Weinland

«Rauschtrinken ist eine Folge des gesellschaftlichen Drucks»

Schnelles und exzessives Trinken liegt im Trend – besonders bei Jugendlichen. Für das Team der Suchtprävention und -beratung vom Zentrum Breitenstein ist das nicht überraschend, sondern eine gesellschaftliche Folge.

von Cindy Ziegler
22. Februar 2019

Unter der Woche seriös und gewissenhaft in der Schule und bei der Arbeit – am Wochenende das Gegenteil: Man «schiesst sich ab». Rauschtrinken bezeichnet das exzessive, gelegentliche Trinken. Bei Männern spricht man ab fünf oder mehr Standarddrinks davon, bei Frauen ab vier. Ein Standarddrink entspricht dabei 3 dl Bier, 1  dl Rotwein oder 2 cl Hochprozentigem. Gemäss dem Suchtmonitoring 2019 (siehe Kasten) ist der Anteil von Alkoholkonsumierenden in der Schweiz zwar eher rückläufig, in den letzten beiden Jahrzehnten habe aber das Rauschtrinken deutlich zugenommen.

Das überrascht das Team von der Suchtberatung und -prävention im vom Kanton betriebenen Zentrum Breitenstein nicht. Christa Gomez, die in der Prävention tätig ist, bestätigt die Beobachtungen von Sucht Schweiz. Sie höre oft aus Jugendtreffs und von besorgten Eltern von diesem Problem. Für die Expertin ist Rauschtrinken eine Folge des Drucks in der Gesellschaft, der besonders für Jugendliche schwer zu ertragen ist. «Unter der Woche verfolgt man seine Ziele, am Wochenende schlägt man über die Stränge – dann aber richtig.»

Früher eher ein Männerding
Exzessives Trinken sei früher vor allem bei jungen Männern verbreitet gewesen. Mittlerweile würden sich auch immer mehr Frauen einen Rausch antrinken, sagt Suchtberater Michael Bruder. So habe sich der Anteil der 15- bis 24-Jährigen, die mindestens einmal im Monat exzessiv trinken, von 2007 bis 2017 verdoppelt – von 12 auf 24 Prozent. In der Beratung komme das Thema selten zur Sprache. «Trinken in Gemeinschaft hat einen hohen Stellenwert und wird als Teil unserer Kultur geduldet.» Den Schritt in eine Beratung würden deshalb auch die wenigsten machen. Dafür müsse etwas passiert sein – wie beispielsweise der Verlust des Führerscheins.

Per se sei es auch nicht problematisch, wenn ein Jugendlicher mal etwas über den Durst trinke. Viele junge Menschen würden in dieser Phase viel ausprobieren – auch mit Alkohol. «Gedanken machen muss man sich spätestens, wenn sich jemand jeden Freitag- und Samstagabend ins Elend trinkt und kein Wochenende mehr auslässt», sagt Christa Gomez. Ihre Kollegin, Kathrin Durscher, ergänzt: «Sucht kann man nicht an einer Menge festmachen, sondern eher am Verhalten.» Beispielsweise müsse man dann vorsichtig sein, wenn der Betroffene die Schule vernachlässige, der Arbeit fernbleibe oder sich von Familie und Freunden zurückziehe.

Gesundheitliche Auswirkungen
«Sich regelmässig ‹abzuschiessen› kann schwere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen», sagt Michael Bruder. So steige sowohl das Verletzungs- wie auch das Unfallrisiko. Ebenfalls würde die Zahl der Gewalttaten zunehmen. «Man geht auch von Beeinträchtigungen im Gehirn aus, beispielsweise hat Alkohol eine negative Wirkung aufs Gedächtnis.» Mit dem Rauschtrinken würden besonders die Alkoholvergiftungen zunehmen. Dies, weil die Jugendlichen die Wirkung des Alkohols nicht abwarten und innerhalb kürzester Zeit sehr viel konsumieren.

Helfen würde Information. Davon ist Christa Gomez überzeugt. Es sei wichtig, dass die Jugendlichen wissen, was sie tun und welchem Risiko sie sich so aussetzen. Zudem sei es nötig, dass die Eltern mit den Kindern das Gespräch suchen und dass auch die Schule, Vereine und das soziale Umfeld hinschauen und sich fragen, was hinter dem masslosen Konsum steckt, ergänzt das Beraterteam.

Suchtpanorama 2019
Jedes Jahr gibt Sucht Schweiz ein Panorama heraus. Dieses soll beispielsweise die aktuellen Konsumtrends bei Alkohol, Tabak und illegalen Drogen in der Schweiz aufzeigen. Neben dem Rauschtrinken beschäftigt sich das Suchtpanorama 2019 vor allem mit der ständigen Verfügbarkeit von legalen Substanzen, den «neuen» E-Zigaretten und der Dauernutzung des Internets. Letztere bereitet laut Sucht Schweiz immer mehr Probleme – vor allem Kinder und Jugendliche sind betroffen. Gemäss dem Suchtmonitoring 2015 der Organisation weisen sieben Prozent der 15- bis 19-Jährigen eine problematische Internetnutzung auf. Das zeige sich unter anderem durch einen Kontrollverlust und die Weiternutzung trotz schädlicher Folgen wie beispielsweise Einsamkeit. Dies ist allen Suchterkrankungen gemeinsam. Schweizweit betrifft das Problem etwa ein Prozent der über 14-Jährigen – rund 70 000 Personen. (ciz)

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite