Weinland

Rauchst du noch, oder puffst du schon?

Sie sind bunt, schmecken süss, und es gibt sie an jedem Kiosk. Kaugummis? Nein, E-Zigaretten. Oder Puff Bars, wie die Branche sie neuerdings nennt. Sie geltenals gesündere Alternative zu konventionellen Tabakprodukten. Ob sie das wirklich sind, ist unklar.

von Tizian Schöni
22. September 2023

 

Am Kiosk in Andelfingen wird ein breites Sortiment an Tabakwaren feilgeboten: Krumme, Kurze, klassische Zigis. Mit ihnen im Regal stehen auch die E-Zigaretten. Doch sie haben sich im Laufe der Jahre verändert. Waren es früher lange Chromstahlzylinder, die ein bisschen wie Produkte aus der Medizinalindustrie aussahen oder Glimmstängel, die einer Tabakzigarette nachempfunden waren, sind die E-Zigaretten der neusten Generation kunterbunt. 

Diese Vapes (in diesem Beitrag werden sie der Einfachheit halber weiter E-Zigaretten genannt) gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen, zum Beispiel Melone, Pink Lemonade oder Mango Eis. Einige von ihnen enthalten Nikotin, andere Tetrahydrocannabinol, eine psychoaktive Substanz, besser bekannt als Kurzform: THC.

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
In Andelfingen werden sie nur an über 18-Jährige verkauft, wie an allen Valora-Verkaufsstellen. Gesetzlich verpflichtet sind die Detailhändler dazu allerdings nicht. Bis 2024 gelten die Vapes nämlich noch als «Gebrauchsmaterialien» und unterliegen somit noch nicht dem neuen Tabakproduktegesetz (siehe Kasten). Dieses wird erst 2024 Bestimmungen zu E-Zigaretten enthalten, das Parlament hatte das Gesetz mehrmals abgelehnt.

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat deshalb Valora, aber auch andere Detailhändler-Grössen wie Coop oder Denner 2018 an einen runden Tisch gebeten. Dort unterschrieben sie einen Kodex, unter dem sie sich verpflichten, bis zur Gesetzesrevision verschiedene Standards einzuhalten, darunter auch ein Mindestalter von 16 Jahren für den Verkauf der E-Zigaretten.

Beliebt bei Minderjährigen
Kleineren Kiosk- oder Webshopbetreibern steht es jedoch frei, sich an diese Vereinbarungen zu halten, zumindest im Kanton Zürich. Dass solche Verkaufskanäle rege genutzt werden, zeigt eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebene Studie zum Konsumverhalten von psychoaktiven Substanzen bei Minderjährigen. Sie fand heraus, dass schweizweit etwa elf Prozent der 11- bis 15-Jährigen in den letzten 30 Tagen vor der Befragung mindestens einmal eine E-Zigarette nutzten. Bei 15-jährigen Mädchen und Jungen war es gar jeder vierte (25 Prozent). Das ist ein rapider Anstieg in dieser Altersgruppe: 2018 waren es noch jeder fünfte Junge und nur jedes achte Mädchen gewesen.

Dabei war das Problem eigentlich frühzeitig erkannt worden. Verschiedene Kantone erliessen in dieser Zeit selbst Altersbeschränkungen beim Verkauf von E-Zigaretten. Zum Beispiel Aargau, Baselland, Basel-Stadt, Bern und Wallis. Nicht jedoch der Kanton Zürich. Zwar reichten auch dort bereits im September 2018 drei EVP-Kantonsräte eine Motion ein, doch deren Weg durch die Institutionen zeigt beispielhaft, wie langsam die Mühlen der Demokratie zuweilen mahlen.

Gescheiterte Regulierung in ZĂĽrich
Der Vorstoss wurde vom Regierungsrat im besagten Herbst 2018 zur Ablehnung zurück an den Kantonsrat geschickt. Die Begründung: Bald folge das revidierte Bundesgesetz. Erst im Juni 2020, also fast zwei Jahre nach der Einreichung, wurde diese Ablehnung im Kantonsrat wieder diskutiert. Er folgte der Argumentation des Regierungsrats nicht und gab ihm das Geschäft zurück, dieses Mal mit der eindeutigen Forderung, eine entsprechende Gesetzesänderung auszuarbeiten. Wiederum fast zwei Jahre später, im Februar 2022, meldete sich der Regierungsrat zurück. Aber nicht mit einem Gesetzesentwurf, sondern mit einem Antrag auf Fristerstreckung. Wiederum argumentierte er: Bald komme das revidierte Bundesgesetz, im Sinne der Effizienz wolle man diesem nicht vorgreifen. Im Beschluss des Kantonsrats wurde dieser Fristerstreckung einstimmig stattgegeben – schliesslich waren inzwischen vier wertvolle Jahre verstrichen, in denen das Gesetz hätte verschärft werden können. Nochmals ein Jahr später, im Mai 2023, wurde die Motion vom Regierungsrat endgültig als erledigt abgeschrieben, wiederum mit der Begründung: Bis zur Verschärfung des Tabakproduktegesetzes sei es nun nicht mehr weit.

Dieses Zuwarten hat nun nachweislich zu einem vermehrten Konsum unter Minderjährigen geführt. Dies schreibt die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz auf ihrer Website. Auch die Tabakindustrie blieb nicht untätig – Studien belegen, dass Werbestrategien für E-Zigaretten oft auf Jugendliche ausgerichtet sind. So betreiben diverse Produzenten sogenanntes Influencermarketing in den sozialen Medien, einem Werbemarkt, der wenig reguliert ist. Die Produkte werden an beliebte oder berühmte Personen mit grosser Reichweite im Internet versandt. Gegen Geld produzieren diese dann Videos, in denen sie beispielsweise E-Zigarette rauchen für ihr Zielpublikum. Und wie die oben abgebildete Collage von nikotinhaltigen Produkten zeigt, ist selbst das Produktedesign knallig, farbenfroh und wirkt so attraktiv auf Kinder und Jugendliche.

Gesünder als rauchen? – Wohl kaum
Die Branche bewirbt ihre Produkte aus­serdem als gesunde Alternative zum Rauchen. Doch der Vergleich mit den Zigaretten hinkt, denn während die gesundheitsschädigenden Einflüsse von Teer und anderen Stoffen in konventionellen Tabakprodukten ausreichend erforscht sind, gelangen bei E-Zigaretten andere Stoffe, zum Beispiel Schwermetalle, in den Körper. Auch die Art der Einnahme, nämlich nicht wie bei der Zigarette durch einen Verbrennungsprozess, sondern durch Verdampfung als Aerosol, ist nicht ausreichend erforscht. Zudem sind zahlreichen E-Zigaretten Nikotinsalze oder THC beigefügt. Dass diese beiden Stoffe die Entwicklung des Gehirns bis ins junge Erwachsenenalter beeinträchtigen und zur Entwicklung von Kon­sumstörungen beitragen, ist ausreichend bekannt.­

 

Lösung Rätsel: Es sind 21 Produkte, darunter Snus, Mentholzigaretten, E-Zigaretten und deren Bestandteile.

Der Selbstversuch mit Wassermelone

«Geben Sie mir das, was alle nehmen», sage ich am Kiosk und bekomme einen «Elfbar 600 Disposable Pod», Geschmack Wassermelone. Er kostet keine zehn Franken. Für diesen bescheidenen Preis werde ich ungefähr 600 mal an dem Plastikrohr ziehen können. Nach 15 Tagen – in dieser Zeit sollte die E-Zigarette aufgebraucht werden, wie es auf der Verpackung heisst – werde ich etwa 40 Milligramm Nikotin zu mir genommen haben. Vergleichsweise wenig, im Schnitt enthält eine einzige konventionelle Zigarette an die zwölf Milligram des Nervengifts. Was bleiben wird, ist ein zu entsorgendes elektrisches Gerät inklusive Batterie. Und ein penetranter Melonenduft in meiner Tasche.

Die ersten Züge sind angenehm. Sehr ungewöhnlich, denn Rauchen verursacht bei mir eigentlich Hustenkrampf, zumindest war es bei der letzten Zigi Ende Sekundarschule so. Auch der Geschmack ekelt mich nicht, eher mein Umfeld. Kollegen rümpfen die Nase vom melonigen Geruch. Für mich schmecken die Züge nicht sehr intensiv, sondern wie ein sehr flüchtiger Kaugummi. Die Einstiegshürde läge vermutlich ziemlich tief, zumindest bei mir. Vom Nikotin spüre ich in der begrenzten Testdauer nichts. Den Hinweis in der Packungsbeilage lese ich leider zu spät: «Verwenden Sie dieses Produkt nicht, wenn Sie zu einer der folgenden Risikogruppen gehören». Darunter sind Nichtraucher. (tz)

Werbeverbot – gehts noch?!

Noch gelten E-Zigaretten und andere alternative Nikotinprodukte in der Schweiz nicht als Raucherwaren. Damit gibt es für sie keine Altersbeschränkung und auch kein Werbeverbot. Dies soll nun das neue Tabakproduktegesetz ändern. 2016 wurde es in den eidgenössischen Räten das erste Mal diskutiert, Mitte 2024 tritt eine abgeschwächte Variante in Kraft. Von Konsumentenschützern wie Branchenorganisationen wird das Gesetz heftig kritisiert: Die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz (AT) fordert die Angleichung an internationale Standards:  Selbst mit den neuen Vorgaben erfüllt die Schweiz nicht die Mindestbedingungen eines Rahmenabkommens der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der Bundesrat wollte das Abkommen eigentlich bis 2007 ratifizieren. Gefordert würde ein Werbeverbot nicht nur in der Presse, sondern auch im Internet, ausserdem müsste die Branche ihre Werbeausgaben den Bundesstellen melden. Auf der anderen Seite steht Economiesuisse. Die geforderten Werbeverbote gingen zu weit, so der Arbeitgeberverband.

In Europa bleibt die Schweiz auch mit dem neuen Tabakproduktegesetz eines der Schlusslichter bei der Präventionsarbeit. Hierzulande verursacht der Konsum von Tabakwaren jährlich Gesundheitskosten von rund drei Milliarden Franken, 9500 Menschen sterben vorzeitig an den Folgen des Rauchens. (tz)

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