Weinland

Aprilscherz lange ernst genommen

Der Aprilscherz des Gemeinderats war von langer Hand geplant. Zufällig publizierte die Thurgauer Staatskanzlei just in den Tagen zuvor Infos, die dazu passten – so kamen 70 Leute an die inszenierte Infoveranstaltung.

von Silvia Müller
04. April 2023

Neunforn wird die schweizweit erste Partnergemeinde und Aussenstelle des Freilichtmuseums Ballenberg im Berner Oberland! Dieses will laut Leitbild das traditionelle Leben und handwerkliche Arbeiten im Land dokumentieren und als Brücke zwischen den Regionen dienen. Deshalb geht «der Ballenberg» Partnerschaften mit echten Gemeinden ein, und den Anfang macht – Neunforn.

Um das offiziell zu verkünden, hatte niemand Geringeres als Ballenberg-Stiftungsrat Martin Steiner den weiten Weg ins Thurtal gemacht. Der «Projektleiter Partnerschaften» traf im Gemeinde­haussaal auf fast 70 Frauen und Männer. Sie waren wegen des Flyers gekommen, mit dem der Gemeinderat wenige Tage zuvor zum «Informationsanlass Kommunalplanung/ Schutz­objekte» geladen hatte.

Das Datum – ein Samstag, und noch dazu der 1. April – sei ihnen zwar verdächtig vorgekommen, sagten einige später vergnügt beim Verzehr der Wurst, welche die Gemeinde quasi als Wiedergutmachung spendierte. Trotzdem wollten sie sicher sein, nichts Relevantes zu verpassen: Immerhin beschäftigt die Revision der Kommunalplanung den Gemeinderat seit Jahren. Und falls man im Dorf mit etwas unzufrieden ist und Einfluss nehmen möchte, dann am ehesten bei den Bauvorschriften und ihrer Umsetzung. Das ergab zuletzt die Umfrage von 2020 und führt regelmässig zu Wortmeldungen an den Versammlungen.

Das von Gemeinderat Florian Koch verfasste Drehbuch blieb bis zuletzt absolute Geheimsache. Nicht einmal engste Familienmitglieder wurden eingeweiht. «Ich merkte erst in der Diskussion, dass es ein Aprilscherz sein musste», so der Vater des Drehbuchautors. Wie ihm ging es wohl einigen. Denn Gemeindepräsident Benjamin Gentsch und seine beiden Komplizen führten vollkommen ernsthaft durch die Versammlung.

Schlagwort Verballenbergisierung
Martin Steiner überbrachte die Botschaft des Stiftungsrats und enthüllte feierlich den Entwurf der Tafeln, die an den Ortseinfahrten auf die Partnerschaft hinweisen würden. Erst viel später wurde er als Schauspieler namens Martin Skalsky geoutet, eigens engagiert, um das Publikum hinters Licht zu führen. Auch der Auftritt des pensionierten Denkmalpflegers Urs Fankhauser verlieh dem Infoanlass Seriosität.

«In all den Jahren als Denkmalpfleger hörte ich von Hausbesitzern oft das Wort ‹Ballenberg›, und damit meinten sie etwas ähnlich Attraktives wie einen Autofriedhof», sagte Urs Fankhauser. Aber das stimme gar nicht in Neunforn! Hier sei eben wenig bis gar nichts zerstört worden, und das Historische sei noch voll belebt, und diese Partnerschaft sei eine Riesenchance, dass das so bleibe. «Kann sein, dass Ihnen deswegen bald Touristen durchs Fenster in die Stube gucken, aber wer weiss, vielleicht öffnet ja bald auch eine der geschlossenen Wirtschaften wieder.»

So weit, so glaubhaft. Erst als Urs Fankhauser den Viertelstundentakt für den ÖV in Aussicht stellte und sagte, man müsse einen Parkplatz für die chinesischen Reisecars anlegen und mittelfristig eine Jugendherberge und Konferenzräume bereitstellen, begannen die ersten im Publikum laut zu lachen und von Aprilscherz zu reden. Der Ex-Denkmalpfleger schlug sogar eine Riesenrutsche bis runter zur Thur vor – ob das Amt für Umwelt da mitgezogen hätte? «Machen Sie sich jedenfalls auf positive Veränderungen gefasst», so sein Schlusswort.

Scherzhafter Anlass, ernste Sache
«Wenn ihr da vorne wirklich so fest daran glaubt, ziehen wir ab Montag sogar beim Putzen und Kochen im eigenen Haus die Tracht an», versprach die Präsidentin der Landfrauen humorvoll. Das sei der beste Aprilscherz seit Jahren, meldete sich dann ein anderer.

Nun löste Benjamin Gentsch das Rätsel auf und entschuldigte sich bei jenen, die den Samstagnachmittag sonst anders verbracht hätten. Das war nicht nötig. Denn man glaubt es kaum: Die Neunforner lachten über die Show, nutzten die Fragerunde dann aber tatsächlich für Diskussionen über die Neuausrichtung der Denkmalpflege (siehe unten). Der Anlass sei scherzhaft, die Sache aber sehr ernst, mahnte denn auch Benjamin Gentsch: «Was nach Lockerung und mehr Eigenkompetenz klingt, ist in Wahrheit einschneidend. Denn der Schutz des Ortsbilds ist weit schwieriger zu erfüllen als der von Einzel­objekten.»

Passt zeitlich zum Aprilscherz, ist aber Tatsache: Thurgau will Denkmalpflege neu ausrichten

Künftig sollen im Kanton Thurgau weniger Gebäude unter Schutz stehen. Dafür wird mehr Gewicht auf das Ortsbild gelegt; dem habe man in den vergangenen Jahren zu wenig Beachtung geschenkt, heisst es in der Mitteilung der Staatskanzlei vom 30. März. Viele Ortsbilder seien deshalb «beeinträchtigt».

2020 hat der Regierungsrat das Projekt für eine Neuausrichtung gestartet, dessen Ergebnisse nun an den Gros­sen Rat gehen. Einbezogen waren Gemeinden und Verbände.
Nach dem Konzept soll das heutige «Hinweis­inventar Bauten» deutlich reduziert und 2025 von einem neuen Inventar abgelöst werden. Im Gegensatz zu den heutigen rund 32'000 Einträgen, die beinahe einer Vollerhebung des Gebäudebestands vor 1960 entsprechen, würden im neuen Inventar «nur noch tatsächlich erhaltenswerte Objekte» aufgeführt.

Damit erfolge ein Abschied von der flächendeckenden Erhebung und Einflussnahme der Denkmalpflege auf einen beträchtlichen Teil der historischen Bauten. Diese «Entschlackung und Bedeutungszuteilung» soll eine vom Regierungsrat eingesetzte Fachkommission vornehmen.

Insgesamt werde die Überarbeitung des Inventars rund 1,4 Millionen Franken kosten. Die Mittel stammen aus der denkmalpflegerischen Spezial­finanzierung, und ein Mitwirkungsverfahren ist vorgesehen.

Künftig will sich der Kanton Thurgau nur noch um Objekte von nationaler und kantonaler Bedeutung kümmern. Für Objekte von kommunaler Bedeutung werden alleine die Gemeinden zuständig sein und dafür auf ein eigenes Fachgremium zurückgreifen. Die nötige Gesetzesrevision wird dem Grossen Rat Anfang 2024 vorgelegt. (sda)

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