Weinland

Widerstand und Widerspruch gegen Astra-Minimalismus beim A4-Ausbau

Zum geplanten Ausbau der A4 haben Gemeinden und private Rekurrenten beim Uvek Schlussbemerkungen eingereicht. Sie wehren sich gegen den minimalistischen Anwohnerschutz und weisen auf Widersprüche hin.

von Roland Spalinger
13. Juli 2018

Die Zeiten haben sich geändert. Erwuchs dem Bau der A4 durchs Weinland vor 30 Jahren noch heftige Opposition, wird der geplante Ausbau auf vier Spuren jetzt nirgends ernsthaft infrage gestellt. Widerstand gibt es trotzdem – wegen des minimalistischen Anwohnerschutzes. Im Fokus stehen lückenhafte und einseitige Projektunterlagen des Bundesamts für Strassen (Astra). Dieses bezeichnet die Erdwälle zum Landschafts- und Lärmschutz systematisch als Materialdepots und verschweigt, dass für einen Ersatz der Wälle bereits Land gekauft wurde.

Auf beide Punkte weisen mehrere Gemeinden und private Rekurrenten hin. Sie konnten bis am 2. Juli Schlussbemerkungen beim Uvek einreichen, beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Ener­gie­ und Kommunikation. Laut Annetta Bundi vom Uvek haben 14 Einsprechende die Möglichkeit genutzt. Das Uvek wird in den nächsten Monaten über das A4-Projekt entscheiden. Es wird dabei einerseits auf die Astra-Unterlagen abstellen, andererseits auch die kritischen Eingaben und Forderungen aus dem Weinland berücksichtigen.

Selektive Wahrnehmung
Im Kampf für den bisherigen Lärm- und Umweltschutz haben sich die Anrainergemeinden Adlikon, Andelfingen, Henggart, Hettlingen (Einsprachefrist verpasst), Humlikon, Kleinandelfingen und Neftenbach zu einer Interessengemeinschaft zusammengetan. Sie betonen geschlossen: Die Erdwälle auf der Ostseite des Ausbauprojekts seien «als Bestandteil des Astra-Projekts» zu erstellen bzw. zu verschieben. Die Erdwälle dienten dem Landschafts- und Sichtschutz und hätten dar­über hinaus eine wichtige Funktion für den Lärmschutz, so die Gemeinden in ihren identischen Schlussbemerkungen. Und: «Da die Erdwälle ursprünglich als Lärmschutzmassnahme und so als Projektbestandteil bewilligt wurden, sollten die Wälle auch im Sinne des Vorsorgeprinzips erhalten bleiben.»

Den Gemeinden liegen als Beweise schriftliche Dokumente aus dem Astra-eigenen Archiv vor.  So heisst es zum Beispiel schon im «Technischen Bericht» zur A4 vom September 1981: «Der Schutz von nahe gelegenen Wohngebieten vor Lärmimmissionen ist durch niedrige Dammschüttungen gewährleistet, welche entlang dem Haupttrassee geschüttet werden.»

Landschafts- und Lärmschutz durch Erdwälle: Davon will das Astra heute nichts mehr wissen. Es wiederholt bloss seine These von vorsorglichen Materialdepots, die vor 30 Jahren der A4 entlang aufgeschüttet worden seien. So sagt Astra-Sprecher Silvan von Wartburg auf Anfrage: «Nach Rücksprache mit dem Kanton Zürich hat uns der damals zuständige Projektleiter bestätigt, dass die Erdwälle als Materialdepots angelegt wurden.» Beim Bau der Autostrasse dürfte seinerzeit «aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen» auf den Abtransport des angefallenen Materials verzichtet worden sein; einen schriftlichen Beleg für diese These der Materialdepots liefert das Astra nicht, ebenso wenig dafür, dass damals 135'000 Kubikmeter Erdmaterial zu- und nicht weggeführt wurde.

Neben historischen Verpflichtungen, die für den Erhalt der ostseitigen Erdwälle sprechen, gibt es dafür auch wirtschaftliche und ökologische Gründe. Dar­auf macht Alberto Job aus Adlikon aufmerksam. Er hat seine Schlussbemerkungen im Namen eines guten Dutzends Adliker eingereicht. Auf zehn Seiten weist er darauf hin, dass ein Verschieben der Erdwälle weniger Lärm und mit 12 Franken pro Kubikmeter weniger Kosten bedeuten würde als ein Abtransport nach Weiach (64 Franken pro Kubikmeter). Denn der Plan des Astra, den heutigen Erdwall abzubrechen und den Aushub für die Aufwertung von Adliker Kulturland einzusetzen, sei gescheitert. Die Folge, so erklärt Job: «Das Astra muss die ganze Erde teuer abführen und deponieren.»

«Juristisch» ohne Funktion
Im Gesamtbericht vom Februar 1994 zur A4 zwischen Henggart und Kleinandelfingen werden Lärmschutzmassnahmen als integrierter Teil des Gesamtprojekts bezeichnet. Sechs dieser Massnahmen werden genau beschrieben, zum Beispiel der 550 Meter lange und 2 Meter hohe Erdwall «Im Hodel» bis «Im Buck» in Adlikon. In seinen Unterlagen zum Ausführungsprojekt 2016 führt das Astra unter Ist-Zustand aber nur zwei bestehende Lärmschutzmassnahmen auf, die Wände an der Ossinger- und an der Weinlandbrücke.

War­um diese Lücke? War­um fehlt jeglicher Hinweis auf die Erdwälle, die vor 24 Jahren eindeutig als Massnahmen zum Lärmschutz projektiert und gebaut wurden? Astra-Sprecher Silvan von Wartburg: «Zum Zeitpunkt der Erstellung (1994, die Redaktion) lagen keinerlei Richtlinien vor, die an dieser Stelle Lärmschutzmassnahmen erforderlich gemacht hätten. Aufgrund ihres Standorts haben sie aber einen geringen lärmmindernden Nebeneffekt für bestimmte Gemeinden. Dies könnte eine Erklärung für die damalige Bezeichnung als Lärmschutz sein, die für uns jedoch nicht nachvollziehbar ist. Gemäss dem heute geltenden – und notabene deutlich strengeren – Lärmschutzgesetz werden in diesen Gemeinden keine Grenzwerte überschritten. Die Erdwälle haben demnach juristisch betrachtet keine lärmschützende Funktion.»

Lückenhafte Astra-Unterlagen
Auch diesbezüglich widerspricht Alberto Job. Er weist in seinem Schreiben dar­auf hin, dass das Astra seine Berechnung für Lärmwerte auf Zahlen von 2004 stütze, die bezüglich Verkehrsaufkommen längst weit übertroffen würden. Weiter argumentiert er, dass ein lärmarmer Belag nach fünf Jahren seine Wirkung zum grössten Teil verloren habe, und dass das Astra verpflichtet sei, Lärmwerte dauernd zu reduzieren. Alberto Jobs Fazit: War­um das Astra den bestehenden Erdwall ersatzlos beseitigen wolle, sei nicht nur unverständlich, sondern auch rechtlich unhaltbar.

Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. So schreibt die Fachstelle Lärmschutz des Kantons Zürich in ihrem Urteil zum Ausbau-Projekt des Astra: «Der ersatzlose Rückbau von bestehenden Lärmschutzmassnahmen ist unzulässig, da damit der Vorsorgegedanke aus dem Umweltschutzgesetz in keiner Weise berücksichtigt wird.»

Erdwall ja oder nein? Schutz der Anwohner wie bisher oder nur noch ein minimalistischer Ausbaustandard? Das Astra hat zwar seit der Projektauflage im Frühling 2016 mit den Anrainergemeinden über die ostseitigen Erdwälle diskutiert. Dabei haben sich die Anrainer auf brisante Dokumente stützen können, die hieb- und stichfest belegen, dass die Erdwälle der A4 entlang als Lärm- und Landschaftsschutz projektiert und gebaut worden waren. Das Astra hat diese Dokumente – notabene aus seinem eigenen Archiv – als veraltet unter den Tisch gewischt. Jetzt ist es am Uvek zu entscheiden, ob sich das Astra mit dieser Umdeutung von alten Verpflichtungen auf dem richtigen Weg befindet.

Für den Ausbau des 9,2 Kilometer langen Bereichs Kleinandelfingen bis Winterthur auf vier Spuren rechnet das Astra mit 235 Millionen Franken.

Kommentar

Hinschauen!

Im Nachhinein ist man klüger. Zwei Beispiele aus Zeitungen vor 14 Tagen. Beim «Fall Jegge» sei zu lange nicht hingeschaut worden, und beim Postauto-Skandal lässt sich ein Parlamentarier und Präsident einer Kommission zitieren, sie seien «falsch informiert» worden. Solche Schlagzeilen drohen auch beim Ausbau der A4 im Weinland auf vier Spuren.

Damit niemand später sagen kann, er oder sie hätte nichts gewusst, nachfolgend ein paar Fakten, die kein gutes Licht auf das Bundesamt für Strassen (Astra) werfen. Zur Erinnerung: Das Astra will beim Ausbau der Autobahn auf die bestehenden Erdwälle verzichten. Gegen diese Absicht ist nichts einzuwenden, wie das Amt die Diskussion steuert, hingegen schon. Grundlage ist das Ausführungsprojekt vom Februar 2016. Darin macht das Astra eine Auslegeordnung über bestehende Lärmschutzmassnahmen. Und listet auf: Lärmschutzwand Ossingerbrücke und Lärmschutzwand Weinlandbrücke.

Kein Wort über Massnahmen, die im Gesamtbericht vom Februar 1994 aufgeführt und eindeutig als Lärmschutzmassnahmen bezeichnet sind. Davon will das Astra partout nichts wissen und spricht bezüglich der Erdwälle von Materialdepots.

Das hat System. Auch dass dem Bund das Land entlang der Strasse gehört, wird grosszügig verschwiegen. In die Argumentation gegen Erdwälle flicht das Amt ein, es habe «wohl» zu wenig Platz dort.

Bereits hat der «Beobachter» aufgedeckt, dass das Astra Bürger um Lärmschutz prelle. Mit «völlig überhöhten Kostenprognosen» würden Lärmschutzprojekte abgeschossen, so das Magazin. Entscheide das Bundesgericht dann gegen das Astra, drohten Folgekosten. Die Schlagzeilen fielen dann wohl ähnlich aus wie bei Postauto. Und in Kommentaren würde «Hinschauen!» gefordert.

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