Arbeiten, schlafen, sparen – du bist doch schon voll Schweizerin der alten Schule.
Gearbeitet habe ich schon in Italien gerne. Seit dem Umzug mit 34 Jahren hat mich die Möglichkeit, einer Männerarbeit nachzugehen und doch nicht verstecken zu müssen, dass ich privat etwas anders bin, tatsächlich sehr verändert. Heute bin ich stolz und dankbar, dass beides gut ging. Ehrlich gesagt habe ich auch deshalb nicht Nein gesagt zur Serie. Ich konnte es kaum erwarten, den Link zu den TV-Sendungen nach Italien zu senden und zu posten! Diejenigen, die mich und andere aus Ignoranz so quälen, sollen sogar am TV sehen, wie falsch sie liegen. Merken, dass alle Menschen etwas werden und sein können. Ich wollte es ihnen zeigen! Und die Neuigkeit hat in Kalabrien sofort die Runde gemacht. Nun wollen einige von ihnen meine Facebook- und sonstigen Freunde sein (lacht).

Warum bist du eigentlich im Weinland gelandet?
Eine gute Freundin von mir – heute ist sie auch meine Nagelstylistin – wohnte schon vor mir in Volken. Zusammen suchten wir eine Wohnung für mich in der Nähe. Jetzt wohne ich hier und geniesse die Stille nachts und sonntags. Die Wohnungssuche klappte aber nicht gleich auf Anhieb. Es ist schon so, dass ich eher auf Ablehnung oder Misstrauen stosse, wenn ich alleine und extravagant hergerichtet aufkreuze. Meine Freundinnen haben mir auch geholfen, die typischen modischen und kosmetischen Anfängerfehler abzulegen, die Menschen wie ich oft machen. Sie machten mir klar, dass nur die wenigsten Frauen im Alltag High Heels, Glitzer und schwerstes Make-up tragen und dass auch sie damit extrem auffallen, und selten positiv. Weil ich erst so spät mich selbst sein konnte, bin ich heute einfach so, wie ich bin. Für weitergehende Schritte wäre mein Körper schon damals viel zu alt gewesen. Und auch die Frage, was eine Geschlechtsumwandlung allenfalls für mein Leben bedeutet hätte, beschäftigt mich je länger, je weniger – seit ich sein kann, wie ich bin.

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