Weinland

Rheinau soll das bedingungslose Grundeinkommen testen

Überraschung nach der Generalversammlung: Die Gemeinde soll das bedingungslose Grundeinkommen testen. Viele Anwesende waren neugierig und per se positiv gestimmt.

von Cindy Ziegler
08. Juni 2018

Dass etwas anders ist an der Gemeindeversammlung merkten die Anwesenden vermutlich schon deshalb, weil der Tisch mit den Nicht-Stimmberechtigten, an dem die Journalisten sitzen, voll besetzt war. Spätestens als «Radio SRF» mit Mikrofonen und «Tele Züri» mit den gros­sen Kameras auffuhren, war vermutlich jedem klar, dass noch etwas kommt.

Das Etwas war die Neuigkeit, dass Rheinau aus über 100 Bewerbungen ausgesucht wurde, um das bedingungslose Grundeinkommen, welches vor zwei Jahren an der Urne abgeschmettert wurde, im Jahr 2019 zu testen.

Sozialere Lösung muss her
Der Kopf hinter der Idee ist Rebecca Panian. Wie Gemeinderätin Karin Eigenheer, die Rheinau ins Gespräch gebracht hat, findet die Filmemacherin, dass das heutige System den Anforderungen der Zukunft nicht gerecht wird und eine sozialere Lösung her muss. Diese könnte das bedingungslose Grundeinkommen sein. «Als Praktikerin möchte ich nichts ablehnen, was ich vorher nicht selber ausprobiert habe», erklärte Rebecca Panian am Dienstagabend den Rheinauern. Sie wolle die Zukunft im Rahmen der Möglichkeiten testen. Im Rahmen der Möglichkeiten bedeutet in diesem Fall, dass alle erwachsenen Bürger (ab 25 Jahren, bei Kindern und Jugendlichen ist der Ansatz tiefer) eines Dorfes, die sich im Voraus anmelden, ein Jahr lang jeden Monat 2500 Franken zur freien Verfügung bekommen. Obwohl das Einkommen bedingungslos ist, gibt es Einschränkungen (siehe Kasten).

Ein Herzensprojekt
Beim Experiment wollen Rebecca Panian mit ihrem Film sowie ein vierköpfiges Team aus erfahrenen Wissenschaftlern (zu ihnen gehört Ökonom Jens Martignoni, der auch Teil des Kernteams ist) herausfinden, wie sich das Grundeinkommen auf eine bestehende Gesellschaft auswirkt. «Werden Sie dann wirklich alle faul?», fragte sie mit einem Augenzwinkern in die Runde.

Das Projekt ist für die Künstlerin eine Herzensangelegenheit. Auch sie hatte gelernt, dass ein guter Verdienst und sich etwas leisten können Anzeichen für ein «gutes» Leben seien. «Ich finde es wichtig, dass jeder sich auch mal fragt: Macht mich das, was ich tue, glücklich?» Das bedingungslose Grundeinkommen könne eine Chance sein, das zu tun, was man wirklich liebt, weil man sich nicht mehr um seine  finanzielle Existenz sorgen muss. Die Kritik, dass die Leute alle nicht mehr arbeiten würden, findet sie lächerlich. «Der Mensch ist nicht gerne untätig», meint sie. Aber vielleicht würde er sich dann häufiger freiwillig engagieren.

Für das Projektteam ist Rheinau genau die richtige Gemeinde. Zahlenmäs­sig könne man das Dorf mit der gesamten Schweiz vergleichen, es sei ländlich und trotzdem tourismuserprobt, wunderschön, und die Bevölkerung, das sei das Wichtigste, ist offen für Neues. Letzteres war auch ein Grund, wieso Karin Eigenheer ihr Dorf für das Experiment vorgeschlagen hat: «Wir sind durchmischt und progressiv.» Und auch ein Votant meinte:«Rheinau ist ein spezielles Dorf und ein guter Boden für Neues.»

Am Dienstagabend war der Tenor positiv. Zwar haben ein paar wenige vorzeitig den Saal verlassen, und auch Karin Eigenheer erreichten am Morgen danach einige negative Mails, nichtsdestotrotz hat Rebecca Panian einen positiven ersten Eindruck von den Rheinauern erhalten. Über die Diskussionen, die sofort begannen, hat sie sich besonders gefreut: «Es ist kein starres Projekt, sondern soll auch mit den Teilnehmenden gestaltet werden.»

Infoveranstaltung für Interessierte:  
31. August, 19.30 Uhr, Mehrzweckgebäude Rheinau oder www.dorf-testet-zukunft.ch

Bedingungen für das Grundeinkommen
Ein Jahr lang ein Grundeinkommen zur freien Verfügung ausbezahlt zu bekommen, klingt verlockend. Jedoch können nur Personen profitieren, die bereits am 5. Juni ihren Wohnsitz in Rheinau hatten. Das Grundeinkommen sei zudem kein zusätzliches, sondern ein grundsätzliches Einkommen. Will heissen: Jede Person, die sich beim Experiment anmeldet, bekommt den entsprechenden Betrag Anfang Monat ausbezahlt. Wer mehr verdienen sollte als das Grundeinkommen (egal ob Lohn, AHV oder Sozialleistungen), muss dieses zurückzahlen, alle anderen dürfen das Geld behalten. Die Teilnahme ist freiwillig, für die Gemeinde fallen keine zusätzlichen Kosten an. Finanziert werde das Projekt laut den Initianten via Crowdfunding und Stiftungsgelder, die sie sammeln, sobald sie wissen, dass mindestens 50 Prozent der 1300 Rheinauer Einwohner teilnehmen. Im Moment ist das Geld noch nicht beisammen.

Damit das Experiment aussagekräftig ist, sollen auch Personen mitmachen, die mehr verdienen als 2500 Franken pro Monat. Neben Solidarität und Neugierde könnte deren Motivation auch sein, Träume zu verwirklichen – beispielsweise unbezahlt Urlaub zu nehmen und endlich die schon lange geplante Weltreise zu machen oder das Haus zu renovieren. «Unbedingt darf und soll auch das im Experiment Platz haben», meint Rebecca Panian. (ciz)

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