Weinland

Wo sind die Spielgruppen?

Bildung, Betreuung oder Freizeit? Die unklare Zuteilung macht Spielgruppen zu schaffen und wirkt sich auf die finanzielle Situation aus. Manuela Schweizer wagt einen Vorstoss. Ob der Gemeinderat darauf eingeht, zeigt sich Mitte Mai.

von Evelyne Haymoz
05. Mai 2020

Bereits drei- und vierjährige Kinder nehmen wahr, dass, was Erwachsene mit «Coronakrise» und «Lockdown» bezeichnen, auch ihre Welt verändert. Zum Beispiel, weil sie die wöchentliche Spielgruppe nicht mehr besuchen können. Auch in Ossingen sind die Türen des Werkgebäudes, hinter denen sich die Spielgruppe befindet, geschlossen. Ihre Leiterin, Manuela Schweizer, pflegt den Kontakt zu den Kindern nun mit einem anderen Ritual; dazu später mehr.

Denn spätestens hier beginnt die Zwickmühle der Spielgruppen-Leitenden – nicht nur in Ossingen: Wie viele andere Betriebe mussten auch sie von einem Tag auf den anderen schliessen. Wie andere mussten sie (Eltern-)Beiträge zurückerstatten, weil die bezahlte Leistung nicht mehr erbracht werden konnte.

Wo jedoch andere Selbständige aufatmen konnten, weil sie für ihren Erwerbsausfall entschädigt wurden, spitzte sich die Situation für Spielgruppenleitende zunächst zu. Der eine Haken war, dass diese zwar selbständig sind, ihr Jahreseinkommen jedoch unter der Mindestgrenze von 10'000 Franken liegt. Eine Erwerbsausfallentschädigung schien unerreichbar. Immerhin war es möglich, die Assistentinnen und Assistenten, deren Jahresmindestlohn 2300 Franken beträgt und die Sozialabgaben leisten, zur Kurzarbeit an­zumelden. Am 1. Mai per Mail dann das Aufatmen: Die regionale Fach- und Kontaktstelle des Spielgruppen-Leiter­In­nen-Verbands orientierte, dass auch die Leitenden auf die Liste für Erwerbsersatzentschädigungen gesetzt worden seien.

Bildung, Betreuung oder Freizeit?
Der zweite Haken zeigt eine grundsätzliche Unklarheit: Welchem Gefäss sind Spielgruppen zuzuordnen? Als der Bund Mitte März den Lockdown beschloss, wiesen einzelne Kantone die Spielgruppen den Betreuungsangeboten zu, die Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen aufzunehmen hätten. Andere Kantone ordneten sie den Freizeitangeboten zu, und wieder andere betrachteten sie als Bildungsangebote. Die dritte Kategorie ist denn auch diejenige, die der Schweizerische Spielgruppen-LeiterInnen-Verband für sich proklamiert, wie er in einem Positionspapier festhält. Eine klare Zuteilung würde einheitlich regeln, wann die Spielgruppen wieder öffnen können.

Eine Umfrage der «Andelfinger Zeitung» bei den rund 20 Weinländer Spielgruppen (geantwortet haben sechs) ergab, dass sie auf eine Wiederaufnahme – analog der Schulen – am 11. Mai hoffen.

Abhängig von privater Initiative
Auch wenn sich die Spielgruppen «im Bereich der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung als Bildungsangebot» sehen, wie es im Positionspapier des Verbands heisst, eine diesbezügliche Anerkennung durch den Bund fehlt. Ebenso wenig werden die Spielgruppen zu den familienergänzenden Tagesstrukturen gezählt, im Gegensatz zu den Kindertagesstätten und Tagesfamilien, die eine finanzielle Ausfallentschädigung erhalten (siehe Kasten). Wobei auch diese die Ausfall­entschädigung von 80 Prozent als unzureichend taxieren, wie die NZZ kürzlich schrieb.

Spielgruppen sind – so scheint es –nach wie vor private Initiativen, finanziert durch Elternbeiträge oder zusätzlich unterstützt durch Vereinsbeiträge. Recherchen auf den Websites der Weinländer Spielgruppen ergaben, dass drei vereinsmässig organisiert sind.

Vorstoss in Ossingen
Manuela Schweizer leitet in Ossingen seit 2008 die Spielgruppe Summervogel und die Waldspielgruppe Tannezäpfli. Mittlerweile hat sie drei Angestellte. «Wir arbeiten immer zu zweit, so können wir noch besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen», sagt die 42-Jährige. Die Coronakrise habe ihr wieder gezeigt, dass sie als selbständige Spielgruppenleitende «irgendwo im Nirgendwo» stehe. Offensichtlich braucht es beides, um die Situation zu ändern: private Initiative und politische Vorstösse.

Im Falle von Manuela Schweizer konnte der erste Haken etwas gelockert werden: Die Eltern verzichteten auf die Rückerstattung der bereits bezahlten Beiträge bis Ende April.

Auch den zweiten Haken hat sie ins Visier genommen und dem Ossinger Gemeinderat einen Brief geschrieben. Darin wünscht sie für das kommende Schuljahr den Mieterlass sowie eine finanzielle Beteiligung der Gemeinde pro Spielgruppenkind. Alles in allem: knapp 6000 Franken. Es gehe ihr aber auch darum, dass die Arbeit der Spielgruppe als Frühförderung der Kinder anerkannt und geschätzt werde. Für die Gemeinde wünscht sie sich, dass noch viele Kinder in den Genuss der Spielgruppe kommen.

Fristgerechte Antwort
Gemeindepräsident Martin Günthardt bestätigt auf Anfrage den Erhalt des Briefs. Er habe ihn zur Kenntnis genommen und bereits traktandiert für die Sitzung vom 18. Mai. Zudem signalisiert er Gesprächsbereitschaft bei Dringlichkeit, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass sich das Schreiben explizit auf das neue Schuljahr 20/21 beziehe und der Gemeinderatsbeschluss somit fristgerecht zu erwarten sei.

Derweil hüpfen in Ossingen die 33 Kinder nicht wie sonst in die Spielgruppe, sondern eiligst zum Briefkasten, um zu schauen, ob auch diese Woche wieder ein Bastelsäcklein oder eine Naturschatzkiste von ihrer Leiterin Manuela drin liegt. Denn Rituale vermitteln Sicherheit, auch in turbulenten Zeiten.

Winterthur stockt Entschädigung für Kitas auf

Winterthur geht mit seiner Unterstützung von Kindertagesstätten und Tagesfamilien, die durch die Coronakrise weniger Einnahmen haben, weiter als der Kanton. Dieser hat beschlossen, den Kindertagesstätten und Tagesfamilienorganisationen eine Ausfallentschädigung auszurichten, die 80 Prozent des Schadens aufgrund der entgangenen Elternbeiträge ausmacht. Die Kosten tragen Kanton und Gemeinden.

Der Winterthurer Stadtrat habe beschlossen, den Trägerschaften 100 Prozent der Ausfälle zu vergüten. Diese müssten sonst durch die Trägerschaften selbst oder die Eltern finanziert werden, wie er vergangene Woche mitteilte.

Nach der Verrechnung aller städtischen und kantonalen Leistungen werden für die Stadt Winterthur voraussichtlich Kosten in der Höhe von rund 450'000 Franken anfallen.

Mit der Finanzierung von 100 Prozent der Einnahmenausfälle bestä­tigt der Stadtrat den Stellenwert der Betreuungseinrichtungen im Vorschulalter für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Winterthur und honoriert die Leistungen der Betreuungseinrichtungen während der Coronakrise, wie es in der Mitteilung heisst. (sda)

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