Weinland

Der Husemersee: Vom Nutz- zum Naturschutzgebiet

Der Abbau von Torf als Brennmaterial oder zur Düngung gehörte früher auch in unserer Region zum Alltag. Vor allem zu Kriegszeiten wurde er dringend benötigt und am Husemersee grossräumig abgebaut.

von Christina Schaffner
22. Dezember 2020

Im August 1920 schnitt sich ein junger Arbeiter beim Torfstechen am Hausersee – oder Husemersee, wie er heute heisst – mit einem Blech in den Unterarm und verletzte sich die Schlagader. Wie der «Andelfinger Zeitung» von damals zu entnehmen ist, ging er zu Fuss mit der klaffenden Wunde bis nach Andelfingen zum Arzt. Erst dort wurde ein Krankenauto gerufen, um ihn ins Spital nach Winterthur zu bringen. Dass ein Schwerverletzter selber zum Arzt gehe, solle «im Zeitalter des Telefons und Autos nicht mehr vorkommen!», war zu lesen.

Ob solche Verletzungen beim Torfstechen öfter vorkamen, ist unklar. Auch die Lebensumstände vor 100 Jahren, welche Bedingungen und welche Not herrschten, kennen wir aus eigener Erfahrung nicht. Sicher ist aber, dass zu Kriegs- und Nachkriegszeiten Brennholz knapp war und deshalb der Torf-abbau in Ossingen nicht nur von Hand, sondern auch mit grossen Maschinen erfolgte. Dafür wurden vielfach auch Frauen per Inserat in der «Andelfinger Zeitung» gesucht.

Die Nutzung der grossen Torfmoore im Bereich des Hausersees gehörte, so die Ossinger Chronik, zur Urproduktion. Torf sei in früheren Jahrhunderten allerdings nicht zu Brennzwecken gestochen worden, sondern im 19. Jahrhundert zur Düngung der Äcker – das Holz aus dem Gemeindewald scheint gereicht zu haben. Auch ein Verkauf von Moorland an das holzarme Trüllikon zur Versorgung seiner bedürftigen Bürger lehnten die Ossinger Stimmbürger 1843 mit «Einmut» ab – «es könne und dürfe die Gemeinde nichts von ihrem Gemeindegut veräussern und verkaufen».

Gegen Torfabbau gewehrt
Als aber mit dem Ersten Weltkrieg und den Streiks in Europa der Ener­gie­­träger Kohle knapp wurde, erinnerte sich die Industrie an die heimischen Torfvorkommen. Im Frühjahr 1918 begann die Aktiengesellschaft der Eisen- und Stahlwerke von Georg Fischer, Schaffhausen, auf rund 16 Hektaren Moor unmittelbar östlich des Hausersees, Torf zu gewinnen – unter Einsatz von Kapital und Maschinen. Es wurden Bahnschienen verlegt sowie Trocken- und Maschinenräume errichtet, um die drei bis neun Meter dicken Torfschichten abzubauen.

Allerdings wehrten sich 27 Eigentümer mit zusammen drei Hektaren Land, dieses abzugeben, und gefährdeten dadurch den rationellen Abbau. Ihnen wurde unterstellt, sie seien dar­auf aus, die Preise hochzutreiben. Allerdings war wohl, so die Chronik, nicht nur Geldinteresse im Spiel. «Einige machten sich ernsthaft Gedanken, was nach der Torfausbeutung folgen würde: verwüstetes, lange nicht mehr kultivierbares Land.»

Der Protest nützte den Verweigerern nichts: Sie wurden enteignet oder mit Zwangspacht oder Güterabtausch belegt. Zumindest mussten in der Folge die Werke die Ossinger Bürger beliefern. Dafür meldeten sich diese bei der Gemeinde, um Bezugsscheine zu erhalten, wie Inseraten in der «Andelfinger Zeitung» zu entnehmen ist. Mit den Scheinen konnten sie zum Beispiel Mitte September 1920 den getrockneten Torf abholen. Auch das Schulhaus wurde damals zeitweise mit Torf geheizt. Geplant war die Ausbeutung bis 1928. Die veränderte Wirtschaftslage 1921/22 brachte aber Überschüsse an Kohle, weshalb der Torfabbau früher eingestellt wurde.

Ein grosses Problem des Abbaus war die Absenkung des Wasserspiegels. 1918 wurde er um zwei Meter gesenkt. Dies stellte die Fischereipacht in Frage, Baden war erschwert. Andererseits entstanden durch den Abbau Weiher im Watt und im oberen Ried, wo zunächst jeder Ossinger fischen durfte. Bei einer weiteren Senkung wäre es damit aber vorbei gewesen. Die Januargemeinde 1922 stimmte daher gegen eine weitere Wasserabsenkung und damit gegen eine Tieferlegung des Sees, was zum Aus des Abbaus führte.

Rolf Fierz erinnert sich
Aufgenommen wurde der Torfabbau erneut 1942 im Zweiten Weltkrieg. Neben der grössten Firma, der Towag AG, gruben auch sieben weitere Unternehmen – meist Kohlehandlungen aus Zürich, Winterthur und Basel – nach Torf. Eine von ihnen war Fierz Kohlen in Zürich-Oerlikon. Rolf Fierz, Sohn des damaligen Inhabers Jakob Fierz, erinnert sich noch aus Erzählungen da­ran und besitzt Fotos aus dieser Zeit.

1939 hatte sein Vater die Ossingerin Berty Giessberger geheiratet und bekam wohl dadurch, so seine Vermutung, die Möglichkeit zur Torfge­winnung am Hausersee. Seine Fotos zeigen, wie Torf gestochen, gepresst und getrocknet wurde. Auf Loren wurde er transportiert.

Eine Anekdote aus jener Zeit liefert Rolf Fierz gleich mit: Zu einem Streik der Arbeiter sei es fast gekommen, als sein älterer Bruder, damals noch ein kleiner Junge, «go luege» gegangen sei, ob die Männer auch arbeiteten. Von einem Dreikäsehoch hätten die sich aber keinesfalls überwachen lassen wollen.

Als gegen Kriegsende wieder Kohle verfügbar war, beendete die Fierz Kohlehandlung ihren Abbau. Unrentabel wurde es aber auch für alle anderen Torfgewinner, und der Abbau wurde eingestellt. Während nach der ersten Abbauphase von 1918 bis 1921, so die Ossinger Chronik, teilweise kantige Löcher hinterlassen worden waren, wurde dieses Mal rechtzeitig für ein natur- und heimatschutzgerechtes Aufräumen gesorgt. «1943 wurde der Hausersee als einer der landschaftlich schönsten und reizvollsten Gebietsabschnitte in unserem Kanton definiert.»

Konzessionäre wurden verpflichtet, die Ausbeutungsstellen in Biotope umzuwandeln. Das engere Seegebiet war ohnehin von Grabung und Lagerung verschont geblieben. «Im Rückblick, aus Sicht des modernen Umweltgedankens», heisst es in der Ossinger Chronik, «kann die Torfgewinnung wohl eher als Segen denn als Verschandelung eingestuft werden.» 1949 wurde das gesamte Hauserseegebiet unter Schutz gestellt, ebenso der Mördersee, der See bei Windlingen, die beiden Söllseen im Schneitenberg sowie die fünf Söllseen im Oberholz. Von 1960 bis 1980 wurde dieses Schutzgebiet noch erweitert.

Diese Karte zeigt die Lage und Grösse der Seen und Weiher bei Ossingen im Jahr 1667. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrössern.
Diese Karte zeigt die Lage und Grösse der Seen und Weiher bei Ossingen im Jahr 1667. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrössern. / Stauber Chronik

Die Seen bei Ossingen

Der grösste und reizvollste See um Ossingen ist der Husemersee, früher Hausersee genannt. Während Jahrhunderten war aber der Örlinger See der grösste See des ganzen Gebiets, der sich wie die anderen Seen im von Moränen umgebenen Gebiet nach der Eiszeit gebildet hatte. Eine Karte in der Stauber Chronik zeigt deren Grösse und Lage 1667. Durch Ablagerungen des Trüllikerbachs, Verlandung und Torfbildung wurde der Örlinger See kleiner. Im 15. Jahrhundert war der See zum Ried geworden. Um das Wasser und darum, dieses zu stauen oder abzulassen, wurde jahrhundertelang gestritten. Dies beeinflusste auch die Torfgewinnung: Um 1770 war sie wegen Überschwemmungen nicht mehr möglich. Durch einen Kanal floss das Wasser wieder ab, und die Uferregionen konnten erneut fürs Vieh genutzt werden. Um 1870 wurden «Torflose» an die Örlinger Bürger zur privaten Nutzung vergeben. Torf, der verkauft werden sollte, wurde per Versteigerung vergeben. (cs)

Torf als Nutzware

Torf ist ein organisches Sediment, das in Mooren entsteht. Er bildet sich aus einer Ansammlung von nicht oder nur unvollständig zersetzter pflanzlicher Substanz und ist die erste Stufe der Inkohlung. Der Prozess ist sehr langsam – ein Mittelwert dafür liegt bei einem Millimeter pro Jahr. Getrocknet ist Torf brennbar. Moore gelten heute als bewahrenswerte Biotope, weshalb ein Abbau in den meisten Ländern nicht mehr stattfindet. In Skandinavien, Irland und im Baltikum wird aber lokal beschränkt zur Ener­gie-­ und Wärmegewinnung weiter abgebaut. In der Schweiz ist der Abbau heute verboten. Vor allem für den Gartenbau, so ist auf Wikipedia zu lesen, werden aber immer noch 150 Tonnen jährlich importiert. Ein Grossteil davon wird in Privatgärten verwendet, weshalb stark für torffreie Erde geworben wird.

Bereits im 10. Jahrhundert wurde Torf als Brennstoff genutzt. Er ist vergleichbar mit Braunkohle, muss aber aufwendig getrocknet werden. Auch der Aschegehalt ist sehr hoch. Wegen dem langen Nachglühen gilt er als minderwertiger Brennstoff. Als solcher findet Torf aber noch heute bei der Malzherstellung für schottischen Whisky Verwendung – der Torfrauch trägt erheblich zum Geschmack bei. (cs)

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