Weinland

War­um die «Andelfinger Zeitung» die Bundesrats-Pressekonferenz besuchte

55 Minuten dauerte die Pressekonferenz des Bundesrats am Mittwoch. Die «Andelfinger Zeitung» war dabei – war­um das nicht selbstverständlich sein soll, erfahren Sie hier. Und dass Französischkenntnisse wichtig wären.

von Roland Spalinger
14. Januar 2022

157 Journalistinnen und Journalisten sind akkreditiert im Bundeshaus; sie berichten hauptsächlich aus Bundesbern. Ähnlich viele haben eine Zutrittsberechtigung; beide Listen sind auf der Website des Bundes öffentlich zugänglich. Von der Redaktion der «Andelfinger Zeitung» gehört selbstredend niemand zu einer dieser Gruppen. Unsere Welt ist das Weinland, für kantonale, nationale und internationale Themen verlassen wir uns auf die Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Trotzdem nahm ich am Mittwoch an der Medienkonferenz des Bundesrats teil.

Presseausweis reicht
Eine Anmeldung sei nicht nötig, sagte der Leiter des Medienzentrums am Montag. Ein gültiger Presseausweis reiche. Und so tauschte ich diesen am Eingang zum Medienzentrum im Gebäude ge­gen­über des Bundeshauses gegen einen Besucherausweis und durfte ohne weitere Kontrolle ins zweite UG. Vor mir die imposant beleuchtete Wand mit der Weltkarte, aus der das Matterhorn heraussticht, links der Eingang zum Konferenzraum – nach der Kontrolle des Covid-Zertifikats konnte ich einen Platz aussuchen. Als Neuling auf diesem Parkett war ich der Erste – die mit der Örtlichkeit vertrauten Medienschaffenden kamen knapp vor Gesundheitsminister Alain Berset und dem neuen Bundespräsidenten Ignazio Cassis.

Da sass ich nun am Mittwoch um 13.45 Uhr – etwas, das ein guter Freund als unmöglich taxiert hatte. Er arbeitet in einer durch die Pandemie arg gebeutelten Branche – und ist kritisch geworden auch ge­gen­über dem Staat selber. Er hat frühere Medienkonferenzen des Bundesrats geschaut und gestaunt über die geringe Zahl von Zuhörenden. Seine Erklärung dafür: Es werde selektioniert. Zugelassen sei nur, wer Bundesbern passe. Und Fragen an Vertreter der Landesregierung müssten vorgängig eingereicht werden. «Was glaubst du denn!», sagte er. Ich glaube, dass es in einem freiheitlichen Staat wie der Schweiz anders ist, und stieg deshalb um 11 Uhr in Andelfingen in den Zug nach Bern.

Vor vier Wochen hatte die Landesregierung letztmals physisch getagt. Bundesratssprecher André Simonazzi kam gleich zur Sache. Auf Französisch erklärte er, der Bundesrat habe bezüglich der Olympischen Spiele in China entschieden, der Eröffnung beizuwohnen, er lasse sich aber die Möglichkeit offen, kurzfristig abzusagen – und wiederholte dies auf Deutsch.

Bundespräsident Ignazio Cassis begann mit einer Begrüssung auf Italienisch, wiederholte dann auf Deutsch und wünschte den rund 30 Anwesenden ein gutes neues Jahr.

Aber nicht, wenn’s um Corona geht
Also gut, hatte mein Freund präzisiert. An die Medienkonferenz des Bundesrats würde ich vielleicht zugelassen, aber nicht, wenn es um Corona gehe. Unmöglich. Zu unbedeutend die Zeitung, zu gross die Gefahr, dass da einfach jemand Fragen stellen könnte, auch unbequeme und eben nicht vorgängig gefilterte.

Eine Journalistin fragte, ob an der ersten Bundesratssitzung im neuen Jahr das EU-Dossier auch angesprochen worden sei – ja, wurde es. Und eine Nachfrage bezog sich auf Olym­-pia – womit die Überleitung zu Corona gemacht war.

Ausführungen zur Situation und darüber, was ab Donnerstag gelten würde, und danach 21 Fragen und Antworten drehten sich ausschliesslich um die Pandemie – um freie Betten in Spitälern sowie die Verkürzung der Quarantäne- und Isolationsdauer. Zehn Fragen wurden auf Französisch gestellt und beantwortet (wobei Ignazio Cassis auch auf Französisch das deutsche Wort Durchseuchung verwendete), zwei auf Italienisch und neun auf Deutsch, eine davon übers Telefon und schlecht verständlich. Um 14.40 Uhr beendete der Bundesratssprecher die Runde und hob entschuldigend die Schultern. Einige im gut gefüllten Raum hatten signalisiert, noch Fragen stellen zu wollen. Ich nicht.

Für Ignazio Cassis stand aber bereits der nächste Event an, der Neujahrsempfang zu Ehren des diplomatischen Korps. Dafür war das Gebiet vor dem beflaggten Bundeshaus abgesperrt worden. Die Honoratioren fuhren mit Kutschen vor, winkten Zaungästen, Blasmusik spielte. Ich ging zum Bahnhof.

Ganz auf Quarantäne verzichten?
Nun noch dazu, was wohl bereits bekannt ist: Der Bundesrat verzichtet auf weitere Verschärfungen, verlängert aber die seit 17. Dezember geltenden und laut ihm «bewährten» Regeln bis Ende März. Isolation und Quarantäne werden auf fünf Tage halbiert; Erstere, sofern 48 Stunden symptomfrei, für Letztere laufe bei den Kantonen eine Vernehmlassung, ob ganz dar­auf verzichtet werden könne, was anscheinend SVP-Bundesräte gefordert hatten. Die Lage erlaube eine Verkürzung, sagte Alain Berset. Es könnte der Zeitpunkt sein, da die Pandemie zur Endemie werde, meinte er, Prognosen zu stellen sei aber schwierig.

Der Bundesrat versuche, das Gleichgewicht zwischen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen zu finden, zwischen Freiheit sowie Schutz von Menschen und Infrastruktur. Finanzielle Überlegungen hätten keine Rolle gespielt, sagte Bundesrat Berset auf den Hinweis, bei der Quarantäne komme die Erwerbsersatzordnung zum Tragen, bei der Isolation das Krankentaggeld.

Ignazio Cassis, studierter Mediziner, verglich die Verkürzung des Weggesperrtseins mit einem Medikament. Damit dieses wieder Wirkung erziele und unerwünschte Nebenwirkungen (zu viele Arbeitskräfte zu Hause) reduziert werden könnten, müsse die Dosierung neu kalibriert werden, eben auf fünf Tage. Das Covid-Zertifikat gelte ab Februar noch für neun Monate, die Schweiz passe sich dabei dem Ausland an, damit das Dokument seine internationale Gültigkeit behalte.

Zurzeit seien 4500 Spitalbetten frei – diese seien bei Omikron entscheidender als Intensivpflegeplätze. Eine Überlastung mache dem Bundesrat nach Gesprächen mit Kantonsregierungen keine grossen Sorgen. Mutationen würden immer weniger gefährlich. Vielleicht sei das jetzt der Fall.

Nach zwei Jahren mit Corona ist dies tatsächlich zu wünschen. Auch für den Bestand von Freundschaften – den Glauben an einen funktionierenden und transparenten Staat hat der Besuch gestärkt.

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