Weinland

Das Beste draus machen – ein Buch?

Momentan gibt es kaum Ablenkung. War­um also nicht innert 17 Wochen ein Buch schreiben, betreut von Profis? Peter Zollinger hat es angepackt. Und dabei viel über sich selbst und sein Leben gelernt.

von Silvia Müller
18. Dezember 2020

«Ich könnte langsam ein Buch schreiben» ist ein gäbiger Spruch. Denn irgendwie steckt in ihm auch gleich drin, dass man zwar einiges zu sagen hätte, es aber nicht tun wird. War­um eigentlich? Vielleicht wäre die Zeit dazu ja gekommen. Zum Innehalten, Nachdenken, Sortieren, Schreiben, Festhalten. Aktuell könnte die Corona-bedingte Zwangsselbst­besinnung dazu dienen. Im Fall von Peter Zollinger waren es zwei Monate im Rollstuhl, nach einem Velounfall im Sommer 2018.

Er beschloss, die Zeit zu nutzen und meldete sich beim Kulturprojekt Edition Unik an. Dieses begleitet seit 2015 Frauen und Männer jeden Alters zweimal im Jahr während 17 Wochen beim Schreiben ihres Buches. Schon nach so kurzer Zeit hält man das eigene Werk in zwei edlen Leinenbänden in der Hand. Wer will, kann wie Peter Zollinger eine grös­sere Auflage nachdrucken lassen und sein Buch streuen.

Die Edition Unik ist kein Verlag und veröffentlicht die ihr anvertrauten Inhalte nur mit Zustimmung der Schreibenden. Wer also seinen Text nicht teilen will, schliesst sein Buch danach weg. Doch wozu sollte man sich in diesem Fall so viel Arbeit machen?

Für den pensionierten Leiter des Zen­trums für Pflege und Betreuung in Mar­tha­len ist die Antwort ganz einfach: «Die rund 200 Abdankungen, die ich in meinen Berufsjahren erlebte, haben mich zur Einsicht geführt, dass jedes Leben es verdient, gewürdigt zu werden. Auch meins.» Allzu oft seien nämlich die Verfasser der Nachrufe auf die Erinnerungen und Deutungen anderer Menschen angewiesen, weil die eigentliche Hauptperson ihre Sicht und Gewichtung zeitlebens nirgendwo festgehalten habe. «Da bekommt man unter Umständen mehrere abweichende Versionen zu hören. Etwas selbst zu Papier zu bringen scheint mir der kürzeste und verlässlichste Weg», sagt er.

«Erlebt – erzählt – erfahren»
Klar, bei Edition Unik kann man auch frei erfundene Krimis und Romane oder Gedichte veröffentlichen, inhaltlich ist man völlig frei. Die meisten Teilnehmenden machen aber ihr eigenes Leben zum Thema. Auch Peter Zollinger hat unter dem Titel «erlebt – erzählt – erfahren» 72 Kurztexte vereint, die viel Autobiografisches enthalten. Über seine Kindheit im Dorf am Bachtel, über Erlebnisse, prägende Menschen und interessante Gedanken.

Einen Teil der Geschichten hat er schon anderswo veröffentlicht, etwa im Kirchgemeindeblatt. Das Buch ist 196 Seiten dick – die 17 Wochen des Projekts hätten dafür nicht ausgereicht. Er brachte bereits etliche ältere Texte mit, die er nur noch aufbereiten musste. Teils hatte er sie vor Jahren für die Hauszeitung des Altersheims verfasst, teils nach der Pensionierung in zwei Schreibkursen. «Trotzdem hätte ich damit ohne Edition Unik wohl kein Buch hinbekommen», sagt er. Die klaren, strukturierten Vorgaben und der enge Zeitrahmen seien die Mittel, die auch unerfahrene Autorinnen und Autoren zum Erfolg führten. «Doch wer beim Start erst die Ideen im Kopf hat, muss entweder sehr intensiv arbeiten oder sich den Rahmen bewusst eng stecken.»

Nächster Start im Januar
Mitte Januar beginnt in Basel, Bern und Zürich eine neue «Schreib­runde», wie die 17 Wochen genannt werden. Wegen Corona ausfallende Meetings sollen durch intensivere Begleitung aus Distanz aufgefangen werden. Für 550 Franken werden die Teilnehmenden bis Mai 2021 in drei Etappen vom ersten Satz bis zum gedruckten Buch geführt. Laut Edition Unik braucht es dafür keine Schreiberfahrung, bloss genug Übung im Umgang mit dem Computer. Seit 2015 seien so bereits 500 Bücher realisiert worden.

Etappe 1 startet jeweils mit einem Anlass, wo alle Informationen abgegeben werden und der Austausch zwischen den Teilnehmenden untereinander und mit der Projektleitung beginnt.

Zu Hause beginnt das systematische Sammeln von Notizen, Erinnerungen und Recherchen – am Computer und auf einer bestimmten App, die bis zum fertigen Layout das Arbeits­in­strument bleiben wird. Einzig ein Internetanschluss, Basis-Computerkenntnisse und die Verwendung dieser App sind technisch unerlässliche Voraussetzungen.

In Etappe 2 formulieren die Autorinnen und Autoren die «Kapitel» ihres Buchs. An zwei Netzwerkanlässen bekommen sie Unterstützung beim Übergang vom Sammeln zum Sortieren. Danach stehen Inhalt und Struktur des Buches fest.

In Etappe 3 wird das Buch gestaltet und mit weiteren Elementen versehen – Autorenname, Titel, Klappentext, Widmung. Normalerweise gibt es eine Abschlussveranstaltung mit Vernissage und Lesungen, an der die beiden Exemplare des Buches überreicht werden.

«Man kann jederzeit zusätzlich Lektoren und Betreuung in Anspruch nehmen, doch das kostet extra. Ich hatte Glück und fand gute Unterstützung in Stammheim, beim früheren Lehrer Markus Diener und bei Pfarrer Heinz-Jürgen Heckmann», erzählt Peter Zollinger – ihm falle das Formulieren leicht, aber Rechtschreibung sei nicht seine Stärke.

Was am Ende bleibt
Wem würde Peter Zollinger Mut zum eigenen Buchprojekt machen? «Allen, die etwas festhalten wollen. Und allen, denen etwas auf der Seele drückt, sei es Schlechtes oder Schönes.» Natürlich könne dies nicht alle Verletzungen heilen, manche der Leute im Workshop «wären bei einem Psychologen am besseren Ort gewesen.» Die 17 Wochen reichen zwar fürs Schreiben, aber nicht, um Traumatas aufzuarbeiten. «Doch Gefühle und Gedanken auszuformulieren bringt Erkenntnisse.»

So habe er dank den extra fürs Buch verfassten 13 Briefen an seinen verstorbenen Vater erst realisiert, was für eine enorme Verantwortung dieser als Vorarbeiter einer Fabrik trug. «Meine wichtigste Einsicht betrifft meine Eltern. Ich habe ein ganz neues Bild von ihnen bekommen. Allein deswegen hat es sich hundertfach gelohnt.»

«Talente sind eine Verpflichtung»
Und was hat er über sich selbst gelernt? «Dass ich das kann! Einfach auf meinem Niveau.» Das klinge jetzt vielleicht überheblich. «Aber ich betrachte es als Pflicht, die uns geschenkten Talente zu nutzen.» Hingegen nicht, deswegen nun ein zweites Buch dranzuhängen. Seit dem 16. März zeichnet er jeden Tag eine kleine frohe Botschaft und teilt sie in den sozialen Medien. «Ich habe ein gewisses Talent, entwickle mich weiter und kann Menschen eine Freude bereiten. Ich bin extrovertiert und riskiere etwas. Denn sich zu exponieren, macht auch angreifbar.»

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