Weinland

Auf Stahlrössern um den Böögg reiten

Das 2021 zelebrierte Sechseläuten-Ritual einer Husemer Töffli-Clique blieb lange «geheim». Inzwischen gelangte die Sache doch noch in die grossen Medien. Aber dieses Jahr fährt die besagte «2-Gang-Gäng» lieber nach Zürich zum richtigen Böögg.

von Silvia Müller
21. April 2022

Papierbastelbögen sind super für Stadtwohnungen. Auf dem Land ist etwas mehr Platz – oft genug, um Sujets auch in grossen Massstäben und mit festen Materialien nachzubauen. Damit hatte der «Tages-Anzeiger» kaum gerechnet, als er als kleinen Trost für die abgesagten Sechse­läutenfeiern 2020 und 2021 jeweils Böögg-Bastelbögen herausgab.

2021 traf unter den vielen Rückmeldungen der kreativen Leserschaft auch eine Sendung aus Hausen bei Ossingen ein. Auf diesen Fotos und Filmen entdeckte die Redaktion des «Tagi» aber nicht das vorkonfektionierte Papier­böögg­li, sondern einen richtigen, fast zwei Meter hohen Strohmann auf einem echten Scheiterhaufen. Und statt Zünftern auf gestriegelten Rössern umrundet die typische Töfflijugend vom Land den Böögg auf polierten Stahlgäulen.

Es lebe der «Dreissigerhobel»!
Doch halt – unter diesen Helmen kommen ziemlich in die Jahre gekommene Jugendliche zum Vorschein. Diese «2-Gang-Gäng» hat selbst Kinder, die längst dem Töfflialter entwachsen sind. Sie besteht im Kern aus Helene Keller-Giovanon vom Husemerhof, ihrer Schwester Nicole Giovanon, Barbara Sulser-Bueb und Peter Alt.

Die Idee, sich wieder «Dreissiger­höbel» anzuschaffen und zusammen wie in der Jugend auf Töfflitouren zu gehen, habe der Freundeskreis schon vor einigen Jahren in die Tat umgesetzt, erzählt Helene Keller. Die Idee zum privaten «Home-Office-Sechseläuten» sei ihr aber erst 2021 und erst in letzter Minute gekommen: «Nicht alle ‹Gäng›-Mitglieder fingen dafür sofort Feuer», sagt sie und lacht.

Doch «Gäng isch Gäng» – alle kamen nach Hausen und packten mit an. Verstärkt durch Tom Sulser, offiziell «Technischer Leiter Böögg», und durch Feuerwehrmann Beat Schlegel als «Zuständiger Sicherheit Feuer» bauten sie  am Samstag den Böögg, um am Sonntag die Parade durchführen zu können. Der Sechseläuten-Montag selbst ist bekanntlich nur in der Stadt Zürich ein arbeitsfreier Feiertag.

Anfangs hätten sie «eigentlich keinen Plan» gehabt, doch während des gemeinsamen Arbeitens seien der Enthusiasmus und die Lust auf Details immer grösser geworden, berichtet Helene Keller. «Aus der Sponti-Idee ist so nach und nach etwas Perfektes entstanden! Bis hin zur Pressetribüne und zum Sechseläutenmarsch aus einem mobilen Lautsprecher haben wir zuletzt an alles gedacht.»

Ohne Gastkanton? Auf keinen Fall!
Irgendwann mittendrin die Erkenntnis: Zu jeder Parade um den Böögg gehört die feierlich herausgeputzte Delegation eines Gastkantons! Was tun? «Wir haben spontan eine Töffligang aus dem Thurgau eingeladen, die wir kurz zuvor kennengelernt hatten. Die kreist nun auf den Filmaufnahmen ebenfalls ums Feuer», erzählt Helene Keller.

Mit diesen Filmen und vielen Fotos nahm die Töffli-Clique am Böögg-Bastel-Wettbewerb des «Tages-Anzeigers» teil. Der echte Böögg-Bauer aus Zürich, Lukas Meier, hatte an den Einsendungen solche Freude, dass zwei der privaten Teams in sein Atelier durften, um ihm beim Bau des Bööggs 2022 zu helfen. Das Husemer Team war eines davon. «Deshalb bauen wir dieses Jahr ganz sicher keinen eigenen Böögg. Wir fahren in die Stadt, um beim Sechseläuten dabei zu sein», sagt Helene Keller.  

Die Zeit bis zum Knall entscheidet
Die Husemer Töffli-Clique hat also ein wenig beim Bau des offiziellen Bööggs mitgewirkt, der am 25. April ab 18 Uhr in Brand gesetzt wird. Verschiedene TV-Sender sind mit einer Liveübertragung dabei. Sollte die Explosion des Knallkörpers im Kopf der Figur allzu lange auf sich warten lassen, sagt das gemäss der Tradition einen schlechten Sommer voraus. In den letzten 70 Jahren dauerte es laut einer Statistik des «Landboten» zwischen rasanten vier und quälend langen 45 Minuten, bis dem Strohmann der Kopf platzte.

Allerdings darf bezweifelt werden, dass die Brenndauer tatsächlich mit dem Wetter der restlichen Saison korreliert. «Der offizielle Böögg-Bauer hat uns verschiedene Tricks gezeigt, mit denen man die Sache etwas steuern könnte, wenn man denn wollte», erzählt Helene Keller mit einem Augenzwinkern. Die Statistik zeigt zudem: In der Realität mischelt wohl auch noch das Tageswetter heftig mit. Und das heisst: das Aprilwetter! Es ist eben selbst dem perfektesten Böögg doch nicht ganz einerlei, ob er in strömendem Regen steht oder von heftigen Wind­stössen angefacht wird.

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