Weinland

Verwaltungsgericht hebt Abstimmung über Altersheim Flaachtal auf

Das Urteil ist vernichtend: Nicht nur wurden die Stimmberechtigten im Flaachtal und in Henggart «völlig einseitig» informiert, die ganze Vorlage war falsch aufgegleist, sagt das Verwaltungsgericht. Es hebt den Urnengang vom 13. Juni auf.

von Roland Spalinger
19. November 2021

Auslöser ist eine Stimmrechtsbeschwerde, die Martin Keller zwei Wochen vor der Abstimmung vom 13. Juni eingereicht hat. Der ehemalige Gemeindepräsident von Volken monierte darin, mit den einseitigen Unterlagen habe der Zweckverband Alterswohnheim Flaachtal die Abstimmungsfreiheit verletzt. Der Urnengang zur Umwandlung des Zweckverbands in eine gemeinnützige AG sei abzusagen, oder wenn er durchgeführt werde, sei das Ergebnis aufzuheben.

Der Andelfinger Bezirksrat als erste Instanz wies den Rekurs am 8. Juli ab. Martin Keller zog den Fall weiter. Als zweite Instanz gibt ihm das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. November auf der ganzen Linie recht. Mit der Verteilung des Flugblatts und der Verbreitung des Videos habe der Vorstand des AWH Flaachtal «seine aus der Abstimmungsfreiheit abgeleitete Pflicht zur sachlichen und verhältnismässigen Information in schwerer Weise verletzt».

Das Verwaltungsgericht sagt aber auch, die Abstimmung wäre wegen einer «offenkundig fehlerhaften Rechtsanwendung» noch aus einem weiteren Grund aufzuheben: So hätte nicht der Zweckverband die Abstimmungsfragen vorlegen dürfen, sondern die Gemeinden hätten dies tun müssen. «Der Entscheid für die interkommunale Zusammenarbeit liegt bei den jeweiligen Gemeinden», so das Gericht.

Das Video: einseitig
Das 14-seitige Urteil liegt der «Andelfinger Zeitung» vor und zeigt deutlich, was ein Zweckverband darf und was nicht, und was wie für einen Urnengang aufbereitet sein muss. Bei Sachabstimmungen komme Behörden «eine gewisse Beratungsfunktion» zu, so das Gericht. Dabei seien sie nicht zur Neutralität verpflichtet und dürften eine Abstimmungsempfehlung abgeben. Sie dürfen aber nicht «im Sinn eigentlicher Propaganda eine freie Willensbildung der Stimmberechtigten erschweren oder geradezu verunmöglichen».

Ausführlich geht das Gericht auf das Video ein, das anstelle von Infoveranstaltungen dienen sollte («AZ» vom 26.5.2021). Diese Art der Information ist für das Gericht kein Problem und wegen der Covid-19-Pandemie ein probates Mittel. Auch der Ton sei sachlich gehalten. Jedoch sei «dem Erfordernis einer gewissen Objektivität und Vollständigkeit nicht Genüge getan». Es würden «nur die Vorteile der Rechtsformumwandlung (...) thematisiert». Nachteile, wie zum Beispiel, dass die einzelnen Stimmberechtigten markant an Einfluss verlieren, würden im Video nicht aufgegriffen.

«Dazu kommt, dass (...) suggeriert wird, dass nur bei Annahme der Vorlagen vom 13. Juni die Arbeitsplätze im Alterswohnheim erhalten werden könnten, (...).» Dies sei unzutreffend, da eine Schliessung nicht zur Diskussion stehe. «Das Video vermittelte den Stimmberechtigten deshalb kein umfassendes Bild der Vorlagen», so das Verwaltungsgericht. Und mit der Abstimmungsempfehlung am Schluss sei «die einseitige Information (...) noch weiter verstärkt» worden.

Der Flyer: Propaganda
Der Flyer «Zweimal Ja fürs AWH» verletzt für das Gericht «offenkundig die Gebote der Sachlichkeit und der Verhältnismässigkeit». Er gebe «im Stil der Abstimmungspropaganda politischer Parteien und Komitees nur die Argumente einer Seite schlagwortartig wieder, die Aussagen seien zudem unzutreffend.

Bereits die Verteilung des Flugblatts und die Verbreitung des Videos sind für das Verwaltungsgericht «als schwere Mängel zu qualifizieren». Hinzu komme, dass auch der beleuchtende Bericht «einseitig formuliert» sei. Es werde gesagt, es seien verschiedene Rechtsformen geprüft worden. Ausdrücklich benannt würden aber nur die Nachteile des Zweckverbands und der Stiftung sowie die Vorteile der Aktiengesellschaft.

Für das Gericht lag zur Abstimmung somit «eine völlig einseitige Informationslage» vor, weshalb die Abstimmung «unabhängig vom Stimmenunterschied aufzuheben» sei – die Ja-Mehrheiten am 13. Juni betrugen 75 Prozent («AZ» vom 15.6.2021). Dazu kommt aber auch der Verfahrensfehler. Ein Zweckverband kann seine Statuten ändern, aber nicht seine Auflösung beschliessen. Diese Zuständigkeit liege bei den einzelnen Gemeindevorständen.

«Anzumerken bleibt, dass der Beschwerdegegner (der Vorstand AWH, red.) mit der Gestaltung der beiden Abstimmungsvorlagen verschiedene zwingend zu trennende Aspekte des gesamten Umwandlungsprozesses vermischte», so das Gericht weiter. Die beiden Vorlagen hätten «inhaltlich klar voneinander getrennt werden müssen».

Das Urteil: Leitentscheid
Für Martin Keller, selber Gemeindeschreiber, wurde zwar «bei der Vor­bereitung und Durchführung der Urnenabstimmung von A bis Z nicht gut gearbeitet» und seien «gravierende Mängel» festgestellt worden. Überrascht ist er von der Deutlichkeit der Wortwahl. Froh über den Entscheid ist er aber aus anderem Grund: Es sei ein Leitentscheid für viele Gemeinden und richtungsweisend. «Zum Glück habe ich den Rekurs gemacht», sagt er.

Anders dürfte die Gefühlslage bei den sechs Trägergemeinden sein. Auf den 1. Januar 2022 wollten sie die Rechtsformänderung vollziehen und danach entscheiden, wie es baulich mit dem Haus weitergehen soll. Vom Vorstand des AWH war am Donnerstag niemand erreichbar.

Das Urteil des Gerichts finden Sie hier.

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