Weltweit sind laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 50 Millionen Menschen von moderner Sklaverei betroffen – davon etwa 28 Millionen durch Zwangsarbeit und 22 Millionen durch Zwangsheirat. Auch in der Schweiz ist das Phänomen präsent: Jährlich werden von Fachstellen zwischen 100 und 200 Betroffene identifiziert, die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Besonders betroffen sind Frauen aus Osteuropa, Afrika und Asien, zunehmend aber auch Männer und Minderjährige. Ausgebeutet wird vor allem in der Sexarbeit, in der Hausarbeit sowie in der Bau-, Gastro- und Pflegebranche. Unterstützung bieten Organisationen wie FIZ, ACT212 und lokale Beratungsstellen. (st)
Es war als Neuanfang gedacht. Doch als Greta Bernal 2021 von Spanien in die Schweiz aufbrach, fĂĽhrte der Weg nicht in ein besseres Leben, sondern in ein schmutziges Zimmer in Biel. Statt des versprochenen Hauses fand sie sich in einer Bruchbude wieder. Sechs Wochen lang lebte sie dort in Resignation, konÂtrolÂliert von Menschen, die sie zur Ware machten. «In dem Moment, als der erste Kunde hereinkam, beschloss ich, meinen Geist von meinem Körper zu trennen», sagt sie.
Ihre Geschichte bleibt nicht länger ungehört: In der Awareness-Kampagne «Hinter verschlossener Tür» – einem 30-minütigen Podcast mit begleitetem animiertem Kurzfilm, der als Aufklärungskampagne Bewusstsein für ein bislang tabuisiertes Thema schaffen soll – erzählt sie offen, was ihr widerfahren ist. Entwickelt wurde das Projekt von der 30-jährigen Langwieserin Vivian Waldvogel im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).
Zwischen Doku und Ich
Zehn Jahre zuvor hatte sie einen Dokumentarfilm über Menschenhandel gesehen – ein Werk, das sie tief beeindruckte und ihr bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Ursprünglich plante sie, selbst einen Dokumentarfilm mit Fachleuten und Animationen eines Einzelschicksals zu realisieren. Doch bald wurde ihr klar, dass ein solcher Ansatz die emotionale Wirkung schmälern würde. Der Fokus auf ein persönliches Schicksal, so ihre Überzeugung, kann stärker berühren als jede Expertenstimme oder Statistik.
Die Arbeit an solch einem Projekt war ein Wagnis. Nur schon jemanden zu finden, der so offen und reflektiert über ein solches Erlebnis sprechen würde, war schwierig. Am Walk for Freedom in Zürich, einer stillen Demonstration gegen Menschenhandel, lernte sie Greta Bernal dann eher zufällig kennen. Nach einigen Vorgesprächen spürte sie in ihrer Geschichte die Authentizität und emotionale Tiefe, die sie gesucht hatte. Durch den behutsamen Aufbau von Vertrauen entstand eine intime Zusammenarbeit. In über sieben Stunden Interviews schilderte Greta Bernal ihre Kindheit, die Erfahrungen von Ausbeutung und Angst – und den Moment, in dem ihr die Flucht gelang.
Mit Kurzfilm ergänzt
Aus diesen Aufnahmen entwickelte Vivian Waldvogel einen 30-minĂĽtigen PodÂcast, ergänzt durch einen animierten Kurzfilm. Die Reduktion auf Stimme und Sprache war eine bewusste Entscheidung: Greta Bernals Ausdruckskraft sei so bildhaft, dass zusätzliche Visualisierungen nur abgelenkt hätten, sagt sie. Deshalb setzte sie auf Minimalismus – jede Szene, jede Schrift und jedes Symbol ist gezielt gesetzt, fast wie Einträge in einem Tagebuch.
Mit «Hinter verschlossener Tür» entstand eine Arbeit, die berührt, ohne zu überfordern – eine einfühlsame Awareness-Kampagne, die sichtbar macht, was oft unsichtbar bleibt. Das Projekt wurde für den ZHdK-Förderpreis nominiert und am Fantoche Festival in Baden gezeigt. Zudem wurde es kürzlich beim Prix Europa mit dem «Student Award Rising Star» ausgezeichnet – eine der bedeutendsten Auszeichnungen für audiovisuelle Werke in Europa.
Die Stimme, die das Schweigen bricht