Weinland

Pendeln zwischen der Bachdelle und Australien

Sie wollten mehr Zeit – auch für sich. Fünf Monate im Jahr ist Beat Wüthrich Bademeister in der Bachdelle, rund fünf Monate verbringen er und seine Frau Lise in Australien.

von Roland Spalinger
17. Juli 2018

Die Tage sind lang, die Präsenz ist hoch. Von 10 bis 20 Uhr schaut Beat Wüthrich in der Badi Bachdelle zum Rechten. Als Bademeister macht er in seinem dritten Sommer Aufsicht, pflegt die Umgebung, unterhält die technischen Anlagen und entsorgt Abfall. Letzterer falle tonnenweise an, sagt der 50-Jährige. Das sei ihm davor nicht bewusst gewesen.

«Davor» war vor 2013. Bis dahin führten er und seine Frau das Café Dachs beim Schulhaus und waren Stammgäste in der Bachdelle. Lise Wüthrich ist in der Nähe der Badi aufgewachsen, ihr Onkel Albert Vogel hatte sich als Gemeindepräsident vor dem Kraftwerkbau in Rhein­au und dem damit verbundenen Höherstau des Rheins für die Erstellung der Anlage stark gemacht; bis dahin war die Bachdelle ein Kiesufer gewesen.

Zweite Heimat
Dass sie dereinst ganze Sommer an ihrem Lieblingsplatz in Dachsen verbringen würden, hätten sie nicht gedacht. Und eigentlich hatten sie auch anderes vor. Als Lise und Beat Wüthrich ihr Café abgaben, brachen sie auch ihre Zelte ab und wanderten nach Australien aus. Nach 18 Monaten zerschlug sich ihr Plan in der christlich geführten Drogenrehafarm und vom ständigen Aufenthalt Down Under. In die Zeit ihrer erneuten Neuorientierung schrieb die Gemeinde Dachsen die Bachdelle aus. Bad und Kiosk wurden getrennt vergeben; der bisherige Pächter Hermann Schwyn war über zehn Jahre lang für beides zuständig gewesen.

Für die Kombination hätten sich Wüth­richs gar nicht erst beworben – an schönen Wochenenden mit rund 2000 Gästen sei es schwierig, gleichzeitig Bademeister und Kioskbetreiber zu sein. Mehr Gäste bedeuten mehr Betrieb, Wespenstiche, Stürze, Kleinkinder, die aufs Mäuerchen klettern, oder auch lebensgefährliche Si­tua­tio­nen. Wie wichtig schnelles Eingreifen ist, erlebte Beat Wüthrich vergangenes Jahr. Er reanimierte einen 70-Jährigen, der nach einem Schwumm im Rhein einen Herzinfarkt erlitten hatte und an Land bewusstlos zusammengebrochen war.

Die gestiegene Beliebtheit der Bachdelle hat laut Beat Wüthrich vor allem mit dem Badiboot zu tun. Die Möglichkeit, sich für 5 Franken von der Bachdelle zum Rheinfall fahren zu lassen, dort ins Becken zu springen und sich vom Fluss hinuntertreiben zu lassen, ist erfolgreich beworben worden und hat sich weit herumgesprochen. Selbst aus Frankfurt kämen deswegen Tagestouristen, weiss der Bademeister.

Halb pensioniert
Der Job als Bademeister machte es möglich, dass Wüthrichs (angestellt ist nur Beat, Lise hilft da und dort aus) in ihren zwei Heimaten leben können. In der Schweiz sei das Leben sehr auf Leistung getrimmt, Menschen definierten sich über ihre Arbeit, sagen sie. «Wir wollen Zeit als etwas Wertvolles anschauen und wollten ausbrechen», sagt Beat Wüthrich. Das sei gelungen. Während der Monate als Bademeister inklusive Vorbereitung auf die Saison und der nötigen Wiederholungskurse leben sie in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung in Dachsen.

In Australien ist ihr Wohnwagen ihr Zuhause. Sie ziehen umher, bieten sich als Reiseführer an und haben vor allem Zeit – für sich, für Leute, für die Natur. «Wir leben reduziert oder semi-retired, halb pensioniert, wie die Australier sagen.» Zurzeit sind sie in ihrem arbeitsreichen halben Jahr. Ist es ein Traumjob? «Ich hatte diesen Traum nicht», sagt Beat Wüthrich. Aber: Mit der Kombination mit Australien sei es ein Traumjob geworden. «Das Gesamtpaket gefällt uns.» Sie hätten gern Sonne und Wärme. Dafür nehmen sie auch in Kauf, in der Schweiz nur bei Regen mit Freunden abmachen zu können. Es sei denn, der Treffpunkt werde in die Bachdelle verlegt.

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