Weinland

44 Jahre Freude am Beruf – den der Chef für sie ausgesucht hatte

Von der Lehre bis zur Rente: Renate Steffen hat ihr ganzes Berufsleben in der «Andelfinger Zeitung» verbracht. Treue? Unbedingt! Stillstand? Nein! Denn das Druckerhandwerk wurde in diesen Jahren total umgekrempelt, wie Chefin Julia Akeret im gemeinsamen Abschiedsinterview betont.

von Silvia Müller
28. April 2023

Renate Steffen, wer seit 1979 jemals in der AZ inseriert hat, hatte garantiert mit dir zu tun. Wie fĂĽhlt es sich an, nach der heutigen Zeitungsausgabe alles Werkzeug aus der Hand zu geben?
Renate Steffen: Erstaunlich gut! Ich habe jeden Tag gern gearbeitet und mit Freude die Menschen beraten, die ein Inserat aufgeben wollten. Dass nun meine Wunschnachfolgerin Denise TĂĽrk ĂĽbernimmt, macht es mir aber einfacher. In sie habe ich volles Vertrauen. Sie wird meine Kundschaft so weiterpflegen, wie diese es gewohnt ist und verdient.

Intern nennen wir dich neckisch «Madame Insi» oder «die Inserateabteilung». Ist sowas eigentlich ein Ausbildungsberuf?
Renate Steffen: Natürlich, da braucht es Profis! Aber im Druckereiwesen haben sich die Berufsinhalte so stark verändert wie sonst wohl in keiner Branche. Und ich bin durch Zufall reingerutscht. Nach der Sek hatte ich schon den Vertrag als Verkäuferin im Sack, wäre also ohne Lehre direkt ins Arbeitsleben. Aber meine Schwester sah das Inserat für die Lehrstelle als Drucker in der AZ und drängte mich, anzurufen.
1979 war Karl Akeret Chef. Er zeigte mir den ganzen Betrieb auf einem Rundgang und sagte irgendwann fast nebenbei: «Du wirst nicht Drucker, du wirst Schriftsetzerin.» Und so kam es, zum Glück! Damals war mir nämlich noch nicht klar, wie viel Gegenwind die ersten Frauen an den Druckmaschinen zu spüren bekamen. Und der kniffelige Bleisatz passte voll zu meiner Veranlagung. Ich liebte es, es war wie Puzzeln. Meinen Setzkasten von der Lehrabschlussprüfung habe ich heute noch.

Julia Akeret: Ja, das war speziell an meinem Vater, er hatte dieses GespĂĽr, er war ein Patron, der die Menschen wahrnahm. Ich war ja damals noch ein Kind, und du wohntest vier Jahre lang als Wochenaufenthalterin unter unserem Dach. Jeden Mittag sassen bis zu zehn Leute um unseren Esstisch, darunter die Lehrlinge. Als Kind fand ich euch Jugendlichen und besonders dich so cool! Als du dann eine 125er fuhrst sowieso!

Bleisatz von Hand – wer erinnert sich überhaupt noch daran? Mit dem Fotosatz kam schon bald die erste Revolution, das totale Umlernen. Fertig Puzzeln. Hast du damals über einen Berufswechsel nachgedacht, Renate?
Renate Steffen: Nein, damals nicht und auch später nie. Es war ja kein so abrupter Wechsel. Wir produzierten zunächst bloss bestimmte Seiten im Fotosatz. Am Anfang arbeiteten wir sozusagen blind. Wir tippten Layoutanweisungen in Form ominöser Codes in die Fotosetzmaschinen und sahen erst viel später am Tag, wie die Seite im Druck aussehen würde. Dank meinen zehn Jahren Erfahrung im Bleisatz lief aber auch das ganz gut. Ich setzte damals die Kundendrucksachen, also Briefpapier, Broschüren, Visitenkarten, Etiketten und so weiter.
Dann musste ich für jemanden im Militärdienst bei den Inseraten einspringen, und das lief und gefiel mir so gut, dass ich dort blieb. Damals noch dreimal pro Woche hatte ich die Verantwortung, alle Inserateseiten gut zu füllen und zu layouten. Bloss mit dem Kundenkontakt tat ich mich anfangs sehr schwer, ich war extrem schüchtern.

Das kann man heute kaum glauben … Du berätst immer kompetent und freundlich, aber selbstbewusst. Wie ein Profi halt. Was im Hause Akeret hat diese Entfaltung begünstigt?
Renate Steffen: Heute erhalten wir vorwiegend fertig formulierte Inserate per E-Mail, da braucht es oft nur noch kleinere Änderungen. Vor der Computer-Ära kamen noch die meisten Menschen persönlich mit handschriftlichen Entwürfen vorbei, oder sogar nur mit dem Anliegen und der Erwartung, dass wir bei der Formulierung helfen. Diese Begegnungen haben mir die Schüchternheit genommen.
Entscheidender war fĂĽr mich aber wohl das Team- und FamiliengefĂĽhl in der Firma. Ich war ja nicht der einzige Lehrling, der nachher noch sehr lange blieb. Beispielsweise konnte ich vom Typografen Thomas Huggenberger, der besonders stark war in allem Digitalen, noch jahrelang dazulernen.
Überhaupt haben bei uns immer die Jüngeren die Älteren bei der Modernisierung begleitet. Das hat uns als Team zusammengeschweisst. Es lag immer an den guten Leuten im Team, dass ich gar nie ernsthaft an einen Wechsel dachte. Wir standen vor neuen Situa­tionen und Aufgaben, die nur im Team lösbar waren, und alle arbeiteten so selbständig und eigenverantwortlich wie möglich. Das entspricht mir.

Julia Akeret: Tatsächlich blieben und bleiben bis heute sehr viele Mit­arbeitende ungewöhnlich lange bei uns. Ich habe das mal aufgelistet. Auch Thomas Huggenberger blieb nach der Lehre, er war 27 Jahre hier. Mit 30 Dienstjahren wird Franziska Weber ab Montag zuoberst auf der aktuellen Liste stehen. Auch die Fachleute an den Druck­maschinen blieben teils jahrzehntelang, der Rekord liegt bei 36 Jahren. Typisch für die Druckbranche waren immer auch Teilzeitbeschäftigte, meistens Frauen in der Ausrüsterei. Solange wir noch hier in Andelfingen druckten, gehörten immer auch Frauen in Teilzeitpensen zum Team.

Stimmt es eigentlich, Renate, dass dir schon Karl Akeret eine Stelle bis zur Pensionierung versprochen hatte?
Renate Steffen: Ja, das ist wahr! Mehr im Scherz habe ich ihn schon bald nach der Lehre mal gefragt, ob ich bis zur Rente bleiben könne. Er antwortete nur: «Klar!», das aber ganz ernsthaft. Als 2002 seine Tochter Julia übernahm, war Kontinuität sowieso das Wichtigste, und ich sah keinen Grund, deswegen zu wechseln. Und nochmals 21 Jahre später wird aus dem Scherz nun Tatsache.

Heute gilt es als Anzeichen von Stillstand und Bequemlichkeit, wenn man sich nicht alle zwei Jahre nach einer noch besseren Stelle umsieht. Wie sieht das eine Arbeitgeberin eigentlich?
Julia Akeret: Kontinuität ist eine wichtige Basis für eine Zeitung. Rundherum Vertrauen aufzubauen, braucht sehr lange – es zu zerstören leider nicht. Deshalb bin ich froh um alle guten Mitarbeitenden, die bleiben und mit ihrem Wissen und ihrer Vernetzung unsere Substanz stärken. Manchmal muss man solche Leute dann aber auch wieder ziehen lassen.
Jemanden anzustellen, ist jedenfalls immer eine Art Rätsel. Die junge Generation gewichtet die Frage nach dem Stellenwechsel anders, sie muss es wohl auch, angesichts der Zukunftsaussichten. Inhaltlich tut ein altersgemischtes Team einer Zeitung immer gut.

Nun verlassen also die Babyboomer den Arbeitsmarkt. Haben kleine Medien wie die «Andelfinger Zeitung» überhaupt eine Chance, ihre Stellen gut und dauerhaft neu zu besetzen?
Julia Akeret: Es ist schwieriger geworden. Wir haben das Glück, mit Denise Türk eine ausgebildete Polygrafin und Korrektorin zurückholen zu können, die  schon vor einigen Jahren bei uns im Korrektorat angestellt war. Wir kennen also ihre Qualitäten, und sie kennt uns. Sie ist hier im Weinland verankert, und wir haben eine interessante Stelle zu bieten. Wir sind froh, dass das geklappt hat. Auch weil es Renate sehr wichtig war, ihre Aufgaben und Kunden vertrauensvoll in gute Hände übergeben zu können. Sie bleibt bis zum letzten Arbeitstag voll motiviert, und das ist aussergewöhnlich.

Und du, Renate? Keine Angst, nach 44 Jahren plötzlich ohne deine Arbeits­familie durch den Alltag zu gehen?
Renate Steffen: Falls es ganz schlimm kommen sollte, hätte ich nur wenige Schritte bis runter zur Znünipause der Redaktion … aber ich bin ebenso zuversichtlich wie meine Chefin. Nicht umsonst habe ich in den letzten Monaten das Frei- und Nichtsmachen gewissenhaft geübt! Jetzt steigere ich einfach das Pensum und nutze mein Generalabo intensiver für Tagesausflüge. Ein paar Hunde zum Ausführen sind mir auch bereits angeboten worden. Und sonst gebe ich ein Inserat auf: «Gesucht …»

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