Weinland

Voller Gerichtssaal wegen Maskenfall

Aus Angst vor gesundheitlichen Konsequenzen beim Tragen einer Maske nahm ein Vater seinen Sohn ohne Bewilligung von der Schule. Obwohl ihm das Gericht guten Willen attestierte, hat sich der Mann damit strafbar gemacht.

von Manuel Sackmann
10. Januar 2023

Beim Betreten des Andelfinger Gerichtsgebäudes bot sich den Journalisten am Dienstagmorgen ein nicht alltäglicher Anblick: Der Eingangsbereich war voller Menschen. Zahlreich erschienen die Unterstützer des Beschuldigten, zehn von ihnen fanden schliesslich nebst den vier Journalisten Platz im Gerichtssaal. Der Grossaufmarsch beweist: Die Maskenpflicht rund um die Corona-Pandemie ist nach wie vor ein emotionales Thema.

Besonders, wenn es um Kinder an der Schule geht. Der im nördlichen Weinland wohnhafte Beschuldigte hatte seinen Sohn von Anfang Dezember 2021 bis nach den Sportferien im März 2022 von der öffentlichen Schule genommen, weil er nicht wollte, dass dieser eine Maske tragen musste. Allerdings konnte er dafür weder eine von einem Arzt ausgestellte Dispens vorweisen, noch verfügte er über die nötige Bewilligung, um seinen Sohn zu Hause zu unterrichten. Das Statthalteramt des Bezirks Andelfingen beschuldigte den Mann deshalb, mit Absicht gegen das Volksschulgesetz verstossen zu haben, und bestrafte ihn mit einer Busse von 1000 Franken. Da der 46-Jährige damit nicht einverstanden war, musste sich das Bezirksgericht mit dem Fall beschäftigen.

Ein ernstes Atemleiden
Er habe aus gutem Grund gehandelt, sagte der langjährige Linienpilot, der mittlerweile aber nicht mehr berufstätig ist, vor dem Einzelrichter. Denn sein Sohn leide an derselben Atemstörung wie er selbst: der sogenannten Cheyne-Stokes-Atmung. Vereinfacht gesagt verschliesst sich bei erhöhter Anstrengung die Nase, wodurch Betroffene kaum noch Luft erhalten, wenn sie eigentlich mehr bräuchten. Zum Fussballspielen müsse sein Sohn deshalb einen Einsatz tragen, der die Nase offen hält. Allerdings sei dieser Einsatz sehr unangenehm und daher nicht für einen längeren Gebrauch am Stück gedacht.

Auch das Maskentragen sei hinderlich, so der Mann weiter. Mehrere Messungen, die er selbst vorgenommen habe, hätten gezeigt, dass die Sauerstoffsättigung bei seinem Sohn während des Tragens einer Maske unter 90 Prozent, einmal gar unter 80 Prozent gefallen sei. Bei diesen Werten hänge das Kantonsspital Patienten längst an ein Sauerstoffgerät.

Termin verpasst
Schon im Sommer 2021 war der Beschuldigte bei einem Spezialarzt in Behandlung. Dieser habe aber keine Maskendispens ausstellen wollen. Aus Sicht des Beschuldigten nur deshalb, weil Ärzte von oben herab massiv unter Druck gesetzt würden, keine derartigen Anweisungen zu erlassen. Also wandte er sich «an den einzigen Arzt, der mich verstanden hat», so der Beschuldigte. Ihm zufolge eine Koryphäe, die in der ganzen Schweiz bekannt ist, weshalb man für einen Termin rund einen Monat Wartefrist in Kauf nehmen muss.  Als die Aufforderung der Schule kam, ein ärztliches Attest für seinen Sohn vorzulegen, machte der Mann einen Termin für Anfang Januar. Wahrnehmen konnte er ihn allerdings nicht, weil er zu dieser Zeit an Covid erkrankte. Er habe sich zwar nicht testen lassen, aber die Symptome seien eindeutig gewesen.

Da die Maskenpflicht in der Folge bald aufgehoben wurde, bemühte er sich vorerst nicht weiter, einen neuen Termin zu kriegen. Und einen anderen Arzt zu finden, sei sinnlos, so der Beschuldigte, der sich vor Gericht selbst verteidigte. Schliesslich sei eben dieser eine der einzige gewesen, der seine gesundheitlichen Probleme ernst genommen habe. Die drei Jahre Ungewissheit bis zur Diagnose hatten den Beschuldigten unter anderem die Pilotenlizenz gekostet. Erst im Mai 2022 bekam er schliesslich die gewünschte Dispens für seinen Sohn.

Obwohl ihm diese im Dezember noch gefehlt hatte, nahm er den Junior aus der 5. Klasse und unterrichtete ihn teilweise selbst zu Hause und teilweise im Rahmen eines von ihm mitinitiierten Bildungsprojekts, das sich auf projektorientiertes Lernen fokussiert. Eine Bewilligung hatte er nicht, auch weil seine Ex-Frau ihre Zustimmung verweigerte. Sie habe aber vermutlich auch eine narzistische Persönlichkeitsstörung und ihm mit Absicht schaden wollen, ist der Mann überzeugt.

Gericht zeigt Verständnis …
Das Gericht attestierte dem Vater zwar gute Absicht. «Ich bin überzeugt, dass Sie aus echter Sorge um die Gesundheit Ihres Sohnes gehandelt haben», erklärte der Einzelrichter. Aus rein objektiver Sicht sei der Straftatbestand trotzdem erfüllt. Der Beschuldigte habe seinen Sohn willentlich und wissentlich vom Schulunterricht ferngehalten, ohne dafür eine Erlaubnis gehabt zu haben. Und einen Notstand könne man in diesem Fall auch nicht geltend machen. Seine vorgenommenen Messungen seien zu einseitig und nicht ausreichend für das Gericht. Die Parameter habe er selbst bestimmt, und sie seien in den Messungen nicht klar ersichtlich.

Auch stelle sich im Bezug auf die Dispens die Frage: «Wer gibt Ihnen Recht?» Ein Arzt habe die Dispens verweigert, ein anderer ausgestellt. Wessen Meinung die richtige sei, habe der Beschuldigte selbst entschieden. Auch das sei nicht objektiv. Ausserdem habe er sich trotz Wartefristen und Verpassen eines Termins nicht die Mühe gemacht, zeitnah einen anderen Arzt zu suchen.

… und bietet eine Wahl
Der Richter stellte den Beschuldigten deshalb vor die Wahl: die Einsprache noch vor dem Urteil zurückzunehmen und den Strafbefehl zu akzeptieren, sich verurteilen und die Sache dann ruhen zu lassen oder aber das Urteil an die nächste Instanz weiterzuziehen. Dabei wäre die erste Möglichkeit die finanziell günstigste, die letzte die teuerste. «Überlegen Sie sich gut, was Sie tun!»

Der Beschuldigte, der mittlerweile ohne Einkommen ist und nach eigener Aussage bald auf Sozialhilfe angewiesen sein wird, wenn er nicht bald Bescheid von der IV erhält, wollte von einem Rückzug nichts wissen. Auch zeigte er sich wenig einsichtig, was die Argumentation des Richters anbelangt. Immer wieder unterbrach er ihn bei dessen Ausführungen und verwies auf seine Messungen. Die Daten seien eindeutig, betonte der Hobbyphysiker, weshalb ihm der Richter ein «selektives Zuhörvermögen» unterstellte.

Als Folge wurde der Vater schuldig gesprochen. Aufgrund seiner guten Absichten reduzierte das Gericht die Busse auf 500 Franken, auferlegte ihm dafür aber die vollen Verfahrenskosten von 1650 Franken. Dass der Mann das Urteil akzeptiert, darf bezweifelt werden. So deutete er schon während der Befragung an, nötigenfalls «bis vor Bundesgericht» gehen zu wollen. Und er wollte auch nach der Schliessung der Verhandlung mehrfach Einwände äus­sern und mit dem Richter diskutieren, sodass Letzterer schliesslich androhte, den Gerichtssaal durch die Polizei räumen zu lassen, wenn er nicht freiwillig gehe. Die Aufforderung zu gehen schloss auch die restlichen Anwesenden ein. Von den anfänglich zehn Unterstützern war jedoch nur ein Bruchteil zur Urteilsverkündung erschienen.

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