Weinland

Schleiereulen mit erstem Nachwuchs seit zehn Jahren

Lautlos fliegt sie durch die Nacht: Die beliebte, aber seltene Schleiereule. Nur noch rund 1000 bis 2000 Paare leben gemäss Schätzungen in der Schweiz. Umso grösser ist die Freude über die geschlüpften Babys.

von Bettina Schmid
04. Juli 2023

Staunend betrachten die Kinder die drei jungen Schleiereulen, die Sophie Baumann, Präsidentin des Naturschutzvereins Flaachtal, in einem Korb vom Dachboden des Holzschopfs hinuntergetragen hat. Dort befindet sich ein Nistkasten, in dem die Kleinen geschlüpft sind.

Nicht zum ersten Mal, seit er in den 70er-Jahren aufgebaut wurde, aber doch nach einer längeren Pause. «In den letzten zehn Jahren brüteten jeweils Turmfalken darin», so Sophie Baumann.

Sie kontrolliert die insgesamt 15 Eulen-Nistkästen im Flaachtal regelmässig und reinigt sie. Während einer dieser Kontrollen entdeckte sie dann vor wenigen Tagen auch die kleinen Schleiereulen. «Es war eine wunderschöne Überraschung, und wir freuen uns sehr, nach 2013 zum ersten Mal wieder Nachwuchs zu haben.»

Auf der Roten Liste
Die Schleiereulen sind in der Schweiz selten geworden. Je nach Härte des Winterwetters und nach Mäuseange-bot – ihre einzige Nahrung – schwankt ihr Bestand von Jahr zu Jahr stark. Auch durch Pestizide und fehlende Nistmöglichkeiten sind sie unter Druck. «Die Schleiereulen sind ausgeprägte Kulturfolger», erklärt Sophie Baumann. Das bedeutet, dass sie gerne von Menschen geschaffene Strukturen als Nist- und Schlafplätze annehmen, etwa Scheunen, Dachstühle oder Kirchtürme. Doch durch Renovationen verschwinden solche geeigneten Orte immer mehr. «Die Nistkästen, die wir aufstellen und pflegen, sind eine wichtige Fördermassnahme.» In diesem Jahr gab es im Flaachtal nebst dem hier genannten noch ein weiteres Schleiereulen-Paar, das Nachwuchs hatte. Wo genau, wird aufgrund des Schutzes der Tiere nicht verraten.

In den übrigen 13 installierten Nistkästen brüteten Turmfalken. Ein Vogel, der früher – wie heute die Schleiereule – auf der Roten Liste der potenziell gefährdeten Arten stand, sich aber unter anderem aufgrund der Nisthilfen gut erholen konnte.

Inzwischen durften die anwesenden Kinder die kleinen Eulen in die Hand nehmen und halten. Etwas, das kein Problem darstellt. Im Gegensatz zu gewissen Säugetieren stört die Eulenmama der Menschengeruch nicht, und sie füttert sie weiterhin. «Etwas gestresst sind die Kleinen aber vermutlich doch», vermutet Sophie Baumann. Weshalb der Besuch auch nicht lange dauert. Behutsam streicheln die Menschenkinder den Eulenkindern über den Kopf und betrachten ihre herzförmigen Gesichter genau. Sophie Baumann erklärt ihnen, wo sich die Ohren befinden. «Sie haben keine Ohrmuscheln, der Schleier übernimmt diese Funktion.» Die Ohrlöcher befinden sich gut versteckt unter den Federn. Eines befindet sich dabei etwas höher am Kopf als das andere. Das untere Ohr hört nach unten zum Boden hin, das andere nach oben.

Plötzlich zu viert
Während bei zweien das Federkleid schon gut ausgebildet ist, hat das Kleinste noch ganz viel kuschelig-weichen Flaum. Der Grund: Sie sind nicht alle am selben Tag geschlüpft. Die Mutter legt ungefähr alle zwei Tage ein Ei und beginnt sofort, das erste auszubrüten. Deshalb sind einige bereits grösser und älter als ihre Geschwister.

An diesem Nachmittag erwartet die Anwesenden zudem eine Überraschung: Auf dem Dachboden wurde eine vierte kleine Eule gefunden. «Sie hat sich gut versteckt», schmunzelt Stefan Walthert vom Naturschutzverein Hettlingen. Der diplomierte Feldornithologe beringt den Nachwuchs heute. Jedes Exemplar erhält eine Nummer ums Bein, welche anschliessend in der Vogelwarte Sempach erfasst wird. Dies findet im Rahmen des «integrierten Populationsmonitorings» statt. Ein Projekt, das helfen soll, die kritischen Phasen im Lebenszyklus von Schleiereulen zu erkennen und damit aufzuzeigen, welchen quantitativen Einfluss Bruterfolg, Überlebensraten, Ein- und Abwanderung auf die Populationsentwicklung haben.

Auszug steht bevor
Als Eulenexperte hat Stefan Walthert auch sonst ganz viel Spannendes über die Tiere zu erzählen. Etwa, dass sie lautlos durch die Nacht fliegen und so ihre Beute, die Mäuse, jagen. Ein Jungtier fresse mehrere Mäuse pro Tag, sagt er. Bei mehreren kleinen Eulen habe die Mutter also ganz schön viel zu tun. Er deutet auf wollige Knäuel am Boden. «Dies ist das Gewöll.» Eulen verschlingen ihre Beute mit Haut und Haar und würgen die unverdaulichen Reste anschliessend wieder aus. Als er gemeinsam mit den Kindern die Gewölle aufbricht, entdecken sie allerlei Knochen, Mäusezähne und gar einen ganzen Unterkiefer. Und beim Betrachten der langen, scharfen Krallen wird klar, wie die Raubvögel ihre Beute töten.

Die kleinen Schleiereulen werden langsam unruhig. Sophie Baumann bringt sie im Korb wieder in ihren Nistkasten hinauf. Dort warten sie auf ihre Mutter, die ihnen neue Nahrung bringen wird. Ein Rundumservice, der übrigens bald zu Ende sein wird: Insgesamt rund sechs Wochen befinden sich die Kleinen jeweils im Nest, bevor sie ausfliegen und sich ein eigenes Revier suchen. Diese vier sind bereits um die fünf bis sechs Wochen alt, schätzt Stefan Walthert. Lange werden sie also nicht mehr im Schopf wohnen.

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