Weinland

Auftragsschreiberin aus Leidenschaft

Eine Bewerbung oder einen Brief ans Amt zu schreiben, überfordert viele Menschen. Seit über 20 Jahren hilft Jenny Buser dabei. Doch just wer ihr Angebot wirklich bräuchte, erfahre oft nicht davon, sagt sie im Interview.

von Silvia Müller
17. Januar 2023

Jenny Buser, was machen Sie als Auftragsschreiberin, und wie gefragt ist es?
Im Durchschnitt einmal pro Woche schreibe ich für jemanden eine Bewerbung für eine neue Stelle oder Wohnung. Manchmal werde ich auch für Briefe oder Formulare an Ämter angefragt, nur höchst selten für private Briefe. Meist brauche ich dafür zwischen einer und drei Stunden. Das ist neben der Arbeit in der Familie und der Mitarbeit bei der Gemeindezeitung «Föhrenblick» gut machbar.

Gibt es für Ihr Angebot die typische Kundin, den typischen Kunden?
Es kommen nicht nur Menschen, die nicht lesen oder schreiben oder nicht genug Deutsch können. Viele sind überfordert, weil sie aus Berufen kommen, die keine Routine im Schreiben mit sich bringen. Viele haben auch einfach keine Computerkenntnisse oder keinen PC zur Verfügung. Dann wird es heute sehr schnell schwierig, und man ist froh um unkomplizierte Hilfe.

Wie läuft so ein Einsatz ab?
Die Menschen kontaktieren mich, oft logischerweise via Sprachnachricht oder Anruf. Ich lasse mir erzählen, worum es geht, und alle nötigen Infos und Unterlagen geben. Dann schreibe ich den Textentwurf, meistens innert zwei bis drei Tagen. Ob er nach der Besprechung und allenfalls Anpassung tatsächlich zugestellt wurde und wie die  Angelegenheit weiterging, erfahre ich nicht immer.

Solche Einsätze lassen sich Sozialarbeiter, Autoren, Juristen und Psychologen gut bezahlen. Warum tun Sie es zuweilen sogar gratis?
Menschen mit solchen Problemen sind oft Sozialhilfebezüger und leben am Existenzminimum. Andere sind bessergestellt, scheitern aber am Beamtendeutsch oder an der Motivation. Deshalb biete ich allen an, mir für meine Hilfe das zu geben, was sie können und möchten. Wenn sie sich gar nichts leisten können, freut mich auch ein Dankeschön. Je nach Auftrag geben mir manche 20, andere 100 Franken pro Stunde. Ich habe kürzlich den Durchschnitt ausgerechnet: Er liegt bei sechzig Franken. Das ist tipptopp. Ich bin Bibliothekarin, keiner der genannten Fachprofis. Und ich will damit nicht reich werden, sondern anderen helfen.

Gibt es Aufträge, die Sie ablehnen?
Bis jetzt war das selten nötig, aber etwas habe ich beschlossen: Marketing-texte für Network-Produkte schreibe ich keine. Sie wissen schon: All diese Schneeballaktionen, die neuerdings in den sozialen Medien in Gang gesetzt werden, um Produkte an möglichst viele Leute zu verkaufen. Dass diese Nutzung der neuen Kommunikationskanäle um sich greift, finde ich nicht unterstützenswert. Andererseits habe ich vor, zusammen mit einer IT-beschlagenen Fotografin Menschen mit wenig Schreib- und Technikkenntnissen zu einem guten Internetauftritt zu verhelfen. Dies ist nämlich ein weiterer, zunehmend wichtiger Bereich, von dem solche Personen ausgeschlossen werden.

Haben Sie schon jemanden ermutigt, zu versuchen, den Text selbst zu schreiben?
Ehrlich gesagt nein, denn diese Menschen haben ja ihre Gründe, weshalb sie Hilfe suchen. Ich ermutige sie aber, Bekannten in ähnlicher Lage von meinem Angebot zu erzählen. Das Problem ist ja, dass Menschen, die beispielsweise nicht lesen oder Deutsch können, als Letzte von solchen Hilfsangeboten erfahren. Mit einem mehrsprachigen Flyer, der bei den Ämtern aufliegt, versuche ich das gerade zu ändern.

Was gewinnen Sie persönlich dabei? Neue Erkenntnisse oder neues Wissen?
Ich begegne interessanten Menschen mit oft spannenden Lebensgeschichten. Fachlich Neues lerne ich dabei wenig, verglichen mit früher, als ich Bachelor- und Masterarbeiten aus verschiedensten Disziplinen sprachlich überarbeitete. Doch seit Juni gestalte und fülle ich im Dreierteam ja auch den «Föhrenblick», und dort auf der Redaktion lerne ich immer noch bei jeder Ausgabe dazu.

Mehr Infos: www.schreibhilfeschweiz.ch

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