Weinland

Wenn aus einem Bauern ein Landvogt wird

Der Jahrmarkt steht vor der Tür. Noch immer wichtiger Treff- und Handelspunkt der Region, hat er in den vergangenen Jahrhunderten für so manche Anekdote gesorgt.

von Dominik Müller
12. November 2019

«Mit Krütz und Knopf» schlug er ihm hinten an den Kopf: So lautete das Vergehen Hans Ehrenspergers aus Reutlingen am Mesmer Martin Wipf aus Seuzach am Andelfinger Jahrmarkt 1622. Das Strafmass lautete 84 Pfund. Auch sonst sind aus frühen Zeiten des Markts einzig Angaben über Bussgelder in den Vogteirechnungen bekannt, wie der Stauber-Chronik zu entnehmen ist. Zum wievielten Mal der Jahrmarkt morgen stattfindet, lässt sich deshalb nicht exakt beziffern – etwa das 400. Mal dürfte es wohl sein.

Im 17. Jahrhundert waren Jahrmärkte ein Vorzugsrecht der Städte. Da die ländlichen Gebiete mit dem Bezug der wichtigsten Handelswaren auf die Städte angewiesen waren, spielten sie noch bis ins 20. Jahrhundert eine bedeutende wirtschaftliche Rolle. So wurden die Märkte in Winterthur und Schaffhausen von den Weinländern stets stark besucht. Wieso Andelfingen selbst zu einem Marktrecht kam, ist ungewiss. Vielleicht kam dem von der Heerstrasse durchzogenen Ort die wichtige Lage für Handelswege zugute.

Kuriose Vergehen
Feiern, Spielen, Trinken – was aus heutiger Sicht alles passende Beschäftigungen an einem festlichen Anlass zu sein scheinen, war früher von den Vögten streng untersagt. Jahrmärkte dienten einzig dem Zweck, die Leute für den bevorstehenden Winter mit Notwendigkeiten einzudecken. So sorgen die vermerkten Vergehen auch eher für Schmunzeln als für Stirnrunzeln. Am Jahrmarkt 1676 etwa wurden drei Mädchen und zwei Knaben mit 5 Pfund gebüsst, weil sie in einem Haus tanzten. Und 1692 mussten drei Männer 8 Pfund Busse löhnen, weil sie bis spät in die Nacht gesessen und dabei gespielt und getrunken hatten.

Der wohl kurioseste Fall trug sich 1686 zu, als Claude Sautier von Kaiserstuhl 20 Pfund bezahlen musste. Der einfache Mann vom Land störte sich bei seinem Jahrmarktsbesuch an einem Bauern aus Buch am Irchel. Seine kreative Idee: Er gab sich kurzerhand als Landvogt aus und liess seinen Kontrahenten festnehmen und verwahren.

Noch immer ein Bedürfnis der Leute
Zu Beginn fand der Andelfinger Jahrmarkt am Montag nach Martini (dem Ende des bäuerlichen Jahres) statt. Die Zinsen waren dann für gewöhnlich bezahlt, und der Bauer konnte über die verbliebene Barschaft verfügen. Erst als ein zweiter Markt im Frühling abgeschafft wurde, wechselte das Datum auf den zweiten Mittwoch im November – so, wie es in der Erinnerung der heutigen Weinländer schon «seit Menschengedenken» Tradition ist.

Obwohl der Jahrmarkt längst keine Notwendigkeit mehr ist, bleibt er, wie an vielen anderen Orten, ein Bedürfnis. Arbeit und Sorgen stehen für einen Tag im Hintergrund, Alt und Jung feiert den Tag gemeinsam, jeder auf seine Weise. Und sollte sich morgen ein Bauer für einen Bundesrat ausgeben, dürfte dies wohl kaum in einer Haftstrafe enden.

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